Donnerstag, 18. April 2024

Die weibliche Mut

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Mut ist von Alters her eine männliche Eigenschaft. Darum heißt es der Edelmut, der Freimut, der Hochmut. Klare Sache. Doch was ist mit Wörtern wie Anmut, Demut und Schwermut? Die sind weiblich! Sollte der Mut am Ende weniger männlich sein als gedacht?

Beim Erlernen einer Fremdsprache ist man überaus dankbar, wenn man anhand bestimmter Endungen das Geschlecht eines Wortes erkennen kann. Im Italienischen zum Beispiel gilt die Regel, dass Wörter, die auf -o enden, fast immer männlich sind: il vino, il cappuccino, il palazzo. Wörter auf -a hingegen sind — bis auf wenige Ausnahmen — weiblich: la gondola, la signora, la pizza.

Auch im Deutschen gibt es Endungen, die auf das Geschlecht eines Hauptwortes hindeuten. Wörter, die auf -ung enden, sind ausnahmslos weiblich: die Ahnung, die Berührung, die Zeitung. (Und wer jetzt einwenden will, das Wort „Kuhdung“ sei aber männlich, der läuft Gefahr, auszurutschen und in selbigem zu landen.)

Bei einigen Endungen ist die Zuordnung des Geschlechts jedoch alles andere als eindeutig. Wörter auf -tum sind mehrheitlich sächlich: das Brauchtum, das Königtum, das Wachstum. Das gilt aber nicht für das Wort „Reichtum“. Das Anhäufen von Reichtümern hatte offenbar schon immer etwas Männliches. Wer dahinter einen sprachlichen Chauvinismus vermutet, der sei getröstet: auch „der Irrtum“ ist männlich!

Einen schwankenden Gebrauch des Geschlechts kann man auch bei Wörtern mit der Endung -nis beobachten: Die meisten von ihnen sind sächlich, so auch das Ereignis und das Ergebnis; doch die Erlaubnis und die Erkenntnis sind weiblich. Nicht einmal bei einer so selten auftretenden Endung wie -sal gibt es eine hundertprozentige Verlässlichkeit: Schicksal und Labsal sind sächlich, Mühsal und Trübsal sind weiblich.

Ein besonderes Interesse wecken Wörter, die auf -mut enden. Immer wieder wollen Leser von mir wissen, warum der Übermut und der Edelmut männlich seien, die Wehmut und die Schwermut aber weiblich. „Mut“ sei doch ein männliches Wort, warum sind dann nicht auch alle Zusammensetzungen männlich? Die Frage ist berechtigt — und nicht ganz leicht zu beantworten. Das Geschlecht hängt nämlich von der Qualität der jeweiligen Eigenschaft ab. Wobei die Grammatik hier nicht zwischen guten (z.B. Edelmut, Freimut, Sanftmut) und schlechten (z.B. Missmut, Wankelmut, Unmut) Gemütszuständen unterscheidet, sondern zwischen lauten und leisen. Genauer gesagt zwischen nach innen gekehrten und nach außen gekehrten.

„Extrovertierte Affektbegriffe sind meist maskulin, introvertierte meist feminin“, heißt es in einem Grammatikwerk. Ob solch verblüffender Erkenntnis würde Mister Spock von der „Enterprise“ die Augenbrauen hochziehen und sagen: „Faszinierend!“ Welch ein Licht wirft dies wiederum auf das Verständnis von Männlichkeit und Weiblichkeit! Hochmut, Übermut und Wagemut werden als extrovertiert und männlich empfunden, Sanftmut, Wehmut und Schwermut als weiblich-introvertiert. Ob das noch zeitgemäß ist? Wenn ich drüber nachdenke, fallen mir mehr schwermütige Männer als Frauen ein, und die Zahl der mir bekannten edelmütigen Frauen dürfte nicht kleiner sein als die der edelmütigen Männer.

Viel rätselhafter aber ist für mich die Tatsache, dass eine derart feine Unterscheidung wie die zwischen extrovertierten und introvertierten Affekten bereits in früheren Jahrhunderten ihren Niederschlag in der Grammatik finden konnte. Woher nahmen die Menschen zu jener Zeit, als Wörter wie Hochmut, Kleinmut, Langmut und Großmut entstanden, jenes hoch entwickelte Sprachgefühl, das es ihnen erlaubte, zwischen nach innen und nach außen gewandten Eigenschaften zu unterscheiden? Heute kann zwar fast jeder Deutsche irgendwie lesen und schreiben, und jeder Zweite war auch schon mal im Fernsehen oder im Radio, aber nur die wenigsten sind in der Lage, ihre Gemütszustände zu beschreiben, geschweige denn, ihnen eine grammatische Qualität zuzuweisen.

