Dienstag, 26. März 2024

So schnackt der Norden

Schönes, flaches Norddeutschland, von Rügen bis Sylt, zwischen Förde und Harz, wo die Trecker knattern und das Bier herb schmeckt, da wird gefeudelt und gepütschert, geklönt und klamüstert, dass einem ganz blümerant wird!

Wenn Sie es noch nicht gemerkt haben sollten: Ich bin Norddeutscher. Da kann ich nix für, wie man bei uns sagt, ich wurde eben im Norden geboren. Der Süden begann für uns schon südlich der Elbe, spätestens ab Hannover. Und das Deutsch, das wir in der Schule lernten, unterschied sich in nichts von dem, das wir zuhause sprachen. Und das war wiederum das gleiche Deutsch, das im Fernsehen gesprochen wurde, von Ernie und Bert und von Pippi Langstrumpf. Und die Pippi musste es ja wissen, denn die war schließlich Schwedin. Solange ich Kind war, gab es für mich nur dieses eine Deutsch. Ja, bei der Augsburger Puppenkiste sprachen die manchmal etwas merkwürdig, das fiel mir schon auf, aber als Kind wundert man sich nicht, sondern nimmt gewisse Dinge einfach zur Kenntnis.

 

Als ich größer wurde, wurde mir klar, dass die Mehrheit der Deutschsprechenden mit einem Dialekt aufgewachsen ist und Hochdeutsch erst später in der Schule wie eine zweite Sprache hinzugelernt hat. Bei uns in der Familie wurde kein Platt gesprochen — obwohl wir auf dem Lande lebten und mein Elternhaus direkt an eine Kuhweide grenzte. Platt wurde nur noch in den Bauernfamilien gesprochen. Heute bedaure ich es, dass ich kein Platt gelernt habe, denn dann hätte ich zum Beispiel mit Ina Müller schön rustikal einen ausschnacken können, als ich zu Gast in ihrer Sendung war. Und ich hätte als Kind nicht immer gleich in Panik zu geraten brauchen, wenn einer der Bauern aus unserem Dorf mich auf Platt anredete.

Meine Muttersprache war also Hochdeutsch. Oder das, was wir Holsteiner dafür hielten. So ganz lupenrein ist das Hochdeutsch der Nordlichter nämlich nicht. Wie jede Regionalsprache hat auch das Norddeutsche seine Besonderheiten. Meistens rühren diese noch vom Platt her, in einigen wenigen Fällen auch vom Friesischen. In Flensburg und an der deutschen Westküste begrüßt man einander zum Teil noch heute mit einem kräftigen „Moin!“, das heißt aber nicht, wie viele vermuten, „Morgen!“, sondern einfach nur „Guten!“, denn „moi“ ist friesisch und heißt „gut“ und „schön“. Daher kann man in Flensburg auch am Abend noch „Moin!“ hören, was Ortsfremden immer recht seltsam erscheint.

Es gibt einige Wörter, die den Norddeutschen außerhalb seiner Heimat sofort als Norddeutschen verraten. Eigenschaftswörter wie plietsch oder krüsch zum Beispiel. Krüsch ist doch ein ganz wunderbares Wort! Ich wüsste gar nicht, was ich stattdessen auf Hochdeutsch sagen sollte. „Wählerisch“ vermutlich. Aber das klingt nicht annähernd so verzickt wie „krüsch“.

Oder nehmen wir nur mal den Feudel — für unsereinen die selbstverständlichste Sache der Welt. Aber südlich von Osnabrück und Hannover hört das mit der Selbstverständlichkeit ganz schnell auf! Da erntet man als Hausmann reichlich irritierte Blicke, wenn man voller Stolz berichtet, man habe gründlich gefeudelt und danach noch eine Stunde geplättet. Immerhin aber steht Feudel im Duden, mit dem Vermerk: norddeutsch für Wischlappen. Auch Plättbrett und Plätteisen sind eingetragen.

