Mittwoch, 27. März 2024

Babylonische Namensverwirrung

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Großer Turmbau zu Babel von Pieter Brueghel, 1563

Und der Herr stieg hinab und verwirrte ihre Sprache, damit keiner mehr den anderen verstehe. Wie immer leistete er ganze Arbeit. Den Rest erledigten die Amerikaner. So wirkt die Verwirrung, die über die Babylonier kam, bis heute nach. Vor allem herrscht Unklarheit darüber, wie das Volk zwischen Euphrat und Tigris wirklich heißt.

Zugegeben, kaum ein Wortfeld ist so unübersichtlich und mit so vielen Unregelmäßigkeiten und Ausnahmen übersät wie das der Ländernamen und ihrer Ableitungen. Wenn die Engländer keine Engel sind, warum heißen dann die Finnen nicht Finnländer? Und warum nennen wir unsere Nachbarn im Südwesten nicht Frankreicher? Die im Südosten heißen ja schließlich auch nicht Österrosen! Je weiter man in die Ferne schweift, desto komplizierter wird es: Monegassen, Andorraner, Togolesen, Jemeniten, Venezolaner, da verliert man schnell die Übersicht. Nie aufhören wird der Streit, ob die Bewohner Zyperns Zyprioten oder Zyprer heißen. Die Uno vermittelt seit Jahrzehnten vergeblich…

Wo das Schulwissen versagt, bildet der Mensch Analogien. Fernöstliche Völker enden gerne mal auf „-esen“, daher werden die Bewohner Taiwans fälschlicherweise oft Taiwanesen genannt, zumal sie doch Chinesen sind. Dass es in Wahrheit schlicht und einfach „Taiwaner“ heißt, steht zum Beispiel im Duden. Genauso wenig heißen die Bewohner der chinesischen Hauptstadt Pekinesen. Außer -esen nichts gewesen mit der Analogie.

Der jüngste Krieg im Mittleren Osten hat ein Volk in den Mittelpunkt des Interesses gerückt, das von den Amerikanern „The Iraqis“ genannt wird. Prompt hört man deutsche Korrespondenten auf allen Kanälen über „die Irakis“ berichten. Vielleicht gilt ja die Regel, dass alle Völker des Nahen und Mittleren Ostens auf „-is“ enden: Israelis, Saudis, Kuweitis, Pakistanis? Aber was ist dann mit den Syrern und Jordaniern? Die Sache verhält sich wie so oft komplizierter als gewünscht: Nur zwei -is von vieren sind richtig. Die Bewohner Kuweits heißen Kuweiter, und Pakistanis sind im Deutschen Pakistaner. Auch hier hilft das Analogisieren nicht weiter, und Abschreiben von den Amerikanern schon gar nicht.

Selten sind Fälle, in denen der Duden mehrere mögliche Namen vorsieht, wie für die Tibeter, die auch als Tibetaner geführt werden. (Aber nicht als Tibetesen…) Wer Mühe hat, Slowenen und Slawonen auseinander zu halten, der wird beruhigt sein, dass wenigstens Burmesen und Myanmarer dasselbe sind.

Den „Irakis“ bleibt im Deutschen indes nur die Benennung als Iraker, alles andere kommt nicht in die Tütis. Deswegen braucht jetzt aber niemand Azubis in Azuber umzutaufen.

(c) Bastian Sick 2003


Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ erschienen.

 

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