Montag, 18. März 2024

Stimm-Zettel für die Brief-Wahl von dem Land-Tag

Am 7. Mai sollen die Schleswig-Holsteiner einen neuen Landtag wählen. Dazu hat jeder Wahlberechtigte eine Benachrichtigung erhalten. Darin ist allerdings nicht von Landtag, Wahlschein und Briefwahl die Rede, sondern von irritierend zerstrichelten Dingen wie Land-Tag, Wahl-Schein und Brief-Wahl. Das amtliche Schreiben ist nämlich in sogenannter Leichter Sprache aufgesetzt – nur wird dem Wähler das mit keinem Wort erklärt.

Wahl-Benachrichtigung

„Sehr geehrte Bürgerin, sehr geehrter Bürger, in Schleswig-Holstein wird der Land-Tag gewählt.“ So beginnt das Schreiben, das in den vergangenen Wochen an alle wahlberechtigten Bürger im nördlichsten Bundesland verschickt worden ist und das flächendeckend für Irritation gesorgt hat – bei vielen gar für Verärgerung.

Der Grund: Das Schreiben wurde in „Leichter Sprache“ aufgesetzt – einer stark vereinfachten Form der gesprochenen und geschriebenen Sprache, die für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung, Lern- oder Leseschwierigkeiten entwickelt wurde, um ihnen zu helfen, Bedienungsanleitungen, Hausordnungen und Formulare zu verstehen. Ein sehr löbliches Projekt, das Unterstützung verdient. Wenn die „Leichte Sprache“ allerdings nicht gezielt eingesetzt, sondern nach dem Gießkannenprinzip über allen Bürgern ausgegossen wird, erzeugt sie nicht unbedingt mehr Klarheit und Verständnis, sondern Verwirrung und Ablehnung. So war es jedenfalls in Schleswig-Holstein der Fall, wo sich viele Bürger verschaukelt fühlten und erzürnte Leserbriefe an ihre Lokalzeitungen schrieben.

Ein Prinzip der Leichten Sprache ist es, Wortzusammensetzungen grundsätzlich mit Bindestrich zu schreiben. Angeblich seien die Wörter so leichter zu lesen. Folglich wimmelt es in der  Wahlbenachrichtigung von gestrichelten Schreibweisen wie „Vor-Name“, „Haus-Nummer“ und „Post-Leit-Zahl“. Außerdem werden alle Wahlberechtigten angesprochen, als seien sie kleine Kinder. Denn auch das ist ein Prinzip der Leichten Sprache: Alles wird so einfach wie möglich formuliert, in kurzen Sätzen, so wie es die Großen gern tun, wenn sie den ganz Kleinen etwas zu erklären versuchen.

Das wesentliche Versäumnis des Wahlleiters Schleswig-Holsteins besteht darin, die Wahlberechtigten mit keinem Satz darüber informiert zu haben, dass das Schreiben in „Leichter Sprache“ aufgesetzt ist und man sich also bitte nicht über das ungewohnte Schriftbild wundern möge. Weil der Hinweis auf die „Leichte Sprache“ fehlte, erweckt das Schreiben den Eindruck, dies sei die neue amtliche Rechtschreibung. Was natürlich ein Irrtum ist. Dabei hatte man sicherlich alles nur gut gemeint. Doch wie sinnvoll ist eine Maßnahme, die drei bis fünf Prozent der Wahlberechigten tatsächlich hilft, wenn sich die übrigen 95 bis 97 Prozent vor den Kopf gestoßen fühlen?

