Donnerstag, 18. April 2024

In der Breite Straße

In Deutschland gibt es viele breite Straßen, große Straßen und lange Straßen, und es gibt große Märkte, alte Märkte und neue Märkte. Nur müssen sie nicht überall gleich heißen. Der eine feiert Weihnachten auf dem Alten Markt, der andere Karneval auf dem Alter Markt.

Frage eines Lesers aus Brandenburg: Die Breite Straße in Berlin und die Breite Straße in Potsdam verführen aufgrund ihrer Breiten zu schneller Fahrt. Deshalb kommen sie häufig in den Warnungen des Verkehrsfunks vor: „Ein Blitzer steht auch in der Breite Straße.“ Müsste es nicht „in der Breiten Straße“ heißen?

Antwort des Zwiebelfischs: In Berlin und Potsdam kenne ich mich leider nicht so gut aus und weiß daher nicht, wie die Berliner und Potsdamer ihre Straßen behandeln. Ich selbst stamme aus Lübeck, und auch dort gibt es eine Breite Straße, die im Dativ selbstverständlich zur Breiten Straße wird.

Die Hohe Straße in Köln hingegen widersetzt sich der Grammatik und bleibt unveränderlich. So sagt der Kölner ganz selbstverständlich: „Ich steh hier auf der Hohe Straße.“ Und er sagt auch: „Ich geh auf den Alter Markt“. (Er spricht es allerdings etwas anders aus, es klingt eher wie „Ich jehe op d’r Alder Maat“, und außerdem wird es mehr gesungen als gesprochen.) Wer in Köln von der „Hohen Straße“ spricht und auf den „Alten Markt“ geht, der kennt sich zwar mit der hochdeutschen Grammatik aus, ist aber offensichtlich kein Kölner.

Auch in anderen Städten gibt es Lange Straßen und Alte Märkte, die nicht gebeugt werden. Was es allerdings nicht gibt, ist eine Regel, die einem sagt, wann die Unterlassung der Beugung erlaubt ist und wann nicht.

In Hamburg gibt es eine Straße namens Lange Reihe, und wer dort bummeln geht oder ins Café, der tut dies an der Langen Reihe. Dasselbe gilt für den Neuen Wall. Im Unterschied zum Kölner beugt der Hamburger seine Straßennamen, und darin ist er konsequent. So wird selbst der Stadtteil Rotherbaum im Dativ zum Rothenbaum: Beugung trotz Zusammenschreibung und historischem „th“, das ist wahrhaft hanseatisch! Wer also vom „Tennis am Rotherbaum“ spricht, der mag zwar Ortsschilder lesen können, ist aber offensichtlich kein Hamburger.

Ob man auf den Alten Markt geht oder auf den Alter Markt, das ist nicht eine Frage von richtig oder falsch, sondern von Geschichte und Tradition. In einigen Gegenden ist der Name irgendwann erstarrt und wurde fürderhin nicht mehr gebeugt, in anderen blieb er lebendig und wird auch heute noch wie ein normales Hauptwort behandelt. Im Zweifelsfall gilt das, was die Eingeborenen sagen. Wenn die Berliner von „Bauarbeiten auf der Breite Straße“ statt „auf der Breiten Straße“ sprechen, dann will ich das gerne akzeptieren. Schließlich ist es ihre Breite Straße, so wie es auch „dem Kölner singe Alder Maat“ ist.

(c) Bastian Sick 2005


Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod, Folge 3“ erschienen.

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