Donnerstag, 18. April 2024

Von der deutschlandweiten Not, amerikafreundlich zu sein

Eine Angst geht um in deutschen Landen. Die Angst, zusammenzuschreiben, was zusammengehört. Sie ist „Deutschland-weit“ verbreitet und führt zu bizarren Schreibweisen wie „Veilchen-artig“, „Tollwut-frei“ und „Amerika-freundlich“. Dabei ist es gar nicht schwer, ein Adjektiv richtig zu schreiben. Man muss sich nur trauen.

Eine junge Fernsehredakteurin, die sich nach eigener Auskunft gerade mit dem Thema Paarungsverhalten beschäftigt, stellt mir folgende Frage: Wenn ein Mensch sich ähnlich wie ein Pavian verhält, hat man es dann mit einem „Pavian-ähnlichen Verhalten“ oder einem „Pavian ähnlichen Verhalten“ zu tun? Ich verwerfe sowohl die erste als auch die zweite Variante und schlage stattdessen eine dritte vor: „Schreiben Sie die beiden Wörter einfach zusammen und machen Sie ein pavianähnliches Verhalten daraus!“ – „Geht das denn?“, fragt sie ungläubig. „Aber gewiss doch!“, erwidere ich, „es handelt sich um ein Adjektiv, nichts weiter. Auch wenn es aus zwei Teilen besteht – pavianähnlich wird genauso zusammengeschrieben wie affenartig.“ – „Das klingt einleuchtend“, sagt sie, „darauf hätte ich eigentlich auch von selbst kommen können. Irgendetwas hielt mich bislang immer davon ab, große und kleine Wörter zusammenzuschreiben.“

Ihre Skepsis ist symptomatisch für eine weit verbreitete Scheu vor der Zusammenschreibung zusammengesetzter Eigenschaftswörter. Diese Scheu ist besonders stark, wenn der erste Teil eine Gattungsbezeichnung oder ein geografischer Name ist. Wie oft stößt man in Texten auf seltsame Konstruktionen wie „Europa-weit“ oder „Amerika-freundlich“. Dabei gilt für Namenswörter dasselbe wie für alle Hauptwörter: Werden sie zu Adjektiven oder Adverbien umgebaut, büßen sie ihre Großschreibung ein – eine Konsequenz, vor der sich viele zu fürchten scheinen. Seltsam – wo doch heute sonst kaum noch jemand rücksicht auf groß- und kleinschreibung nimmt.

So wie man menschenfreundlich und kinderfreundlich sein kann, kann man auch amerikafreundlich sein. Der eine ist weinselig, der andere stresserprobt, und wer längere Zeit in Ungarn gelebt und viel über Ungarn erfahren hat, der ist ungarnerfahren. Was für Frankreich typisch ist, das ist frankreichtypisch – wenn es nicht typisch französisch ist. Und wer beim Verlassen Berlins Entzugserscheinungen verspürt, der ist höchstwahrscheinlich berlinsüchtig.

„Und was ist, wenn jemand gleichzeitig Amerika und Europa gegenüber freundlich gesinnt ist?“, fragt die Redakteurin weiter, „ist er dann Amerika, klein, mit Bindestrich/neues Wort: und/neues Wort: Europa, klein, plus freundlich, ohne Leerzeichen?“ Ich setze die Diktiervorgaben vor meinem geistigen Auge in Schrift um und sage mit einem Nicken: „Ganz genau, dann ist er amerika- und europafreundlich.“

Die Scheu vor der Zusammenschreibung hat die deutschsprachige Presse fest im Griff. Wie oft liest man: „Wie aus Unions-nahen Kreisen verlautete …“ So unflexibel ist die Union nicht, dass sie nicht eine Koalition mit einem Adjektiv eingehen könnte: unionsnahe Kreise – voilà! Weitere Beispiele der gleichen Bauart:

MTX ist ein Virus, das sich Wurm-ähnlich verbreitet und versucht, auf der Festplatte ein trojanisches Pferd abzulegen.

Der Van ist nicht Oberklasse-kompatibel.

Obelisken sind steinerne Säulen mit Pyramiden-förmiger Spitze, die zur Ehrung des Sonnengottes Ra aufgestellt wurden.

Zwar sind Computerviren fiese Dinger, und ein Ausschluss aus der Oberklasse ist ein harter Schlag. Dennoch sind die Wörter wurmähnlich und oberklassekompatibel genau wie pyramidenförmig nichts anderes als kleine, niedliche und völlig harmlose Adjektive. Ihr Anblick ist weder abschreckend noch „Gewöhnungs-bedürftig“. Sie tun nichts, sie beißen nicht, man kann sie anfassen und streicheln. Man muss sich nur trauen. Sie derart auseinander gerissen zu sehen, ist für geübte Leser eher befremdlich. Genauso befremdlich wie „Gewitter-artige Schwüle“ oder „Betriebs-bedingte Kündigung“. Im ungünstigsten Fall kann der Bindestrich sogar zu höchst bedauerlichen Missverständnissen führen. Bei Zusammensetzungen, die aus zwei gleichrangigen Adjektiven bestehen, hat der Bindestrich nämlich eine andere Funktion, als nur der Lesbarkeit zu dienen: Er ersetzt ein „und“. Beispiele: ein blassgrün-dunkelbraunes Hemd ist sowohl blassgrün als auch dunkelbraun; ein deutsch-französisches Unternehmen ist deutsch und französisch; ein rötlich-rundlicher Stein ist einerseits rötlich und andererseits rundlich. Was wäre demnach ein Mann, der als „türkisch-stämmig“ beschrieben wird? Manchmal wirkt das Auseinanderschreiben nicht nur grafisch, sondern auch inhaltlich entstellend.

