Mittwoch, 27. März 2024

Deutschland, deine Apostroph’s

Über dem hölzernen Kahn prangte in grellen Neonbuchstaben der Schriftzug „Noah’s Arche“. Und sie kamen alle: Petra’s Hamster, Susi’s Meerschweinchen, Indien’s Elefanten, Australien’s Känguru’s, selbst Marabu’s und Kolibri’s. Sie flohen vor dem alles verheerenden Häk’chen-Hagel. Doch es war zu spät: Die Welt versank, und übrig blieb am Ende – nicht’s.

Zähneknirschend nahm man es hin, dass im trüben Fahrwasser der Rechtschreibreform mit einem Mal „Helga’s Hähncheneck“ und „Rudi’s Bierschwemme“ höchste Weihen erhielten und offiziell sanktioniert wurden. Der von vielen gescholtene so genannte Deppen-Apostroph war über Nacht salonfähig geworden. Nun ja, vielleicht noch nicht salonfähig, aber zumindest imbissbudenfähig.

Wenn Oma morgens ihr kleines Restaurant aufschließt und die Beleuchtung einschaltet, braucht sie sich nicht mehr zu schämen, dass draußen die mondäne Aufschrift „Oma’s Küche“ prunkt. Stolz erhobenen Hauptes kann sie sagen: „Was habt ihr denn? Ist doch richtig so! Steht sogar im Duden’s!“

Tatsächlich: Dort – wie auch in anderen Standardwerken zur deutschen Sprache – heißt es in Übereinstimmung mit den neuen amtlichen Regeln: „Gelegentlich wird das Genitiv-s zur Verdeutlichung der Grundform des Namens auch durch einen Apostroph abgesetzt.“

Man beachte die Wortwahl: gelegentlich. Das klingt wie: „Einige können es eben nicht lassen.“ Und um sein Unwohlsein noch deutlicher zum Ausdruck zu bringen, fügt der Duden fast trotzig an: „Normalerweise wird vor einem Genitiv-s kein Apostroph gesetzt.“

Ach ja, die gute alte Normalität! Als „Clarissa’s Hairstudio“ noch „Frisörsalon Lötzke“ hieß – wo ist sie hin?

„Man sieht sich immer zweimal!“, weissagte der sächsische Genitiv nicht ohne Häme, als er sich anschickte, im Gefolge der Angeln und Sachsen nach Britannien auszuwandern. Er sollte Recht behalten. Er kehrte zurück – und wie! Doch kurioserweise nicht aus dem Westen (wo man allgemein den Ursprung aller Anglizismen vermutet), sondern aus dem Osten. Denn im Verbund mit D-Mark und Marktwirtschaft wurde nach der Wende in Ostdeutschland auch der Apostroph eingeführt. Keine Geschäftseröffnung, kein neues Ladenschild ohne das obligatorische Häkchen. Die Apostroph-Euphorie schwappte in den Westen zurück und schwappt seitdem gesamtdeutsch hin und her, vorzugsweise in den seichten Niederungen des „Internet’s“.

„Seither hat sich dieser Genitiv, der bis dahin bei Becks Bier und ein paar vergleichbaren Labels ein leise belächeltes Exotendasein geführt hatte, wie die Schwarzen Blattern ausgebreitet“, stöhnte die „Süddeutsche Zeitung“ in einem „Streiflicht“ im Jahre 1998.

Nun, es scheint, als müssten wir mit diesen Blattern leben. Wir haben uns an Phänomene wie Modern Talking und die „Oliver Geissen Show“ gewöhnt und an Wörter wie „Airline“, „Basement“ und „Lifestyle“ (Wer sagt schon noch Fluglinie, Untergeschoss und Lebensart?), also werden wir auch damit fertig.

Doch es ist wie immer im Leben: Kaum hat man sich mit dem einen Schicksalsschlag abgefunden, da zieht schon die nächste Katastrophe herauf. Mit erschreckender Geschwindigkeit breitet sich eine neue, noch schlimmere Apostrophenpest in Deutschland aus. Befallen ist diesmal nicht der Genitiv, sondern der Plural.