„Leichte Sprache“ in einem amtlichen Schreiben zu verwenden, ohne deutlich darauf hinzuweisen, ist auch deshalb problematisch, weil die „Leichte Sprache“ gegen die Regeln der amtlichen Rechtschreibung verstößt. Und an diese Regeln sind die Behörden schließlich gebunden. Bei Wörtern wie „Landtag“, „Briefwahl“ oder „Postleitzahl“ lässt unser amtliches Regelwerk keine zwei Möglichkeiten zu. Die Verwendung von Bindestrichen ist schlichtweg falsch. Einzige Ausnahme: Man darf Bindestriche benutzen, um auf eine zweite Bedeutung hinzuweisen. Wer „Land-Tag“ mit Bindestrich schreibt, kann dies tun, wenn er damit einen Tag auf dem Land meint und eine Verwechslung mit dem Landesparlament ausschließen will. Hier ging es aber kaum um den Hinweis auf eine zweite Bedeutung, sondern um eine Lesehilfe für Menschen, die schon mit der ersten Bedeutung eines Wortes Probleme haben.

Bei den Wahlen zur Bremischen Bürgerschaft vor zwei Jahren waren die Wahlunterlagen ebenfalls in „Leichter Sprache“ abgefasst worden. Damals schon war die Empörung unter den Bremern groß – erst recht, als man erfuhr, dass die Übersetzung in Leichte Sprache 50.000 Euro gekostet habe. Dieser neue Fall zeigt, dass der schleswig-holsteinische Wahlleiter offensichtlich nichts von seinen Bremer Kollegen gelernt hat. Stattdessen hat er denselben Fehler wiederholt. Früher hätte es für ein derartiges Versagen im Amt wenigstens noch eine öffentliche Rüge mit anschließender Entschuldigung gegeben. Heute heißt es wohl einfach Schwamm drüber und auf zum nächsten Tages-Ordnungs-Punkt.

Einer meiner Nachbarn vermutete, es könne sich um einen gezielten taktischen Zug der Landeswahlleitung gehandelt haben, um Aufmerksamkeit zu erzeugen und damit die Wahlbeteiligung zu erhöhen. Ich habe ihm nicht widersprochen. Schließlich wird man wohl noch träumen dürfen.

Eine Woche nach Schleswig-Holstein wird in Nordrhein-Westfalen gewählt. Ich weiß nicht, ob die dortigen Wahlberechtigten ebenfalls in „Leichter Sprache“ benachrichtigt wurden. Wenn ja, müsste das einen noch größeren Sturm der Entrüstung auslösen. Denn NRW wird in „Leichter Sprache“ zu einem wahren Bindestrich-Monstrum: Nord-Rhein-West-Falen. Ob damit wirklich jemandem geholfen ist? Das könnte eher ein Grund sein, die Wahl zu boykottieren.


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Zum Thema:

Hamburger Abendblatt: „Gut gemeint – schlecht gemacht
Zwiebelfisch: Leichte Sprache für alle?
Lübecker Nachrichten: Benefiz-Abend für die Leichte Sprache

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Kein sprachliches Thema hat die Gemüter in den letzten Jahren so sehr bewegt und erhitzt …

21 Kommentare

  1. Es wird ja schließlich in Schleswig-Holstein gewählt und nicht in Schleswigholstein.

  2. Ich kann nur für Moers (Kreis Wesel, NRW) sprechen, hier wurde auf „Deutsch-light“ verzichtet.

    Allerdings ist sich der „mit freundlichen Grüßen“ unterzeichnende Bürgermeister im Fließtext weder seiner politischen Stellung noch seines Geschlechtes sicher, heißt es doch dort:
    „… [Antrag auf Ausstellung eines Wahlscheins] … Diesen können Sie mit rückseitigem Muster stellen und bei dem/der (Ober-) Bürgermeister/in (Wahlamt) abgeben oder …“.

  3. Harry Wolfanger

    Hier schlägt doch mein kabarettisten-Herz höher und meine Zyniker-Seele meldet sich zu Wort.
    Ich werde mir dazu etwas einfallen lassen, aufs Kosteeswaseswolle !!!

  4. Na ja, wenigstens hat man nicht im Sinne der verbreiteten, noch „leichteren“ Werbesprache auch noch diese irritierenden Binde Striche weg gelassen. Schließlich werden wir überall darauf hingewiesen, dass ein Tetrapack „Voll Milch“ ist, und in der Plastedose sowohl Kartoffel als auch Salat drin ist, und das aus dem Schloss im Ort „Küche“ kommt.

