Donnerstag, 18. April 2024

Haarige Zeiten

Die Zunft der Friseure besticht immer wieder durch gnadenlose Originalität. Ihr Reichtum an Ideen schlägt sich nicht nur in ausgefallenen Frisuren nieder, sondern auch in den Namen ihrer Salons. Die einen spielen „Cuts and Mouse“, die anderen machen Kopfsalat mit Löckchen. Bestaunen Sie die Haarchitektur des frisierten Humors.

„Deine Haare sind ja ganz schön lang geworden“, stellt mein Freund Henry fest, als wir uns nach meinem Mallorca-Urlaub im Café treffen. „Ist der Vokuhila-Look* jetzt wieder in?“ Darauf erwidere ich bloß: „Ich finde, solange der Mann noch Haare hat, kann er dies auch ruhig zeigen. Du trägst dein Hemd ja schließlich auch nicht immer bis oben zugeknöpft, Meister Petz.“

Henry schnaubt verächtlich: „Brustbehaarung ist männlich. Langes Haar hingegen ist hippieverdächtig!“ – „Du weißt doch, jede Mode kommt früher oder später zurück!“ – „Aber nicht immer will man das! Die Siebziger waren grausam!“ – „Die Achtziger fand ich schlimmer!“, sage ich, „erinnere dich nur mal an die Föhnfrisuren aus ,Dallas‘ oder an Modern Talking!“ – „An Modern Talking will ich mich nicht erinnern“, stöhnt Henry.

„Die Wahrheit ist, ich habe einfach keine Zeit, zum Friseur zu gehen“, sage ich. „Und wenn, dann wüsste ich auch gar nicht, zu wem ich gehen sollte.“ – „Du warst doch immer bei diesem Figaro bei dir um die Ecke – wie hieß der Laden noch gleich … Schni, Schna, Schnappi?“ – „Du meinst ,Schnippschnapp‘?“ – „Ja, genau!“, ruft Henry. Ich winke ab: „Der kann aber immer bloß den gleichen Fünf-Millimeter-Schnitt. Gegen ein bisschen mehr Einfallsreichtum hätte ich nichts einzuwenden.“

Offenbar in Schnippschnapp-Laune geraten, schnappt Henry sich ein Stadtmagazin und schlägt den Anzeigenteil auf: „Also, an Einfällen fehlt es unseren Friseuren nicht. Hier, wie wär’s mit dem: ,Querschnitt‘ – klingt doch witzig!“ – „Bist du sicher, dass das ein Friseur ist und kein Radiologe?“ – „Hier hab ich einen für dich: ,Lockenbaron‘. Klingt doch nobel! Und der hier ist auch nicht schlecht: ,Glückssträhnchen‘. Wolltest du nicht immer schon mal blonde Strähnchen haben?“ – „Aus dem Alter bin ich raus. Was ist mit dem da?“ – „Kopfgärtner? Das klingt zu harmlos! Bei deiner Matte brauchst du eher so einen wie den hier: ,Schopfgeldjäger‘.“ Ich sauge geräuschvoll an meinem Eiskaffee, während Henry umblättert und erstaunt brummt: „Kaum zu fassen. Haben die etwa alle so originelle Namen?“

Die Namenserfindungen der Friseure sind tatsächlich eine Kunstform für sich. Wortspiele mit dem Wort „Haar“ sind besonders beliebt: „Haut und Haar“, „Haar Genau“, „Haar Scharf“, „Haarlekin“, „Haarem“ und „Vier Haareszeiten“. In fast jeder größeren Stadt findet man heute einen Laden mit dem Namen „Haarmonie“, und in Aachen auch einen namens „Haarmoni“, denn die Inhaberin heißt mit Vornamen Monika. In Köln gibt es nicht nur eine Philharmonie, sondern auch eine „Philhaarmonie“. Ja, Friseure sind kreativ, in Berlin ist einer sogar „CreHaartiv“. Im Grunde sind sie ja Künstler, und einige sind sogar Zauberkünstler, so wie die Inhaber des Ladens „Haarbracadabra“. Nicht jeder kann Rinderbaron in Südamerika werden, mancher bringt es bloß zum Friseur in Eschwege. Auf seine eigene „Haarcienda“ braucht er trotzdem nicht zu verzichten.

Als ich kürzlich zum Hamburger Flughafen fuhr, zwang ich den Taxifahrer zu einer Vollbremsung, weil ich ein Friseurschild entdeckt hatte, das ich unbedingt fotografieren musste: „O Haara“. Geht’s noch witziger? Ja, es geht! In Berlin gibt es einen Friseursalon namens „Mata Haari“. In Köln gab es auch mal einen Laden namens „Haarakiri“ – aber der hat inzwischen wieder zugemacht. Vermutlich fanden die Kunden die Methoden doch zu radikal. Zu meinen Favoriten zählt der Berliner Salon „Haarspree“. In Wien gibt’s einen Laden namens „Haarchitektur“ und einen namens „GmbHaar“. Da lacht doch Kater Karlo: „Haar, haar, haar!“

Bei allem Einfallsreichtum gilt natürlich: Auch Friseure waschen nur mit Wasser – wie ein Laden in Paderborn beweist. Der nennt sich nämlich „Haar 2 O“. Gelegentlich darf auch das Arbeitsgerät des Friseurs als Namenspatron herhalten: Vom „Scherenschnitt“ über den „Kammpus“ bis hin zum „Fönix“ ist alles vertreten. Wo herrscht im Stadion die beste Stimmung? Natürlich – in der „Fönkurve“! Und wie nennt sich der Salon von Meister Sörensen in Nordfriesland? Logisch: Frisörensen! Und was so ein kleiner Buchstabendreher ausmachen kann, zeigt sich auf grandiose Weise bei „Zopf oder Kahl“.