Und dann wäre da noch ein Ding, das in keinem Haushalt fehlen darf: der Pümpel. Denn ein Pümpel (oder Pömpel) ist ein segensreiches Hilfsmittel bei Verstopfung. Wohlgemerkt: nur bei Rohrverstopfung. Nicht bei Darmverstopfung. In der Fachsprache nennt man den Pümpel daher auch Abflussreinigungssauggerät oder — kürzer — Haushaltssaugglocke. Nicht zu verwechseln mit der medizinischen Saugglocke, die gelegentlich bei der Geburt zum Einsatz kommt. Manche Menschen vermitteln zwar durchaus den Eindruck, als seien sie eher mit dem Pümpel auf die Welt geholt worden, aber das steht auf einem anderen Blatt. Mit einem Pümpel kann man außerdem viel Spaß haben, denn er ist ungemein vielseitig einsetzbar. So eignet er sich zum Beispiel hervorragend als Holzbein für Faschingspiraten — oder als Gasmaske für Pinocchio. Auch als Wurfgeschoss erfreut sich der Pümpel zunehmender Beliebtheit. Kurzzeitig verzeichnete die Sportart „Pümpel-Dart“ einen regelrechten Boom, nachdem es einem Mann im Oktober 2007 bei „Wetten, dass …?“ gelungen war, innerhalb von neunzig Sekunden zwanzig Pümpel auf zehn Männerrücken so zu werfen, dass sie haften blieben.

Norddeutsch ist schön! Ohne Ausdrücke wie tüdelig, klöterig, rammdösig und dun wäre unsere Sprache doch viel zu nüchtern. Und pütschern! Wie herrlich ist das! Pütschern kann ich ja stundenlang: im Haus rumpütschern, im Garten rumpütschern. Laut Wörterbuch bedeutet „pütschern“ so viel wie „umständlich arbeiten“. Da hört sich „pütschern“ allerdings deutlich besser an! Norddeutsch hat viel mit gutem Klang zu tun.

Wenn man hier und da ein plattdeutsches Idiom einfließen lässt, hört sich manches gleich viel weniger schlimm an, als es ist. Auf Platt darf man fast ungestraft beleidigen: Ausdrücke wie Bangbüx, Drönbüdel oder Dösbaddel klingen geradezu sympathisch. Kein Vergleich zu „Feigling“, „Nervensäge“ oder „Dummkopf“. Bei uns zuhause galt immer: „Scheiße“ sagt man nicht! Aber Schiet, das darf man sagen! In Hundeschiet zu treten ist nicht halb so unangenehm wie in Hundeschei… zu treten. Und wenn’s draußen auch noch so regnet und stürmt — das Wort „Schietwedder“ hört sich für mich immer irgendwie gemütlich an.

Und wo wir gerade beim Wetter sind: An dieser Stelle bietet sich die Gelegenheit, mit einem weit verbreiteten Missverständnis aufzuräumen, das seinen Ursprung im Plattdeutschen hat. Der Glaube, dass ein brav leer gegessener Teller Einfluss auf die meteorologische Entwicklung haben könnte („Wenn du alles aufisst, dann gibt es morgen gutes Wetter!“) beruht auf einem Übersetzungsfehler. Auf Platt pflegte man nämlich zu sagen: „Un wenn du allens opeeten dost, dann gifft et morgen wat goods wedder!“ Übersetzt heißt das: „Wenn du alles aufisst, dann gibt es morgen wieder was Gutes!“ Denn wo nichts übrigbleibt, da gibt es auch nichts aufzuwärmen, folglich wird am folgenden Tag eine neue Mahlzeit zubereitet, und Frisches schmeckt bekanntlich besser als Aufgewärmtes, daher darf man sich auf etwas Gutes freuen. Wenn dann auch noch die Sonne scheint, hat man doppelten Grund zur Freude, auch wenn das eine mit dem anderen nichts zu tun hat, denn zwischen Himmel und Teller besteht kein Zusammenhang.

Der Norddeutsche an sich steht zwar nicht gerade im Ruf, ein Ausbund an Heiterkeit zu sein. Aber so miesepetrig, wie ihm nachgesagt wird, ist er natürlich nicht. Im Gegenteil. Der Norddeutsche kennt viele verschiedene Gemütszustände: Das geht von gnaddelig über muffelig und knatschig bis hin zu mucksch.

Der Norddeutsche legt sich nicht so gerne fest. Deshalb haben viele Wörter mehrere Bedeutungen. Kodderig zum Beispiel, das kann einerseits für „schlecht“ oder „übel“ stehen: „Ach, ich fühl mich so kodderig“; „Mensch, is mir heute kodderig“ — andererseits für „unverschämt“ und „frech“: „Der redet aber kodderig“, sagt man, wenn sich jemand im Ton vergreift. Daher auch das schöne, sich klanglich fast selbst erklärende Wort Kodderschnauze. Für den einen bedeutet „luschern“ so viel wie heimlich gucken („He, du luscherst ja!“), für den anderen heißt es „schlafen“: „Gute Nacht! Luscher schön!“. Bei solchen Bedeutungsunterschieden ist es ein Wunder, dass sich die Norddeutschen untereinander überhaupt verstehen. Auch das praktische Wort Macker hat mehr als eine Bedeutung. Zum einen steht es für „Freund“ oder „echt cooler Typ“ (Norddeutsche Ischen haben einen Macker), zum anderen ist ein Macker auch ein kastrierter Esel. Ja, wirklich. Das kommt aus der Landwirtschaftsfachsprache. Aber ob nun cooler Kerl oder kastrierter Esel — wenn man’s genau betrachtet, ist das gar kein Widerspruch.