    So hätte ich dann einen Land Tag und einen Stimm Zettel erwartet.

    Zumindest hatte ich letztens auch eine Schokoladen-Packung vorsichtshalber über einer Schüssel geöffnet, schließlich stand auch da drauf, die Packung sei „Voll Milch“

    • Werner Glanert

      Ja, das wäre noch schlimmer gewesen (aber die „Leichte Sprache“ ist ohne Hinweis auch schrecklich).
      Ich habe vor einiger Zeit auch lieber Süßstoff gekauft, weil ich keinen „Würfel Zucker“ haben wollte, denn ein Würfel schien mir doch ein bisschen wenig zu sein. Auch in unserer Kantine ist man schon mal sparsam, es gibt dann „Blatt Salat“.

  5. Christine Fritsch

    Wie gut, dass ich diesen Artikel eben entdeckt habe. Nun weiß ich wenigstens, warum meine Wahlbenachrichtigung sich so merkwürdig liest. Danke!

  6. Ahmed Kusserow

    Wie man’s macht, macht man’s verkehrt. Erst wird das umständliche, holprige und ungenießbare Amtsdeutsch verteufelt, nun meckert man über die endlich erfolgreich in einer Behörde etablierte und nun auch zum Einsatz gekommene vereinfachte Schriftsprache, nur weil nicht gleich ganz deutlich dazugeschrieben steht, was eigentlich auch so ganz augenscheinlich ist – wenn man denn selber schon darüber informiert wäre. Welch ein Bildungsparadox – oha! Hätte ich diese Wahlbenachrichtigung bekommen, wäre mir sofort aufgefallen, dass sie wohl in dieser „Leichten Sprache“ abgefasst worden sein muss, von der ich als gebildeter Bürger schon oft gelesen habe. Ich hätte mich daher nicht direkt angesprochen gefühlt, sondern verstanden, dass primär ältere, weniger gebildete oder Menschen mit anderssprachlichem Hintergrund gemeint sein dürften. Und ich hätte mich womöglich sogar etwas gefreut, dass sich unsere sonst so sturen Obrigkeitsämter als lern- und entwicklungsfähig erwiesen haben. Aber ich vergaß ja, wir leben im überhitzten Wutbürgerzeitalter – und in dieser Gemengelage tummeln sich auch die harmloseren Empörungsbürger, Frustbürger, Moser-Mecker-Motz-und-Mimimi-Bürger, Ärgerbürger, Hämebürger, Belehrbürger, Besserwisserbürger, Jammerbürger usw. usw. usw. usf. Das sollte doch für jeden was dabei sein. Wenn nicht, einfach auf die nächste Sau warten, die schon bald wieder durchs kalte Dorf getrieben wird … mimimi ….

  7. Severin, Frank

    Guten Tag!
    In Zeiten, in denen die Medien unbekümmert, ja eigentlich dreist, Sprecher, Kommentatoren einsetzen, die ich als sogenannte „Gleichmanscher/innen“ bezeichne, weil Sie nicht die Unterscheidung zwischen dem Adjektiv und dem Demonstrativpronomen beherrschen, darf man sich über nichts mehr wundern. Dort wo sich die Verweigerer/innen des Genitivs tummeln und weiter der Sinn gemacht wird, gilt das Halbwissen inzwischen als die Regel. Dazu gesellt sich die extreme Zuwanderung vieler verschiedener Kulturen, die langfristig zum Abgesang der deutschen Sprache führen wird. Und warum sich auch so kleinkariert mit der korrekten Sprache und Schrift beschäftigen. Die datensüchtige Gesellschaft denkt und kommuniziert ja viel bequemer in Bildern. Wenn`s dann mal Text sein muss, helfen ja das verkrüppelte Halbwissen, die Verwendung von Abkürzungen und die ausschließliche Kleinschreibung weiter. Für mich sind Auswüchse wie die „Leicht – Sprache nur ein Beleg für diese Entwicklung. So wie auch das stete herunterschrauben von schulischen Anforderungen durch die Kultuspolitik. PISA lässt eben überall schön grüßen. All die Halbwissenden landen aber irgendwann einmal in Amt und Würden und deren Defizite sind dann sichtbar.
    Schon vor vielen Jahren beklagten englische Sprachforscher den Verfall der korrekten englischen Sprache. Man hatte festegestellt, dass sich leider in den meisten englischen Familien die tägliche Kommunikation nur noch auf wenige Grunzlaute bezieht, die man nur untereinander versteht. Da muss man sich doch nicht mehr wundern, wenn es hier genau so kommt. So schlug eine Berliner Politikerin schon vor, dass einige arabische Sprachkenntnisse im Umgang mit seinen neuen Nachbarn bestimmt hilfreich sind. Diese Idee lässt sich bei einiger Aufgeschlossenheit und gutem Willen bestimmt noch erweitern.