Plötzlich liest man überall von „Kid’s“ und „Hit’s“ und wird permanent mit „Info’s“ bombardiert. Zunächst konnte man noch vermuten, dass diesem Kuriosum eine schlichte Verwechslung zugrunde liegt, zumal hauptsächlich aus dem Englischen stammende Wörter betroffen sind: Womöglich war das Plural-s für ein Genitiv-s gehalten worden.

Doch inzwischen werden auch andere Begriffe zer-apostrophiert: Der Obsthändler an der Ecke verkauft neuerdings Mangos und Kiwis, die Anzeigenblätter im Briefkasten werben für günstige CaravansKombis und extra dicke Pizzas, die Kids entpuppen sich als Mädels und Jungens, man ersteigert auf eBay modische Accessoires, überrascht einander mit lustig bedruckten T-Shirts, staunt über die Vielzahl von Teeauf der Getränkekarte, und wem mit Tees nicht gedient ist, der bestellt Kognaks oderMartinis. Im Hotelzimmer schaut man sich später ein paar Videos an, und bezahlt wird das Ganze selbstverständlich in Euros, und zwar bar, denn an vielen Kassen werden keine Schecks angenommen.

Halten Sie’s noch aus, oder müssen Sie schon wegschauen? Es kommt noch schlimmer:

Gar keine Aussicht auf Rettung besteht mehr für Abkürzungen. Lastkraftwagen (kurz: Lkw, auch in der Mehrzahl) sind zu „LKW’s“ geworden, Personenfahrzeuge werden entsprechend „PKW’s“ abgekürzt, und immer wieder stolpert man über „CD’s“ und „DVD’s“.

Liest man in der Sauna den Hinweis „Kein Schweiß auf’s Holz“, so brennt es einem in den Augen. Ebenso beim Anblick von Läden, die „Alles für’s Kind“ anbieten. Zwar ist der Apostroph hier überflüssig, aber immerhin scheint sich der Schildermaler noch was dabei gedacht zu haben. „Eigentlich heißt’s ja ‚auf das Holz‘ und ‚für das Kind‘, da mach’ ich vorsichtshalber mal’n Apo-dingsda, na, so’n Häkchen halt“, wird er sich gesagt haben – und schon war’s passiert. Lästig, aber lässlich. Aber viele Menschen setzen den Apostroph bereit’s auch dort, wo gar nicht’s ausgelassen wurde. Da! Haben Sie es bemerkt? Ist Ihnen nicht’s aufgefallen? Dann schauen Sie mal nach recht’s! Und dann noch mal nach link’s! Merken Sie es jetzt?

Manche Deutsche scheinen von der Vorstellung besessen, dass generell jedes „s“ am Wortende apostrophiert werden müsse. Als sei das Endungs-seigens dafür geschaffen, vom Wortstamm abgespalten zu werden. Dabei geht die Tendenz in der Standardsprache genau in die entgegengesetzte Richtung: Nicht immer mehr,

sondern immer weniger Apostrophs empfiehlt die neue amtliche Regelung. „Ich sing’ ein Lied“ und „Mir geht’s gut“ kann, darf oder sollte heute „Ich sing ein Lied“ und „Mir gehts gut“ geschrieben werden.

Doch die Gemeinde der Neu-Apostrophiker wächst und wächst. Sie setzt den Apostrophstets und überall, nirgends ist man noch vor ihm sicher. Und weil das abgespaltene Endungs-s manchen noch nicht reicht, machen sie das Häkchen auch vor „z“ und „n“ und überhaupt vor allem, was am Wortende steht. Schon wurden an mehreren Stellen in Deutschland Schilder mit der Aufschrift gesichtet: „Futter’n wie bei Mutter’n“. Ist das moder’n – oder einfach nur depper’t? Wohin soll das noch führen? Droht die totale Apostrophe? Der alles verheerende Häk’chen-Hagel? Oder stecken wir schon mittendri’n? Na dann Pros’t, du Volk der Dichte’r und Denke’r!

(c) Bastian Sick 2004


Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ erschienen.


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Ein Kommentar

  1. „Infos“ ist ja bereits ohne Apostroph hinreichend hässlich, von „Kids“ einmal ganz zu schweigen …

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