Donnerstag, 18. April 2024

Alle Vögel sind schon da

Frühling liegt in der Luft! Man kann ihn riechen, sehen und hören. Seine beliebtesten Vorboten sind die Vögel. Seltsam, dass sie in unserem Wortschatz so schlecht wegkommen: Vögel dienen als Platzhalter für Dummköpfe, Verrückte, Verbrecher und sogar für den Teufel.

Im Allgemeinen sind Vögel bei den Menschen sehr beliebt. Ausgenommen vielleicht Krähen und Elstern, die noch immer ein gewisses Imageproblem haben. Und Tauben, wenn sie uns von oben herab bekleckern. Die meisten Vögel aber mögen wir, wir schätzen ihre Eleganz, ihre Leichtigkeit, ihren Nesttrieb, ihren Familiensinn. Wir bewundern ihr schillerndes Gefieder und ihren Gesang. Und seit ewigen Zeiten beneiden wir sie um die Fähigkeit zu fliegen.

Die Vögel haben einen festen Platz in dieser Welt und auch in unserer Sprache. Vögel beflügeln unseren Wortschatz. Es gibt viele Redewendungen, in denen Vögel vorkommen. „Mein lieber Schwan!“, sagt man zum Beispiel, wenn man ganz besonders erstaunt ist. Das geht auf eine Oper von Richard Wagner zurück, in der sich ein gewisser Herr Lohengrin von einem Schwan übers Wasser ziehen lässt und nach der Ankunft die Arie anstimmt: „Nun sei bedankt, mein lieber Schwan!“

Auch der Kuckuck musste für viele Redensarten herhalten. Wenn es irgendwo drunter und drüber geht, sagt man: „Da ist der Kuckuck los!“ Damit war eigentlich der Teufel gemeint. Aber weil man früher Angst davor hatte, den Ihr-wisst-schon-wen beim Namen zu nennen, sagte man lieber „Kuckuck“. Daher auch der Ausdruck „Das weiß der Kuckuck“ und die Flüche „Hol’s der Kuckuck!“, „Zum Kuckuck nochmal!“ und „Scher dich zum Kuckuck!“.

Daneben flattern durch unsere Sprache zahlreiche „schräge Vögel“. Wer nicht ganz richtig im Kopf ist, bei dem piept es, wie man so schön sagt. Und warum piept es? Weil er einen Vogel hat! Und zwar nicht irgendeinen Vogel, sondern eine Meise. Wir freuen uns über Meisen im Garten und stellen für sie im Winter sogar Futterhäuschen auf. Aber wehe, jemand hat eine Meise im Oberstübchen!

Dann fehlt nicht mehr viel, und er ist ein „komischer Kauz“. So nennt man jemanden, der seltsam und verschroben ist. Das kommt wohl daher, dass Käuze immer ein bisschen verkniffen dreinschauen. Ein Kauz ist eine fusselige Eule, und Eulen sind bekanntlich nachtaktive Vögel. Deshalb wird ein Mensch, der den Tag verschläft und sich die Nächte um die Ohren schlägt, scherzhaft als „Nachteule“ bezeichnet. Das bevorzugte Revier der Nachteule sind Kneipen und Bars, die bis sechs Uhr morgens geöffnet haben.

Vögel sind eigentlich recht reinlich, sie putzen ständig ihr Gefieder und kremen sich mit Bürzeldrüsenfett ein. Dennoch nennen wir ein Kind, das sich schmutzig gemacht hat, einen „Dreckspatz“, und wenn es mit Farben wütet und Kleckse macht, dann wird es gar zum „Schmierfinken“. Früher nämlich hielt man den Finken für einen schmutzigen Vogel, weil er immer wieder dabei erwischt wurde, wie er in Pferdeäpfeln herumpickte. Dabei sind Pferdeäpfel ja sehr nahrhaft und werden auch gern als Dünger verwendet. Dennoch hat sich die Bezeichnung Schmierfink bis heute gehalten. Es gibt auch erwachsene Schmierfinken. Man versteht darunter einen lausigen Kunstmaler, einen anonymen Verfasser unanständiger Briefe oder jemanden, der nachts heimlich Häuserwände mit Graffiti verunstaltet.

Ein Mensch, der stets zu Scherzen aufgelegt ist, wird gern als „Spaßvogel“ bezeichnet. Otto Waalkes zum Beispiel ist ein berühmter Spaßvogel. Oder Cindy aus Marzahn. Im Käfig nebenan hockt der „Paradiesvogel“. So nennt man eine schillernde Persönlichkeit – meistens im Künstlermilieu anzutreffen – mit exotischen Manieren und ausgefallener Kleidung. Wer im Leben Glück hat, ist kein Vogel, sondern ein Pilz – ein „Glückspilz“. Ein Vogel ist, wer vom Pech verfolgt wird: ein Pechvogel. Wenn nicht gar ein „Unglücksrabe“. So wie Hans Huckebein, der Rabe aus dem Gedicht von Wilhelm Busch, der sich in einer Garnrolle verhedderte und dabei selbst strangulierte.