  8. Dietmar Schlager

    Ja – auf, auf, die des Deutschen nicht Mächtigen an die Macht in Deutschland!
    Eigentlich ist mir hier nicht nach Spaßen zumute. Unser Problem ist schon längst, daß entscheidende Amtsinhaber, vom Volk beauftragt, der deutschen Sprache nicht mächtig sind bzw. nicht einmal des Sprechens überhaupt: Wenn eine von automatischen Übersetzern leichter zu verarbeitende Schreibung als „Leichte Sprache“ betitelt wird, versteht doch jeder Dahergelaufene daraus, daß die „Sprache“ so leichter verständlich sei. Daran, daß das Gerücht, Sprache und Schrift wären dasselbe, anscheinend bis in höchste Ämter vordringen konnte, sieht man auch, wie es um den Verstand hierzulande bestellt ist, einen Verstand, der keinen Schimmer davon hat, was Verständlichkeit bedeutet. Rechtschreibung ist eine Sache der leichtesten Lesbarkeit und einer größtmöglichen Unmißverständlichkeit, die immer vom gesamten jeweiligen Kontext abhängt und damit niemals amtlich festzulegen sein wird, auch wenn manche Gepflogenheiten etwas anderes vorgaukeln. Verständlich zu sprechen bedeutet etwas völlig anderes, als verständlich zu schreiben, wenn der Kontext sozusagen aus dem lebenden Geschehen ringsherum besteht. Und ein Redemanuskript, das mein eigenes ist oder das der Redner vorher durchgeht um es sich zu eigen zu machen, kann und muß sich gegebenenfalls einer anderen Sprache wie Schreibung bedienen als ein Text, den man auf den ersten Blick verstehen und womöglich noch lautlesend für andere inhaltlich verständlich wiedergeben möchte.
    Mit anderen Worten: Auf, auf, die des Denkens nicht Mächtigen an die Macht!

    • Dietmar Schlager

      Ich bin über Facebook auf Ihre wohltuende Seite gestoßen – das merkte ich aber so richtig erst nach dem Verfassen meines Kommentars, mit dem ich mich möglicherweise in Punkten etwas weit aus dem Fenster gelehnt habe. Informieren Sie mich bitte, ich könnte einen neuen, milderen, vernünftigeren Versuch machen, Text ist gespeichert.

  9. Zu viele Binde-Striche sind ein Stör-Faktor für den Lese-Fluss. Das gilt in ganz Deutsch-Land, sogar in Ham-Burg-Neu-Graben-Fisch-Bek.

  10. Nein, nein, die „Leichte Sprache“ hat nichts mit neuem und verständlichem Behördendeutsch zu tun! Sie wurde für Menschen mit kognitiven Einschränkungen von u.a. der Lebenshilfe für Geistigbehinderte 2006 initiiert, weil man meinte, so könnten diese Menschen besser am öffentlichen Leben teilnehmen, weil das Bindestrichsetzen ihnen das Lesen erleichtern würde. Untersuchungen dazu fehlen bisher.
    Die Kriterien „Leichte Sprache“ sind :
    einfache Wörter, keine Fremdwörter, keine hohen Zahlen (z.B.500, sondern „viele“), keine Redewendungen, kurze Sätze von fünf bis höchstens acht Wörtern, Texte verbildlichen u.a.