Als ich das Phänomen der mutigen Wörter, die mal männlich und mal weiblich sind, vor einer 6. Schulklasse ansprach, meldete sich einer der Schüler ganz aufgeregt und rief: „Bei uns daheim ist das auch so! Meine Mama heißt Almut und mein Papa heißt Helmut!“

 

Die Mut / Der Mut
weiblich männlich
Anmut Edelmut
Armut Freimut
Demut Gleichmut
Langmut Kleinmut
Sanftmut Lebensmut
Schwermut Missmut
Wehmut Todesmut
Großmut Hochmut
Übermut
Unmut
Wagemut
Wankelmut
„Mut“ in Zusammensetzungen wie
Heldenmut und Löwenmut

 

(c) Bastian Sick 2007

 


Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod, Folge 4“ erschienen.

 

 

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10 Kommentare

  1. Sie gebrauchen in obiger Abhandlung das Wort „extrovertiert“, wie man es heutzutage immer häufiger sieht.
    In seinem grundlegenden Werk „Psychologische Typen“ spricht C.G. Jung, der m.W. diesen Begriff geschaffen hat, noch von „extravertiert“. Warum sollte „extrovertiert“ besser sein?

  2. Soweit ich weiß, hat das „Mut-Wort“ im Gotischen alternativ auch die Bedeutung „Zorn“ gehabt, was vielleicht auch dem deutschen „sein Mütchen kühlen“ zugrundeliegt. Apropos -ung, die Schweden haben einen männlichen Kung 😉

    • Die Wendung „sein Mütchen kühlen“ kommt vom Wort „Gemüt“– laut Duden eine mittelalterliche „Kollektivbildung“ für die Gesamtheit der seelischen Empfindungen. Das „Gemüt“ ist seinerseits eine Ableitung vom Wort „Mut“, gehört also in die Familie der „Mut“-Wörter wie auch „mutig“, „mutlos“, „zumute“, „wohlgemut“ und „gemütlich“.

  3. Hallo Herr Sick, können Sie denn auch erklären, warum manche der in Ihrer Tabelle genannten Substantive ihre Adjektivform auf -mutig und andere auf -mütig bilden, sowohl in der linken als auch in der rechten Spalte? Also z.B. „anmutig“, aber „demütig“ ?

    • Die Wendung „sein Mütchen kühlen“ kommt vom Wort „Gemüt“– laut Duden eine mittelalterliche „Kollektivbildung“ für die Gesamtheit der seelischen Empfindungen. Das „Gemüt“ ist seinerseits eine Ableitung vom Wort „Mut“, gehört also in die Familie der „Mut“-Wörter wie auch „mutig“, „mutlos“, „zumute“, „wohlgemut“ und „gemütlich“.

  4. Baninchenrenner

    Nun ja, mit der Unterscheidung in männlich, weiblich und sächlich ist das ja so eine Sache im Deutschen. Gibt es da wirklich nachvollziehbare Regeln? Ich möchte kein Fremdsprachler sein und im Deutschen das hier pauken müssen: Der Sand / die Wand / das Land. Oder: Der Bau / die Sau / das Tau. Das ist doch eine sinnlose Quälerei, die man sich da antun muss! Weiter geht’s: Der Rest / die Pest / das Nest … ach herrje: der Mut / die Wut / das Gut … bitte nicht: der Wein / die Pein / das Sein … zum Verzweifeln: der Graus / die Maus / das Haus … aufhören: der Kuss / die Nuss / das Muss … nun reicht’s aber: der Stier / die Gier / das Bier … Herr Sick, jetzt sagen Sie doch auch mal was!

    • Anny-Christa Schilling

      Jeder Deutsche, Herr Baninchenrenner, ist im Ausland ein
      Fremdsprachler ( außer Schweiz und Österreich).

  5. Norbert Braumann

    Aber DER WeitsprUNG über den Kuhdung 😉

    • Anny-Christa Schilling

      Aber:
      Die Weisung, einen Weitsprung über den Kuhdung zu wagen,
      wird mit einer Weigerung beantwortet werden.

  6. Anny-Christa Schilling

    Sehr schön ist der Satz
    „Heute kann zwar fast jeder Deutsche i r g e n d w i e
    lesen und schreiben…“

    Das ist es ja, was einen zum Lachen oder manchmal auch zum Heulen bringt! Es ist das IRGENDWIE! Herrlich!

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