Montag, 18. März 2024

Steht vor „bis“ ein Komma?

Frage einer Freundin aus Münster: Lieber Bastian, es gibt eine interessante Frage, die selbst die geballte Münsteraner Intelligenzia nicht zufriedenstellend zu lösen vermag. Es handelt sich um das rot markierte Komma in obigem Auszug aus Wikipedia, hinter „Tätowierungen und Ziernarben“. Also habe ich kühn versprochen, ich würde dich fragen. Was ich hiermit einlöse. Ich wär definitiv für das fragliche Komma, kann‘s aber nicht begründen.

Antwort des Zwiebelfischs: Meine Liebe, das ist mal wieder eine schön knifflige Frage! Noch dazu zur Zeichensetzung, bekanntlich des Deutschen liebstes Thema 😉

Zunächst einmal ist festzuhalten, dass die Konjunktionsreihe „von … über … bis (hin) zu“ grundsätzlich ohne Komma auskommt.

Nehmen wir einmal dieses Beispiel:

Die Musikstücke des Abends spannten einen Bogen vom Barock über Klassik und Romantik bis zum Jazz.

Die Konjunktionen „über“ und „bis“ haben die gleiche grammatische Funktion wie „und“ oder „oder“: Sie verbinden Satzteile miteinander. Kommas sind daher nicht vonnöten.

Freilich sieht die Sache anders aus, wenn den Konjunktionen ein Nebensatz oder ein Einschub (eine Apposition) vorausgeht. Dann sind Kommas erforderlich:

Beispiel mit Nebensätzen:

Die Musikstücke des Abends spannten einen Bogen vom Barock, der mit Werken von Bach und Händel vertreten war, über Klassik und Romantik, die von Beethoven und Schubert abgedeckt wurden, bis zum Jazz.

Beispiel mit Einschüben:

Die Musikstücke des Abends spannten einen Bogen vom Barock, vertreten durch Händel und Bach, über Klassik und Romantik, vertreten durch Beethoven und Schubert, bis zum Jazz.

In dem (zugegebenermaßen recht komplexen) Satz aus Wikipedia sind „Tätowierungen und Ziernarben“ aber weder Teile eines Nebensatzes, noch bilden sie einen Einschub. Sie sind reguläre Glieder einer Aufzählung, die mit „wie Kleidung und Accessoires“ beginnt. Daher folgt ihnen kein Komma.

Selbst wenn man die Aufzählung komplett in Klammern setzte, brauchte ihr kein Komma zu folgen:

Beispiele hierfür sind das Erröten als Kommunikation von Verlegenheit oder schlechtem Gewissen, Gestaltungen des Erscheinungsbilds (wie Kleidung und Accessoires, die Frisur, Tätowierungen und Ziernarben) bis hin zur Wohnungseinrichtung und gestalterischen Maßnahmen in der Architektur, die eine Gruppenzugehörigkeit oder ein bestimmtes Lebensgefühl zum Ausdruck bringen sollen.

Zwar fehlen im Wikipedia-Beispiel sowohl das einleitende „von“ als auch das weiterführende „über“, doch das ändert nichts an der verbindenden Rolle des Wörtchens „bis“. Man könnte den Satz nämlich auch so formulieren:

Die Beispiele hierfür reichen vom Erröten als Kommunikation von Verlegenheit oder schlechtem Gewissen über Gestaltungen des Erscheinungsbilds wie Kleidung und Accessoires, die Frisur, Tätowierungen und Ziernarben bis hin zur Wohnungseinrichtung und gestalterischen Maßnahmen in der Architektur, die eine Gruppenzugehörigkeit oder ein bestimmtes Lebensgefühl zum Ausdruck bringen sollen.

Das Komma kam dir vermutlich richtig vor, weil sonst der Eindruck entstehen könnte, die „Wohnungseinrichtung“ gehöre noch mit zu den „Gestaltungen des Erscheinungsbildes“ (wie Frisur, Tätowierungen und Ziernarben), obwohl sie doch zur dritten Gruppe der Beispiele gehören soll. Vielleicht hätte ich es in einem ähnlich Fall sogar selbst gesetzt. Aber mein gestrenger Korrektor bei Kiepenheuer & Witsch, der alle meine Texte liest, bevor sie in Buchform erscheinen, hätte es garantiert wieder rausgestrichen – mit der Begründung, dass gemäß § 72 der amtlichen Regeln bei einer Verbindung gleichrangiger Teilsätze, Wortgruppen oder Wörter kein Komma steht, wenn diese durch Konjunktionen wie „und“, „oder“, „sowie“, „beziehungsweise“, „sowohl … als auch“, „entweder … oder“ oder „weder … noch“ verbunden sind. Und dazu gehört auch „von … über … bis zu“.

Viele liebe Grüße aus Korntal, wo ich heute Abend zum ersten Mal in der Stadthalle auftrete. In den kommenden Tagen geht es weiter von Korntal-Münchingen (das liegt übrigens bei Stuttgart) über Düsseldorf am Rhein bis in die Heide nach Lüneburg. Hoffentlich ohne Stau. In jedem Fall aber ohne Komma.