Wer dem Alkohol übermäßig zugetan ist, wird von anderen spöttisch „Schluckspecht“ genannt. Dabei sind Spechte eher fürs Hämmern als fürs Schlucken bekannt. Der Schluckspecht ist nicht der einzige alkoholabhängige Vogel in unserer Sprache. Es gibt auch noch die „Schnapsdrossel“. Nun ist diese Drossel in Wahrheit allerdings kein Vogel, sondern nur ein anderes, altes Wort für Kehle. Schnapsdrossel bedeutet also nichts anderes als eine Kehle, durch die ordentlich viel Schnaps rinnt. Das Wort Drossel in der Bedeutung „Kehle“ gibt es heute sonst noch in dem gruseligen Wort „erdrosseln“. Womit wir wieder bei Hans Huckebein wären, dem Raben, der sich aus Versehen selbst erhängt hat. Wenn das kein Paradoxon ist: ein erdrosselter Rabe!

Wann immer sich Schulden zu einem Berg türmen, sieht man ihn sprichwörtlich kreisen: den „Pleitegeier“. Der Pleitegeier stammt allerdings nur scheinbar aus der Vogelwelt, in Wahrheit kommt er aus dem Jiddischen, dort war der plejte gejer jemand, der pleiteging, also Bankrott machte. Wer kein Jiddisch verstand, hörte aus dem Wort gejer nicht den Geher heraus, sondern den Geier. Und so erklärt sich, dass dem gewöhnlichen Pleitier plötzlich Schnabel, Krallen und Flügel wuchsen.

Unsere Sprache kennt noch zahlreiche weitere Menschen in Vogelkostümen: Beim Ballett und im Karneval gibt es die „Hupfdohle“ – das ist ein abwertender Ausdruck für eine Tänzerin oder einen Tänzer. Die Dohle gibt es wirklich, es handelt sich um eine Singvogelart aus der Rabenfamilie.

Apropos Rabenfamilie: Eltern, die ihre Kinder vernachlässigen, nennt man „Rabeneltern“. Das geht auf eine falsche Deutung der Natur zurück: Junge Raben verlassen das Nest, bevor sie fliegen können, und hüpfen daher zunächst noch etwas unbeholfen auf dem Boden umher. Die Menschen dachten früher, die Rabenjungen seien von ihren Eltern aus dem Nest gestoßen worden. In Wahrheit kümmern sich Rabeneltern nicht weniger liebevoll um ihre Brut als andere Vogelarten. Am Boden sind die jungen Raben sicherer als im Nest, wo sie zur leichten Beute für räuberische Falken werden können.

Das Gegenteil der Rabenmutter ist die „Glucke“. Die Gluckenmutti zeichnet sich durch übertriebene Fürsorglichkeit aus. Und wo die Glucke gluckt, ist der „eitle Gockel“ nicht weit. Als solchen bezeichnet man einen Angeber und Blender, jemandem, bei dem stets die Gefahr besteht, dass er sich „mit fremden Federn schmückt“.

Wachteln sind Hühnervögel, die früher gern gejagt wurden. Ihr zartes Fleisch und ihre Eier galten als Delikatesse. Heute ist die Jagd auf Wachteln verboten. Darüber freut sich besonders die „Spinatwachtel“. Die war allerdings weder bedroht noch wurde sie gejagt, höchstens mal zum Teufel, denn eine Spinatwachtel ist eine alte, hagere Frau, die etwas schrullig ist. Ihre Cousine ist die „Schnepfe“. Ihre Cousine ist die Schnepfe. In freier Natur ist die Schnepfe ein zierlicher Vogel, mit einem Schnabel so lang und dünn wie ein asiatisches Essstäbchen. Bei uns Menschen ist die Schnepfe eine Frau, die allen auf die Nerven geht. Daneben kennt man noch die „blöde Gans“, die „dumme Pute“, das „blinde Huhn“ und die „lahme Ente“ – allesamt arme Spottvögel.

Auch der menschliche Körper hat vieles vom Vogel. Manche Menschen haben Storchenbeine, andere eine Habichtsnase und wieder andere ein Spatzenhirn. Wenn uns gruselt oder friert, bekommen wir eine Gänsehaut. Und irgendwann bekommt man um die Augen Krähenfüße und an den Füßen Hühneraugen. Ein sprachliches Wunder: Den Augen wachsen Füße und den Füßen Augen – den Vögeln sei Dank!

Es gibt vieles, was uns mit Vögeln verbindet. Manchmal sehen wir aus wie frisch aus dem Ei gepellt, wir können Nesthäkchen sein oder flügge werden und verliebt sein wie die Turteltauben. Wir mögen keine Nestbeschmutzer und ziehen die Freiheit einem Leben im goldenen Käfig vor. Manchmal müssen wir Federn lassen, wir können uns mausern und manchen Höhenflug erleben. Wenn wir gierig sind, dann geiern wir, und wenn uns übel ist, dann reihern wir. Was uns jedoch am auffälligsten mit den Vögeln verbindet: Wir reden am liebsten so, wie uns der Schnabel gewachsen ist.

(c) Bastian Sick 2012


Zum Fotoalbum: Lauter schräge Vögel

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Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod, Folge 5“ erschienen.

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