Donnerstag, 18. April 2024

Grammatischer Radbruch

Eine Fremdsprache mehr schlecht als recht beherrschen ist kein Kunststück. Im Radebrechen sind wir Weltmeister! Doch selbst beim Radebrechen kann man noch einen Radbruch erleben: Denn wie radebricht man in Präteritum und Perfekt? Hat man da geradebrecht, geradebrochen, radegebrecht oder radegebrochen?

Frage eines Lesers: Lieber Zwiebelfisch, beim Lesen einer renommierten Berliner Tageszeitung stolperte ich in einem Bericht über Paul McCartney über folgende Formulierung: „McCartney hat diesen Blick des ewig unbedarften Jungen auch mit 60 noch gut konserviert, dem man nur schlecht böse sein kann. Auch dann nicht, als er ein paar Kinderverse auf Deutsch radebrach.“ Dass McCartney Probleme mit der deutschen Sprache hat, ist verzeihlich und nicht weiter überraschend. Aber es stellt sich doch die Frage, wer „radebrach“ hier mehr?

Ernst Dornemann, Berlin

Antwort des Zwiebelfischs: Lieber Herr Dornemann, Ihre Zweifel sind berechtigt, das Verb „radebrechen“ wird tatsächlich regelmäßig gebeugt. Paul McCartney radebrach nicht auf Deutsch, sondern radebrechte. Die zitierte Zeitung hat also beim Beugen eine grammatische Reifenpanne gehabt, treffender gesagt: einen Radbruch.

Das Wort „radebrechen“ geht aufs finstere Mittelalter zurück, als Straßendieben mittels eines Wagenrades (dem „Richtrad“) sämtliche Knochen gebrochen wurden. Diese äußerst brutale Folter- und Hinrichtungsmethode war in einigen Gegenden Deutschlands noch bis ins 19. Jahrhundert in Gebrauch.

In der Neuzeit erlangte „radebrechen“ die Bedeutung „quälen“, und seit dem 17. Jahrhundert bezeichnet „radebrechen“ das Schinden einer Sprache. Obwohl mit dem unregelmäßig gebeugten Verb „brechen“ verwandt, hat „radebrechen“ als feste Fügung einen anderen Konjugationsweg eingeschlagen und wird regelmäßig gebeugt:

Ich radebreche, ich radebrechte, ich habe geradebrecht.

Nicht zu verwechseln mit „ich habe gerade Brecht“, was bedeutet, dass man sich im Deutschunterricht gerade mit Bertolt Brecht beschäftigt.

brechen radebrechen
ich breche, er bricht ich radebreche, er radebrecht (nicht: radebricht)
ich brach, er brach ich radebrechte, er radebrechte (nicht: radebrach)
ich habe/er hat gebrochen ich habe/er hat geradebrecht (nicht: radegebrecht/ nicht: geradebrochen/auch nicht: radegebrochen)
Ilustration: „Der grausame Tod von Jean Calas in Toulouse“; englische Zeichnung um 1800. Quelle: Wikipedia

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