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6 Kommentare

  1. Wenn man die Aufzählung in Klammern setzt, ist das Komma dahinter tatsächlich fehl am Platz, keine Frage. Wenn man aber die Aufzählung ohne Klammern schreibt und lässt dann auch noch das Komma vor „bis hin“ weg, dann erwacht in mir beim Lesen ein Gefühl der Verunsicherung: ist der Teil nach „bis hin“ nur ein weiteres Glied der Aufzählung, oder bildet dieser letzte Teil vielleicht doch eine Sinneinheit mit den Tätowierungen und Ziernarben, die womöglich optisch bis zur Wohnungseinrichtung hinreichen, weil sie vielleicht auch im Deko dieser Einrichtung vorkommen? Man kommt bei diesem Satz zwar nach kurzer Überlegung darauf, dass dies wohl nicht gemeint ist, aber ein vor „bis hin“ gesetztes Komma würde mir bei diesem Satz helfen, schneller zu erkennen, dass der letzte Teil ein logisch eigenständiger Aufzählungsteil ist und nicht zu den Tätowierungen und Ziernarben dazugehört. Wäre für mich ein Argument, das Komma doch zu setzen.

  2. Genau das habe ich auch sofort gedacht. Herrn Sicks Antwort leuchtet zwar logisch ein, aber der Eindeutigkeit ist auf jeden Fall mit dem Komma besser gedient.

    Herrn Sicks Klammern zeigen sogar, dass es in der Tat als Einschub betrachtet werden kann; ohne diesen ergibt der Satz trotzdem Sinn. Eigentlich sollte nicht nur vor „bis“, sondern auch am Anfang vor dem „wie“ ein Komma stehen 🙂

  3. Annegret Holzapfel

    u. A. w. g.
    =======

  4. Sprachkassandra

    Den Satz aus dem Wikipedia-Artikel finde ich zu lang und misslungen aufgebaut. Einmal lesen hat ihn mir nicht erschlossen. Unklar geblieben ist mir, worauf sich der Relativsatz am Ende „die […] zum Ausdruck bringen sollen“ bezieht. Nur auf die Wohnungseinrichtung und die gestalterischen Maßnahmen in der Architektur? Auf mehr davor? Bis zum Erröten reicht er zumindest nicht, denn dem wird bestimmt nicht eine Gruppenzugehörigkeit oder ein bestimmtes Lebensgefühl zugeordnet. Der Satz ist ein Beispiel dafür, wie man nicht schreiben sollte. Interessant übrigens: Im Wikipedia-Artikel „Nonverbale Kommunikation“ steht in dem Satz kein Komma vor „bis hin“, sondern ein Bindestrich: „Ziernarben – bis hin […]“. Dieser soll wohl einen ‒ (Gedankenstrich) darstellen. Angabe unter dem Artikel: „Diese Seite wurde am 18. Januar 2018 um 16:10 Uhr bearbeitet.“ Stand an der besagten Stelle vorher ein Komma? Weiß das jemand? Oder kann jemand sagen, ob und wie man den Text, wie er vor der Bearbeitung war, finden kann?

  5. @Sprachkassandra: Ihr Beitrag gehört nicht hierher, sondern in die Diskussionsseite des Wikipediaartikels, siehe dort unter dem Reiter „Diskussion“. Und unter dem Reiter „Versionsgeschichte“ kann man dort auch erfolgte Änderungen einsehen. Ändernd sollte man dort aber erst dann eingreifen, wenn man sich als Wikipedia-Autor registriert und mit den anderen Autoren des Artikels die vorgeschlagene Änderung diskutiert hat.

    Das hier besprochene Thema betrifft nicht den Wikipedia-Artikel, sondern eine allgemeine Frage zur Zeichensetzung in der deutschen Sprache. Wir warten bereits gespannt auf die Antwort von Herrn Sick.

  6. Sprachkassandra

    @algoviano
    Vielen Dank für Ihre Info, wie man zu älteren Versionen eines Wikipedia-Artikels gelangt. Bei dem besagten Artikel kommt man dann zuerst auf eine Seite, auf der steht: „Strittiges Komma durch Gedankenstrich ersetzt“. Genau jenes Komma war also als Problempunkt erkannt. Ich frage mich, ob es nur Zufall war oder ob die Änderung etwas mit der Anfrage an Herrn Sick zu tun hatte.

    Ja, ich bin über das Ziel hinausgeschossen und hatte nicht nur das Komma im Blick, aber der Satz biss mich, weil er für mich mehr Problempunkte hat als nur das Komma. So weit aber, dass ich in dem Geschehen auf Wikipedia mitmischen möchte, geht meine Liebe dann doch nicht.

    Auf Herrn Sicks Antwort bin ich ebenfalls gespannt. Nun noch verstärkt, weil mich auch interessiert, was er von dem Gedankenstrich an der Position hält.

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