    Für ein verständlicheres Behördendeutsch, ausländische Mitbürger und Menschen mit Leseproblemen tritt die sog. „Einfache Sprache“ ein, die einen normalsprachlichen Eindruck hinterlässt und die amtlichen Regeln zur Rechtschreibung anwendet.
    Ja, nun gehören alle Wahlberechtigten zum o.g. Kompetenzraster. Aber :
    Ja, schickt dieWahlbenachrichtigung in leichter Sprache, aber legt bitte auch gleich eine zweite für Normalleser bei !
    Übrigens, der Wahlleiter teilte mit, dass der Landtag beschlossen habe, die Wahlbenachrichtigung in dieser Form abzufassen… “ die Unterlagen entsprechen der Beschlusslage des Schleswig-Holsteinischen Landtags…“ Also, es sieht so aus, als trüge er nicht die Verantwortung.
    Soweit ich gehört habe, soll das alles sehr viel Geld gekostet haben…

  11. Wahrscheinlich hätte man die wirklich sinnvolle Version in leichter Sprache einfach nur dem normalen Schreiben beilegen sollen.

    Andererseits frage ich mich immer, ob Land-Tag nun wirklich besser zu verstehen ist als Landtag. In einem anderen Dokument in leichter Sprache habe ich auch den schönen Satz „Willkommen im Kranken-Haus“ gelesen und habe fast schon Mitleid mit dem armen, kranken Haus bekommen. Viele feststehende Zusammensetzungen werden nicht verständlicher, wenn man sie trennt. Zumal man dann auch nicht mehr weiß, was man bei längeren Zusammensetzungen im Wörterbuch nachschlagen soll: Was soll man dann als Sprachunkundiger bei Post-Leit-Zahl nachschlagen? Zahl? Leit? Leitzahl?

  12. Eine weitere Erklärungsmöglichkeit wäre: Im Wahlamt wurde mal die vorgeschriebene Einstellungsquote von Behinderten erfüllt, die die Wahlbenachrichtigung einfach in ihrer eigenen Sprache verfasst haben, ohne eigens darauf hinzuweisen, wie es früher üblich war (z.B.: „Dieses Schriftstück wurde von einer blinden Schreibkraft verfasst“).

  13. @ Kommentar von Herrn Kusserow:
    Im Prinzip haben Sie absolut recht. Aufregen kann man sich leicht über alles und wie sinnvoll kann das denn sein?
    Nur ist das Problem speziell hier, dass Sprache durchaus auch AN-sprache ist…! Sie ist ein Spiegel dessen, wie und auf welcher Ebene sich der Schreiber / Sprecher an den Empfänger wendet; also, auf welchem Niveau dem Empfänger begegnet wird.
    Auch ist Sprache ein wesentliches Element verbindender Kommunikation, daher hat die Sprache außer vielen Varietäten aber auch etliche, teils komplexe Regeln – um bei aller Freiheit ebendiese Verbindlichkeit und Übereinkunft in der Verständigung sicherzustellen.
    Bis zu einem gewissen Grad an Übereinkunft kann Sprache, damit auch Ansprache, sehr variieren. Sie kann (und darf auch oft) sehr einfach und klar sein.
    Und zwar bis ungefähr zum Prinzip der „einfachen Sprache“: Diese ist von der „Leichten Sprache“ zu unterscheiden und bewegt sich einem leicht verständlichen Alltagsniveau, ohne jedoch die amtlichen Regeln der Rechtschreibung und Grammatik zu verlassen. Auch werden Satzbauten und Inhalte nicht zu drastisch reduziert oder sämtliche Differenzierungen weggelassen.
    Eine solche Sprache (wie in vielen Werbetexten oder auch sinnvoll gemachten Gebrauchsanleitungen zu finden) wird auch von den meisten Menschen ohne Probleme akzeptiert, je nach Situation sogar begrüßt.

