Donnerstag, 18. April 2024

Abschied von Lila-Grün

Sie glauben, Sie kennen sich aus mit den Farben in der Politik? Rot für links, schwarz für rechts, dazwischen und daneben gelb, grün, dunkelrot, blassrosa, taubengrau und igittibraun… Aber wofür bitteschön steht blau, und was kommt raus, wenn man die Farben mischt? Werfen wir doch mal einen Blick zu unseren Nachbarn im Westen.

Was dem Hobby-Soziologen die Schubladen, das sind dem Amateur-Politologen die Farbtöpfe. Wann immer der Name einer Partei ins Spiel kommt, wird flugs zum Pinsel gegriffen und das erwähnte Lager mit einem knalligen Anstrich versehen: rot, gelb, schwarz, grün, grau, bunt – was die Palette hergibt. Es ist wie mit den Brandzeichen bei Rindern: Keine Gruppierung, Absplitterung, Vereinigung oder Bewegung, die ohne Farbmarkierung frei herumlaufen dürfte. Da entstünde ja das völlige Chaos, und niemand würde sich mehr zurechtfinden.

Farben schaffen Klarheit. Sie sind Erkennungszeichen, Signal und – wichtig für Journalisten – Synonym. Die Kommunisten haben den Anfang gemacht, sie wählten die Farbe Rot, weil die so schön kämpferisch und leidenschaftlich wirkt, die Konservativen wurden schwarz, weil dies die Farbe der Kirche war, die Ökos tarnten sich mit dem Grün des Waldes, und wer von den Liberalen spricht, hat meistens die Farbe Gelb im Kopf.

Diese ist schön grell und knallig, historisch betrachtet aber nicht eben positiv besetzt: Gelb galt lange Zeit als „Schandfarbe“ und war in der Tracht Juden, Dirnen und Ketzern vorgeschrieben. Vielleicht haben die Liberalen das Gelb aber auch von den Kirgisen, denn bei denen ist es die Farbe der Trauer und der Gedankenversunkenheit. Und traurig war in den letzten Jahren schließlich so manches Wahlergebnis der Liberalen, was genügend Grund zu Grübeleien gab. Doch außerhalb Deutschlands sind Liberale oft alles andere als gelb – nämlich blau. So zum Beispiel in den Niederlanden und in Belgien. Darum trägt die FDP zusätzlich zur Farbe Gelb auch noch Blau, gewissermaßen als Untertitel, damit sie auch im Ausland verstanden wird.

In Belgien haben im Mai die Liberalen und die Sozialdemokraten die Parlamentswahlen gewonnen. Prompt schrieb ein deutscher Redakteur von einem „Wahlsieg für Gelb-Rot“. Nur sind die belgischen Liberalen eben nicht gelb, sondern blau, aber wer könnte sich hier zu Lande auch schon etwas unter einer blau-roten Koalition vorstellen? Vielleicht ist der schnelle Griff zum Farbtopf doch nicht immer ganz so ratsam. Wer die Parteienlandschaft unserer westlichen Nachbarn mit Hilfe von Farben erklären will, muss sich nämlich in der Farbenlehre auskennen.

Wim Kok, von 1994 bis 2002 Ministerpräsident der Niederlande, führte eine sozialliberale Koalition an. Die Niederländer nannten sie aber nicht rot-blau, sondern mischten die beiden Farben kurzerhand zusammen. Und rot und blau ergibt? Richtig: violett. So wurde Koks Kabinett „Paars“ genannt, das niederländische Wort für violett.

Vor der Wahl hatten die Belgier sogar eine Dreierfarbkombi aus blau, rot und grün, verkürzt „paars-groen“, „lila-grün“, genannt. Einmal mehr zeigt das alte Europa, dass es vielfältiger ist als die USA, wo das Farbspektrum vom amtierenden Präsidenten auf Schwarz und Weiß reduziert worden ist.

In Großbritannien, dem Land, in dem bekanntlich vieles, wenn nicht gar alles verkehrt herum funktioniert, bedeuten auch die Farben etwas anderes: Blau steht dort für die Konservativen, und die sozialliberale Koalition der Schotten ist rot-rot-gelb, da die Liberalen die Farben rot und gelb tragen. Gelb als Solofarbe ist schon von den schottischen Nationalisten besetzt, und wer im Vereinten Königreich von „Rot-Grün“ spricht, der hat womöglich nicht Sozis und Ökos, sondern die walisischen Nationalisten im Sinn.

Wer im europäischen rot-gelb-grün-lila-blauen Durcheinander den Überblick zu verlieren droht, der ist möglicherweise besser beraten, den Pinsel aus der Hand zu legen und die Parteien einfach bei ihrem Namen zu nennen.

 (c) Bastian Sick 2003


Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ erschienen.

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