Mittwoch, 27. März 2024

Vom Weiblichen des Schiffs

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Die „Deutschland“, die „Astor“, die „Bremen“: Man fragt sich, warum Schiffe eigentlich immer weiblich sind, selbst wenn sie die Namen von Männern, Städten oder Ländern tragen. Hinter dem scheinbaren Paradoxon steckt ein alter Anglizismus.

Der Hamburger Hafen gilt seit jeher als touristische Attraktion, doch seit dort im Juli 2004 zum ersten Mal die „Queen Mary 2“ einlief, ist er für Touristen noch um einiges attraktiver geworden. Inzwischen hat die „Queen Mary 2“ bereits 25 Mal in Hamburg festgemacht, und noch immer lockt ihr Besuch Heerscharen von Schaulustigen an.

Auch an diesem lauen Abend im August hatten sich wieder Tausende Menschen am Hafen eingefunden, um der „Queen“ beim Auslaufen zuzuwinken und sich am Feuerwerk zu ergötzen. Endlich war es so weit: Ein dreimaliges, lang anhaltendes Tuten kündete vom Ablegen des Transatlantikliners. Gemächlich entfernte er sich vom Kreuzfahrt-Terminal, schob sich vorbei an dem, was einmal die Elbphilharmonie werden soll, und passierte schließlich die Landungsbrücken, wo Henry und ich uns unter die Sehleute gemischt hatten. Der Versuch, ein Foto von Henry mit dem Dampfer im Hintergrund zu schießen, erwies sich als schwierig. „Ich bekomme ihn nicht drauf“, stellte ich fest, „er ist einfach zu breit!“ – „Wen meinst du?“, fragte Henry entrüstet, „doch nicht etwa meinen Bauch?“ – „Ich meine natürlich die Queen“, erwiderte ich. „Und warum sagst du dann ,er‘?“, beschwerte sich Henry. „Weil es ein Dampfer ist“, erklärte ich. Nun war Henry erst recht entrüstet: „Es? Es ist ein Dampfer? Die Queen ist ein ,Es‘? Das ist Majestätsbeleidigung!“ Ich blieb ungerührt: „Dieses schwimmende Luxushotel ist sowohl ein Er als auch ein Es – denn in erster Linie ist sie ein Schiff. Ein Linienschiff sogar.“ – „Das stimmt!“, bemerkte Henry. „Und weil die Queen ein Schiff ist, hat sie auch ein Recht darauf, wie eine Dame angesprochen zu werden. Alle Schiffe haben nämlich eines gemeinsam: Sie sind weiblich!“ Henry und das weibliche Geschlecht haben auch etwas gemeinsam: Es ist nicht leicht, ihnen zu widersprechen.

Passend zu diesem Ereignis stieß ich anderntags in einem Leserbrief auf folgende Frage: „Können Sie mir erklären, warum Schiffsnamen immer weiblich sind? Bei der Queen Mary sehe ich das ja ein, aber bei Namen wie Columbus, Peter Pan oder Deutschland vermisse ich die Logik!“

Mit Logik ist dieser Frage auch nicht beizukommen. Schiffe müssen keine Queen oder Princess of the Seas sein, um als weiblich zu gelten. Auch der nukleargetriebene, testosterongesteuerte Flugzeugträger „USS Ronald Reagan“ ist als „die Reagan“ im Einsatz. Tatsächlich hat der Taufname des Schiffes auf das Geschlecht keinen Einfluss. Das war jedoch nicht zu allen Zeiten so. Im Mittelalter noch richtete sich das Geschlecht des Schiffsnamens nach dem Namensgeber, der oft ein Heiliger war. 1471 kaufte die Hanse ein Schiff für den Krieg gegen England, das als der Peter von Danzig bekannt wurde.

Da in späteren Jahrhunderten die englische Seefahrt tonangebend wurde und die deutsche Seefahrt viele Begriffe aus dem Englischen übernahm, liegt die Vermutung nahe, dass auch bei der Geschlechtsbestimmung von Schiffen die Engländer als Vorbild gedient haben. Denn auch im Englischen sind Schiffe weiblich. Und das ist recht außergewöhnlich, zumal alle anderen Dingwörter im Englischen sächlich sind. Die Einteilung in männlich oder weiblich wird sonst nur beim Menschen und bei geliebten Haustieren vorgenommen. Alles, was nicht auf zwei Beinen geht oder wenigstens lieb gucken kann, ist ein „it“-Wort. Schiffe aber sind „she“-Wörter.