 

Eine Auswahl typischer norddeutscher Ausdrücke
angeschickert angetrunken, beschwipst
angetüdert, angetütert angetrunken, beschwipst
baselig vergesslich
begöschen, begöschern (mit langem ö) jemanden beschwatzen, jemandem schmeicheln
bräsig schwerfällig (im Kopf)
Büdel Beutel, Tasche
büschen bisschen
Döntjes Anekdoten
Dösbaddel Dummkopf
drömelig verträumt, langsam
Drönbüdel Langweiler
dun, duun betrunken
dumm Tüch, Dummtüch dummes Zeug, Unsinn
Dutt Haarknoten
Feudel Wischlappen
figgelinsch, fiegeliensch schwierig, kompliziert, vertrackt
Frikadelle gebratene oder gedünstete Hackfleischschnitte, auch bekannt als Bulette, Fleischpflanzerl, Hacksteak oder Hamburger
Gedöns (mit langem ö), Gedöns machen Aufstand, Aufhebens machen, umständlich sein
gnadderig, gnaddelig unwirsch, mürrisch, schlecht gelaunt
klamüsern, klabüstern (auch in Zusammensetzungen wie auseinanderklamüsern, ausklabüstern) (von Kalmäuser, spöttische Bezeichnung für einen Gelehrten) basteln, nachdenken, (auseinanderklamüsern: mühsam entwirren)
klönen sich unterhalten
Klönschnack, Klönsnack Unterhaltung
klöterig schlecht, schwächlich
kodderig unwohl, übel, auch: dreist, frech
kommodig gemütlich
krüsch wählerisch (meist in Bezug auf Essen)
luschern heimlich gucken, nachsehen, spionieren
luschig ungenau, oberflächlich, schlampig
lütt klein
mittenmang inmitten, mittendrin
Moin! Guten (Morgen/Tag/Abend)!
muffelig, mufflig mürrisch
mucksch, muksch eingeschnappt, beleidigt
Murkel zärtlich für: kleines Kind
Peterwagen Polizeiauto
piefig altmodisch, provinziell, spießig
pieschern, püschern Wasser lassen, urinieren
plätten, dazu: Plättbrett und Plätteisen bügeln, Bügelbrett und Bügeleisen
plietsch findig, pfiffig, gewitzt, smart, intelligent
Pott, Mehrzahl: Pötte Topf, großes Schiff, großer Becher (Kaffeepott) (in die Pötte kommen = mit etwas fertig werden)
Pümpel, Pömpel Abflussreinigungssauggerät
Puschen (mit langem u) Hausschuhe, Pantoffeln (in die Puschen kommen = sich in Bewegung setzen)
pütschern, püttjern umständlich arbeiten, kleckern
rammdösig benommen
Schiebkarre Schubkarren
Schieblade Schublade
Schietwetter Mistwetter
Schietbüdel Kleinkind, Windelscheißer
schietig schmutzig
schnacken reden
sutsche, sutje (mit langem u) langsam, gemächlich
Tö, auf Tö müssen WC, zur Toilette müssen
Töffel Tollpatsch, Dummkopf
Trecker Traktor
Tschüs (mit langem ü) oder Tschüss (mit kurzem ü) Auf Wiedersehen! (von Adios -> Atschüs -> Tschüs)
Tüddel(chen), Tüttel(chen) Anführungszeichen (Gänsefüßchen), Umlautpunkte
tüdelig/tüddelig sein, in Tüdel/Tüddel geraten/bringen durcheinander sein/bringen
Tüdelkram, Tüterkram Durcheinander
verbaselt vergessen
versust, versuust verloren, verlegt, verschlampt
vertüdelt, vertütert durcheinandergeraten
Wurzeln, Wördeln Möhren, Karotten

 

Lesen Sie hier die besten„Leserzuschriften zur Kolumne „So schnackt der Norden

Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod, Folge 4“ erschienen.

Lesen Sie auch:

Das Wunder des Genderns

Kein sprachliches Thema hat die Gemüter in den letzten Jahren so sehr bewegt und erhitzt …

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.