Je dichter die Konkurrenz, desto wichtiger ist es für den Friseur, im Trend zu liegen. Und heutzutage lechzt bekanntermaßen alles nach Internationalität. Das merkt man schon daran, dass sich viele Friseure selbst lieber als Hairstylisten bezeichnen. Entsprechend findet man auch immer mehr englisch klingende Namen. „Cut ’n‘ Curl“ zum Beispiel oder „Delicut“. Lieben Sie Musicals? Dann kennen Sie bestimmt „My Hair Lady“! Wo lassen sich Filmemacher die Haare schneiden? Beim „Director’s Cut“! Wer sich in Los Angeles auskennt, der weiß, wo sich „Bel Hair“ befindet und wie man zum „Hairport“ kommt. Und wie nennt sich wohl der Friseur in der Nähe eines Luftwaffenstützpunktes? Natürlich: „Hairforce“!
Auf dem Gebiet der deutsch-englischen Mischformen eröffnen sich dem wortgewitzten Figaro schier unbegrenzte Möglichkeiten: „Hin und Hair“, „Vorhair/Nachhair“, „Hairliche Zeiten“ oder „Hair Gott“ sind spektakuläre Zeugnisse denglischen Humors. Ebenso „United Haartists“ oder „Kamm in“.

Henry kräuselt die Stirn: „Kamm in?“ – „Genau!“, entgegne ich, „das ist Frisörisch und bedeutet dasselbe wie ‚Haireinspaziert!‘“ – „Oh Mann, ich krieg gleich einen Föhn!“, stöhnt Henry, „da sind mir die deutschen Wortspiele noch lieber. ,Neuer AbSchnitt‘ finde ich gut. Und ,Über kurz oder lang‘. Oder ,Kurz und Schmerzlos‘. So will man es als Kunde doch schließlich haben.“ – „Für dich mag die Frisur eine Nebensache sein,“ sage ich, „für andere ist es eine Haupt-Sache. Die gehen dann zu ,Hauptsache Haar‘. Oder zu ,Barbara’s Barber Shop‘. Daneben gibt es natürlich noch die haarigen Klassiker: ‚Rapunzel‘, ‚Struwwelpeter‘ und ‚Samson‘“. Henry zuckt zusammen: „Samson aus der Sesamstraße?“ – „Natürlich nicht, sondern Samson aus der Bibel. Der mit den Superkräften.“ – „Ach so, der von ‚Samson und Dalida!‘“ – „Fast. Delilah hieß sie, und sie schnitt ihm die Haare ab, woraufhin er seine Superkräfte verlor.“

„Aber wo wir schon bei der Bibel sind“, fahre ich nach einer kurzen Pause fort, „da fällt mir noch ein anderer haarträchtiger Name ein. Kennst du die Geschichte von David und Absalom?“ – „Ich kenne nur David und Goliath“, sagt Henry. „Absalom war Davids Sohn“, erkläre ich, „er versuchte, seinen Vater zu stürzen. In der Entscheidungsschlacht verfingen sich seine Haare in einem Baum, und Absalom wurde getötet.“ – „Seine Haare wurden ihm also zum Ver-häng-nis …“ – „Genau. Ist doch eine tolle Geschichte! Wäre ich ein Friseur, würde ich meinen Laden AbSalon nennen! Das wäre gleich ein doppeltes Wortspiel!“
„Hübsche Idee, aber vermutlich zu intellektuell!“, sagt Henry. „Der Kunde braucht einfache Begriffe; solche, die ihm schon aus weiter Entfernung zurufen: Schau hair, ich bin ein Friseur, und ich bin witzig!“ – „Du meinst so etwas wie ,Schnittstelle‘?“, frage ich. Henry nickt. „Oder wie ,Hairkules – Ihr starker Friseur‘?“ Henry kichert. „Oder wie ,Kaiserschnitt‘?“ Henry stöhnt laut auf. Henry, beHAIRsche dich“, ermahne ich meinen Freund, „du verlierst ja völlig die Fasson!“ Gerade als wir aufbrechen wollen, beugt sich der Gast vom Nebentisch zu uns herüber und sagt: „Entschuldigt, wenn ich mich einmische, aber wenn ihr einen wirklich guten Friseur sucht, dann kann ich euch diesen hier empfehlen! Mit dem könnt ihr nichts falschen machen!“ Lächelnd reicht er uns eine Geschäftskarte. Henry schaut drauf und bricht in schallendes Gelächter aus. „Was ist denn so komisch?“, frage ich. „Ein prima Tipp! Mit dem können wir nichts falsch machen“, gluckst Henry, „der macht zumindest keine falschen Versprechungen!“ Er reicht mir die Karte, und ich lese:

* Vokuhila: Kurzwort für „Vorne kurz, hinten lang“, spöttische Bezeichnung für Langhaarfrisuren in den 70er Jahren.

(c) Bastian Sick 2006

Hier gelangen Sie zur Fotostrecke „Haarige Zeiten“!

Post an den Zwiebelfisch: Das Hairzblut der Friseure


Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod, Folge 3“ erschienen.

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3 Kommentare

  1. Zu diesem Thema habe ich auch noch einen schönen Namen zu bieten. Mein Friseursalon in Erfurt heißt „HAIRein“.

  2. In unserer Ortschaft haben Zwillingsdamen einen Frisiersalon eröffnet:

    „Twin-Hair“

    Mlg

    Hermann Hummer

  3. Lieber Bastian, einmalig, Deine Sammlung von haarigen Worten.
    Danke für das Lächeln, das Du mir schenkst.

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