    Die „Leichte Sprache“ sprengt jedoch, wie Bastian Sick hier meiner Meinung nach sehr richtig darstellt, in einigem diesen Rahmen der sprachlichen Übereinkunft, durch:
    • drastische inhaltliche Vereinfachung und Reduzierung auf kleinkindliches Anspracheniveau
    • Verlassen der allgemeingültigen Rechtschreibe- und Grammatikregeln

    => Daraus folgt:
    Ein Ideal und auch sinnvoller Kompromiss gegenüber allzu hochkomplexer und verschraubter Amts- oder Hochsprache wäre hier die EINFACHE Sprache und nicht die LEICHTE Sprache.
    Denn die einfache Sprache bewegt sich noch im allgemein akzeptierten Rahmen und hilft auch bereits den allermeisten (aktiv und passiv kommunizierenden) Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen wesentlich – und zwar OHNE sie pauschal, quasi „vorbeugend“, auf ein kindliches Anspracheniveau herabzustufen. (was nämlich in meinen Augen das Gegenteil von Inklusion ist!)

    • Werner Glanert

      Ich wusste bisher nicht, dass „Einfache Sprache“ und „Leichte Sprache“ verschiedene Konzepte sind.

      Aber ich denke, man kann dieser Antwort auf den Kommentar von Herrn Kusserow komplett zustimmen:
      1) Es kann nicht sein, dass alle Menschen mit einer Sprache auf Kleinkind-Niveau angesprochen werden (insbesondere wenn keine Erklärung beigefügt wird). Es gibt schon noch Abstufungen zwischen dem oft auch für Muttersprachler unverständlichen Amtsdeutsch und dem Deutsch in den Wahlbenachrichtigungen, über die Bastian Sick in seinem Artikel geschrieben hat.
      2) Außerdem ist es auch nicht akzeptabel, wenn jetzt auch schon Behörden auf die korrekte Anwendung der Rechtschreib- und Grammatikregeln verzichten. Es ist schon erschreckend genug, wie unsere Sprache allgemein „malträtiert“ wird (nicht zuletzt auch von den Medien).

  14. Ich verstehe die Aufregung nicht 🙂
    Das Ganze ist nur reines Mitleid, und zwar Mitleid mit den vielen weggelassenen Bindestrichen, auf die auch viele Werbetexter verzichten (wahrscheinlich, um Druckertinte zu sparen)
    In Berlin wirbt eine Firma mit „Wir organisieren Deine Abitur Fahrt“ – hätte ich das damals schon gewußt, aber nein, ich mußte „meine“ Abitur noch selbst machen. Letztens habe ich beim Einkauf einen Käse zurückgelegt, denn Käse, der „mit frischer Bergbauern Milch“ hergestellt wird würde mir nicht schmecken, Milch ist ja in Ordnung, aber Bergbauern …

    In diesem Sinne 🙂

  15. Interessant ist das dahinterstehende Dilemma:
    1. Es ist erwünscht, daß auch geistig minderbemittelte Menschen zur Wahl gehen.
    2. Man wirft einigen Parteien vor, daß sie sich mit ihren Aussagen an ebensolche Menschen wenden, das sei böse.
    Also was nun?

  16. Mal ganz ehrlich: Wer einfache Wörter wie „Wahltag“ nicht lesen kann ohne daß ein Bindestrich dazwischen ist, der ist gar nicht qualifiziert überhaupt zu wählen. Kleine Kinder, die man noch mit Kleinkindersprache ansprechen muß, dürfen ja auch nicht wählen.

    Und der Hammer ist natürlich die Schreibweise „Personal-Ausweis“. So etwas kann doch gar keiner mitbringen, weil „Personalausweis“ ein juristisch definierter Begriff ist. Hier sollten sich die betreffenden Wahlleiter mal gut überlegen, ob durch Wahlbenachrichtigungen in solcher Da-Da-Sprache nicht möglicherweise die ganze Wahl ungültig wird, denn schließlich schreibt § 23 (1) Verwaltungsverfahrensgesetz ganz klar vor: „Die Amtssprache ist deutsch.“

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