Mittwoch, 27. März 2024

Das unbeugsame „ein“

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ILLUSTRATION: KATHARINA M. RATJEN

Wird „ein und dasselbe“ im Dativ zu „einem und demselben“? Sollte man wirklich nur „ein bis zwei Tage“ warten und nicht besser „einen bis zwei Tage“? Kann man „dem ein und andern“ vertrauen, oder müsste es nicht „dem einen und anderen“ heißen? Erfahren Sie alles über ein eigenwilliges „ein“, das sich partout nicht beugen will. 

Das ein oder andere Mal schon wurde ich gefragt, ob man das „ein“ in „ein und dasselbe“ nicht beugen müsse. Und ein ums andere Mal lautete die Antwort: Nein, das „ein“ wird nicht gebeugt.

Ob man an „ein und denselben Tag“ denkt, für „ein und dieselbe Person“ gehalten wird oder sich an „ein und demselben Ort“ aufhält – „ein“ bleibt stets unveränderlich.

Es gibt eine Handvoll feststehender Wendungen mit dem Zahlwort „ein“, bei denen „ein“ sich als unbeugsam erweist. Die Sprachwissenschaft nennt es „indeklinabel“. Das klingt wie „indiskutabel“ oder „inakzeptabel“, und das trifft es auch, denn das „ein“ lässt in diesen Fällen nicht mit sich diskutieren und ist nicht willens, die üblichen Regeln zu akzeptieren. Statt in die Knie zu gehen und sich zu beugen, bietet es der Grammatik trotzig die Stirn.

Zum Beispiel in „das ein oder andere Mal“ oder in „ein ums andere Mal“ und erst recht in „ein für alle Mal“. Jedes Mal zeigt sich das „ein“ von seiner unbeugsamen Seite.

In anderen Fällen hat sich parallel zur erstarrten Form auch eine gebeugte entwickelt, sodass uns zwei mögliche Formen zur Auswahl stehen: Man kann „die ein oder andere Gelegenheit“ wahrnehmen oder „die eine oder andere Gelegenheit“. Man kann „mit dem ein oder anderen Gast“ plaudern oder „mit dem einen oder anderen Gast“. Hier gibt es kein richtig oder falsch, sondern allenfalls eine unterschiedliche Empfindung. Die ungebeugte Form wird als abstrakter empfunden; die gebeugte als konkreter.

Steht „ein“ vor einer Maßangabe, ist es keinesfalls unbeugsam. Das Baden „in ein Liter Wasser“ ist genauso unbefriedigend wie der Fallschirmsprung „aus ein Meter Höhe“. Wenn „ein“ die alleinige Zahlenangabe ist, wird es gebeugt. Man badet folglich „in einem Liter Wasser“ und springt „aus einem Meter Höhe“.

Doch wenn sich zu „ein“ ein zweites Zahlwort (zum Beispiel „zwei“) gesellt, so wie in „ein bis zwei Meter“, dann ändert sich die Situation: Das Gezählte steht plötzlich im Plural, und das bringt „ein“ in eine unangenehme Lage, denn wie soll es sich vor einem Mehrzahlwort sinnvoll beugen? Also greift es zu einem alten Trick aus der Natur und stellt sich starr.

Aus einem Tag „mit ein, zwei Schauern“ muss also kein Tag mit „einem, zwei Schauern“ werden, das klänge ungewohnt, wenn nicht schauerhaft. Wohnungen „für ein bis zwei Personen“ entsprechen genauso dem sprachlichen Standard wie Familien „mit ein oder zwei Kindern“. Wer Wohnungen „für eine bis zwei Personen“ und Familien „mit einem oder zwei Kindern“ bevorzugt, gilt als „hyperkorrekt“, und das ist nicht als Kompliment aufzufassen, denn „hyper“ bedeutet in diesem Fall „des Guten zu viel“.