Offenbar haben die Seeleute ihr Schiff als etwas Weibliches empfunden. Die rundlichen Formen des Schiffsbauchs (die im Mittelalter noch stärker ausgeprägt waren als heute) mögen dazu beigetragen haben. In Ermangelung weiblicher Begleitung wurde das Schiff zu ihrer Geliebten: Es musste von ihnen auf Kurs gebracht, im Sturm gebändigt und täglich geschrubbt werden. Es musste rund um die Uhr bewacht und notfalls mit dem Leben verteidigt werden. So etwas tun Männer sonst nur für ihre Frau – oder für ihr Auto. Im Englischen kamen daher auch Autos zu einem weiblichen Geschlecht. Mit der Frage „Isn‘t she beautiful?“ kann ein Brite sowohl seine Frau als auch sein Auto meinen, da gilt es genau aufzupassen.

Im Französischen hingegen sind Schiffe männlich. Hatten französische Seeleute womöglich eine weniger leidenschaftliche Beziehung zu ihrem Schiff als englische und deutsche Matrosen? Keineswegs. Auch fehlte es ihnen gewiss nicht an der nötigen Fantasie, um in einem Schiff etwas Weibliches zu erkennen. Aber im Französischen hielt man sich an das Geschlecht des Wortes „Schiff“, und das französische Wort für Schiff ist männlich: le navire. Ihr Heimatland ist für die Franzosen weiblich: la France. Doch wenn ein Schiff danach benannt wird, heißt es le France. Hätte sich das französische Prinzip, bei dem sich die Namen nach dem Geschlecht des Wortes „Schiff“ richten, auch in Deutschland durchgesetzt, dann wären heute für uns alle Schiffsnamen sächlich: das Titanic, das Queen Mary 2, das Bounty.

Stattdessen hat sich bei der Geschlechtsbestimmung deutscher Schiffe die englische Praxis durchgesetzt. Diese war aber nicht immer unumstritten. Kaiser Wilhelm II. missfiel es, dass Schiffe, die nach männlichen Personen benannt waren, einen weiblichen Artikel trugen. Zu jener Zeit hatte der Chauvinismus in Deutschland Hochkultur, und Schiffe bekamen Namen wie „Friedrich der Große“, „Graf Goetzen“, „Von der Tann“ und „Großer Kurfürst“. Als die Reederei Hapag 1912 ihren bis dahin größten Passagierdampfer auf den Namen „Imperator“ taufen ließ, geschah dies auf ausdrücklichen Wunsch des Kaisers mit männlichem Artikel: Das Schiff sollte der „Imperator“ und nicht die „Imperator“ genannt werden. Dann brach der Erste Weltkrieg aus, das Kaiserreich ging unter, und damit auch der Versuch, Schiffsnamen auf männlich zu trimmen.

So kommt es, dass wir heute selbst dann von „die“ sprechen, wenn ein Schiff einen so geschlechtsneutralen Namen wie „Mein Schiff“ trägt. Da hilft auch kein Jammern, nicht einmal bei Windjammern: Der wohl bekannteste Windjammer, das Segelschulschiff der Bundesmarine, trägt den Namen des Schriftstellers Gorch Fock und ist dennoch eine „sie“.

Das Ganze ist zwar nicht logisch, hat aber seine unbestreitbaren Vorzüge: Wenn irgendwo von „die Rheinland“ oder „die Taunus“ die Rede ist, weiß man sofort, dass es sich nur um Schiffe handeln kann. (Oder um jemanden, der mit den Geschlechtern im Deutschen auf dem Kriegsfuß steht.)

Als wir uns später die Fotos vom Auslaufen der „Queen Mary 2“ ansahen, stellte Henry fest: „Du hast Recht, er ist wirklich ganz schön breit!“ – „Wen meinst du mit er“, fragte ich, „den Transatlantikliner? Den Dampfer?“ – „Nein“, sagte Henry und seufzte: „Meinen Bauch!“

(c) Bastian Sick 2012


Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod, Folge 5“ erschienen.

Mehr zum Thema der/die/das: Warum ist der Rhein männlich und die Elbe weiblich?

Der, die, oder das Nutella: Krieg der Geschlechter

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