Eine mögliche Ursache für die häufig auftretende Getrenntschreibung zusammengesetzter Eigenschaftswörter liegt in der Rechtschreibprüfung von Microsoft, die bei den meisten in „Word“ geschriebenen Texten zur Anwendung kommt. Sie unterstreicht alle Wörter, die das Programm nicht kennt, mit einer gezackten roten Linie. Die neueste Version dieser Rechtschreibprüfung ist zwar schon deutlich besser als ihre Vorgängerinnen, aber noch immer gibt es eine Vielzahl von Wortzusammensetzungen, die das Programm nicht kennt. Das ist auch gar nicht mal verwunderlich, denn theoretisch sind in der deutschen Sprache unendlich viele Wortzusammensetzungen möglich. Das zeichnet unsere Sprache ja gerade aus und macht sie so unermesslich reich. Vor diesem Reichtum scheinen allerdings viele ihrer „Anwender“ gar nichts zu wissen.

Über die Nachricht „Peking erklärt Chinas Schweine für Vogelgrippe-frei“ haben sich die Fleischfresser in aller Welt bestimmt sehr gefreut. Sie hätten es aber genauso getan, wenn dort „vogelgrippefrei“ gestanden hätte, in Analogie zu tollwutfrei, alkoholfrei, rauchfrei, autofrei und eisfrei. Zugänge, die den Bedürfnissen von Behinderten gerecht werden, dürfen getrost als „behindertengerecht“ bezeichnet werden. Das Prädikat „Behinderten-gerecht“ sieht die deutsche Grammatik jedenfalls nicht vor.

Und damit nicht genug: Selbst Eigennamen können zu Adjektiven verbaut werden und kommen dann in den ungewohnten Genuss der Kleinschreibung. Im Duden findet man zum Beispiel unter dem Buchstaben „G“ das Stichwort „goethefreundlich“. Die neue deutsche Rechtschreibung erlaubt inzwischen zwar auch das Setzen eines Bindestrichs, wenn der Name hervorgehoben werden soll, aber bei einem derart bekannten Namen wie Goethe ist dies eigentlich nicht nötig. Auch ein „schrödernaher Vertrauter“ und eine „merkelähnliche Frisur“ können zusammengeschrieben werden, sofern aus dem Zusammenhang hervorgeht, welcher Schröder und welche Merkel gemeint sind.

„Und wie verhält es sich dann mit Abkürzungen?“, will die Redakteurin von mir wissen, „gilt auch da Klein- und Zusammenschreibung? Eine spdnahe Stiftung? Eine gmbhähnliche Struktur? Ein euweites Verbot?“ – „Selbstverständlich nicht“, beruhige ich sie, „das könnte ja nun wirklich kein Mensch mehr lesen und verstehen. Bei Abkürzungen behilft man sich mit dem Bindestrich: eine SPD-nahe Stiftung, eine GmbH-ähnliche Struktur, ein EU-weites Verbot. Aber eben nur bei den Abkürzungen. Bei ganzen Wörtern hingegen sollte man sich in Zusammenschreibung üben. Was immer auf -ähnlich, -freundlich, -mäßig, -artig oder -nah endet, ist ein gewöhnliches Eigenschaftswort und bedarf keiner Kupplung.“

„Hör ich richtig?“, mischt sich der neugierige Assistent ein, der sich zu uns gesellt hat, „ihr unterhaltet euch über Rechtschreibung?“ – „Wir streicheln Adjektive!“, sagt seine Kollegin, „das solltest du auch mal machen, es fühlt sich wirklich toll an!“ Der Assistent wirkt verdutzt: „Ihr streichelt Adjektive?“ – „Ganz genau! Ich lerne gerade, meine Scheu vor der Zusammenschreibung zu überwinden. Ich glaube, ich könnte jetzt Begriffe wie kohlendioxidhaltig und auberginenfarbig in einem Rutsch durchschreiben!“ – „Und Sie werden feststellen“, sage ich, „es tut überhaupt nicht weh!“

 

Wer Amerika freundlich gesinnt ist, … … der ist amerikafreundlich.
Wer sich für Asien interessiert, … … der ist ein asieninteressierter Mensch
Wer Chinesisch kann, … … der ist chinesischkundig.
Wer in ganz Deutschland bekannt ist, … … der ist deutschlandweit bekannt.
Ein fürs Fernsehen taugliches Gesicht … … ist ein fernsehtaugliches Gesicht.
Wer sich Franzosen gegenüber feindlich verhält, … … der verhält sich franzosenfeindlich.
Ein für den Oscar nominierter Film … … ist ein oscarnominierter Film.
Wer sich einem Pavian ähnlich verhält … … der zeigt ein pavianähnliches Verhalten.
Eine Lampe, die die Form einer Pyramide hat, … … ist eine pyramidenförmige Lampe (auch: eine pyramidale Lampe).
Wer wie ein Roboter geht, … … der hat einen roboterartigen Gang.
Ein Gebiet, das frei von Tollwut ist, … … ist ein tollwutfreies Gebiet.
Wer türkische Vorfahren hat, … … der ist türkischstämmig.
Prominente, die der Union nahe stehen, … … sind unionsnahe Prominente.
Ein von einer Videokamera überwachter Parkplatz … … ist ein videoüberwachter Parkplatz.
Wer der Weihnacht müde ist … … ist ein weihnachtsmüder Mensch

 

(c) Bastian Sick 2004


Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod, Folge 2“ erschienen.

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