Wir alle kennen die „Märchen aus tausendundeiner Nacht“ und haben uns vielleicht schon mal gefragt, warum es bei einer so hohen Zahl von über tausend nicht „Nächte“ heißt. Die Änderung des Titels in einen Plural wäre kulturgeschichtlich zwar ein Sakrileg, grammatisch aber keinesfalls undenkbar. Verwandeln wir die Nacht also in Nächte.  Und – Simsalabim – haben wir wieder das Problem, dass „ein“ vor einem Mehrzahlwort steht, wo es sich nicht beugen lässt. Weder kann es „Märchen aus tausendundeiner Nächten“ heißen noch „Märchen aus tausendundeinen Nächten“. Viele würden vielleicht denken, es müsse „Märchen aus tausendundeins Nächten“ heißen. Doch die Lösung liegt in der Unbeugsamkeit. Die richtige Antwort lautet: „Märchen aus tausendundein Nächten“.

Hundertundein_Dalmatiner_bearbeitetUnd was für tausend gilt, gilt natürlich auch für hundert: „Hundertundein Dalmatiner“ lautet der Titel eines berühmten Zeichentrickfilms von Walt Disney, nicht „Hunderteins Dalmatiner“, wie oft vermutet wird, weil die Zahl im Filmtitel nicht ausgeschrieben, sondern mit Ziffern wiedergegeben wird. Auf dem Umschlag der Buchvorlage kann man sie noch ausgeschrieben lesen: Die deutsche Übersetzung des Romans  „The Hundred and One Dalmatians, or the Great Dog Robbery“ von Dodie Smith erschien 1958 unter dem Titel „Hundertundein Dalmatiner“ im Süddeutschen Verlag.

Das „und“ kann übrigens getrost wegfallen: Ob „hundertein“ oder „hundertundein“ spielt keine Rolle. Doch es spielt eine große Rolle, ob das Zahlwort „hundertein“ oder das Zählwort „hunderteins“ gefragt ist. Der Unterschied ist genauso groß wie zwischen „ein“ und „eins“: „Hunderteins Dalmatiner“ sind im Hunderterbereich das, was im Einerbereich „eins Dalmatiner“ oder „eins Hund“ wären – nämlich unkorrektes Deutsch.

Das Wissen um das unbeugsame „ein“ geht jedoch verloren, die überwältigende Mehrzahl hält „hunderteins Dalmatiner“ heute für korrekt. Irgendwann wird der letzte der „hundertein“-sagenden Dalamatinerfreunde verschwunden sein, und der Duden wird „hunderteins Dalmatiner“ für korrekt erklären. Vielleicht wird sich das unbeugsame „ein“ eines Tages geschlagen geben müssen und sich dem Willen der Beugungswilligen beugen. Von diesem Tage an wird meine Sprache nicht mehr mein ein und alles sein, sondern mein eins und alles.

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3 Kommentare

  1. Werner Glanert

    Hallo Herr Sick, ich nehme an, Baden in ein Liter Wasser oder ein Fallschirmsprung aus ein Meter Höhe ist auch aus nicht-grammatischen Gründen unbefriedigend. Aber das sei nur nebenbei bemerkt.
    Ansonsten war der Artikel wieder sehr aufschlussreich: In den meisten Punkten hat er mich bestätigt; aber auch ich habe geglaubt, dass es „hundert(und)eins“ bzw. „tausend(und)eins“ heißt.
    Mit freundlichen Grüßen
    Werner Glanert

  2. Eckhard Stengel

    Kennen Sie schon die Formulierung „Der eine oder die andere“? Das halte ich für eine sehr elegante Methode, um unaufdringlich etwas für die Geschlechtergerechtigkeit zu tun.

  3. Geben Sie Ihren Schlüssel „dem einen oder anderen“ Ihrer Nachbarn, haben Sie gut Vertrauen in die Gewählten. Wenn Sie den Schlüssel aber „dem ein oder anderen“ geben, dann können Sie eigentlich gleich die Tür offen lassen. So zumindest kommt es hier rüber.

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