Donnerstag, 25. April 2024

Wo lebt Gott eigentlich heute?

Als Gott noch in Frankreich lebte, nährte sich unsere Sprache hauptsächlich von französischen Begriffen. Das war chic und en vogue. Heute ist Französisch „uncool“, wenn nicht gar „out“. Man sagt Date statt Rendezvous, Model statt Mannequin, Level statt Niveau. Gott lebt heute in Miami und genießt kalifornischen Chardonnay.

Mireille Mathieu wusste 1972 noch zu singen: „Gott lebt in Frankreich, denn Frankreich ist schön.“ Und niemand hätte ihr damals widersprochen. Frankreich ist immer noch schön, aber Gott ist umgezogen. Er wohnt jetzt in den USA. Vermutlich im Rentnerparadies Miami oder im beschaulichen Santa Barbara. Wie ich darauf komme? Unsere Sprache liefert genügend Indizien dafür! Einst war die deutsche Sprache von französischen Ausdrücken gespickt. Denn bevor die Deutschen ihre Antennen ganz und gar auf die USA ausrichteten, kamen die wichtigsten kulturellen – und somit auch sprachlichen – Impulse aus Frankreich.

Als Gott noch in Frankreich lebte, da wusste noch jeder, was Savoir-vivre und Laisser-faire bedeuten. Heute dreht sich alles um Lifestyle, und aus dem Laissez-faire-Prinzip wurde „Take it easy!“ Was früher „en vogue“ war, ist heute „trendy“, und eine Mode, die irgendwann „passé“ war, ist heute „out“. Wer auf dem Laufenden war, der war mal „à jour“, und wenn er einverstanden war, dann war der „d’accord“. Heute ist er „up to date“ und gibt sein Okay. Und wer im Fahrstuhl jemandem auf die Füße tritt, der sagt nicht mehr „Pardon!“, sondern murmelt nur noch „Sorry!“

Wer seinen Geburtstag feiern will, der gibt keine Fete mehr, sondern eine Party. Und der Grand Prix Eurovision de la Chanson nennt sich neuerdings auch bei uns Eurovision Song Contest. Wenn irgendwann auch die französische Punktezählung abgeschafft wird („L’Allemagne deux points“), dann ist der Sieg der englischen Sprache komplett. Adieu la France, oder genauer gesagt: Bye, bye!

Als Gott noch in Frankreich lebte, trafen sich Verliebte noch zum Rendezvous, heute haben sie ein Date. Der Charmeur von einst gilt inzwischen als Womanizer, und die altmodische Romanze wurde zur modernen „love affair“ umgedichtet. In so mancher Familie (neudeutsch: „family“) wird der Vater nicht „Papa“ oder „Pa“ gerufen, sondern „Daddy“ oder „Dad“.

In den Sechzigern und Siebzigern wurden in Deutschland noch unzählige Filme aus Frankreich gezeigt, und jeder kannte die großen französischen Stars. Deutsche Männer träumten von Brigitte Bardot und Catherine Deneuve. Heute träumen sie von Nicole Kidman und Hilary Swank. Lange bevor es Bruce Willis gab, war Alain Delon der Inbegriff des lässigen Helden. Und man lachte hierzulande noch herzlich über Louis de Funès in seiner Rolle als „Der Gendarm von St. Tropez“. Ein Remake hätte heute vermutlich nur unter dem Titel „Der Cop von St. Louis“ an den Kinokassen eine Chance.

Der Billy-Wilder-Film „The Apartment“ wurde seinerzeit noch mit „Das Appartement“ übersetzt. Da wurde der Doorman auch noch Portier genannt, und der Taxidriver war tatsächlich noch ein Chauffeur. Früher wurde der Gutschein auch mal Coupon genannt, heute bekommt man einen Voucher. Man kauft auch keine Billetts mehr, sondern Tickets. Hotels haben ihr Vestibül zur Lobby umgebaut und ihr Foyer zur Lounge. (Ironischerweise sprechen viele Menschen das Wort „Lounge“ französisch aus – die Sehnsucht nach französischem Flair scheint demnach noch nicht gänzlich erloschen.)

Das Kellergeschoss von Warenhäusern heißt nicht mehr Souterrain, sondern Basement. Dort befindet sich häufig die Weinabteilung, in der man hervorragenden kalifornischen Chardonnay bekommt – und Champagner, selbstverständlich. Der ist, wenn trocken, nicht mehr „sec“, sondern „dry“.

Wer heute ein Café eröffnet, nennt es vorausschauend „Coffeeshop“, denn die Amerikaner sind schließlich für ihren Kaffee berühmt. Wie auch für ihr Essen („Food“), weshalb man heute nicht mehr von „Nouvelle Cuisine“ spricht, sondern von „french cooking“. Vorab gibt’s anstelle des Hors d’oeuvre einen „Appetizer“. Machte man früher den Salat mit einer Soße oder Vinaigrette an, so bekommt er heute ein Dressing verpasst (vorzugsweise „Thousand Islands“). Da selbst Hunde und Katzen ihr Fleisch bereits „in zarter Jelly“ serviert bekommen, wird sich das französische Gelee wohl auch bei den Zweibeinern nicht mehr lange halten.

Wann waren Sie das letzte Mal in einer Boutique? Die wirklich angesagten Klamotten bekommt man heute im „Fashion Store“, und den wiederum gibt’s in jedem Shopping Center. Frankreich hat seinen Status als Mutterland der Haute Couture und der Prêt-à-porter-Modeschauen eingebüßt – heute heißt das „Fashion Week“. Da führen die Models, die früher Mannequins genannt wurden, nicht mehr knackige Dessous vor, sondern „hot underwear“. Frauen, die sich einst in „schicken Kostümen“ zeigten, haben heute ein „stylishes Outfit“. Wer ehedem salopp oder leger gekleidet war, der trägt heute „casual wear“.

Auch die Haute volée und die Crème de la crème mussten sich einer Modernisierung unterziehen und nennen sich jetzt „Celebrities“. Und der liebe Gott? „Mon Dieu!“, wer sagt das noch, heute ruft man „Oh my God!“ Es besteht kein Zweifel: Gott lebt heute in Amerika. Von dort schrieb er mir kürzlich eine Karte: „Wow, es ist einfach cool hier! Fühle mich great! Jeden Tag Party und Fun! Alles viel relaxter als bei den Frenchies!“ So ein bullshit, hab ich gedacht und die Karte zerrissen.

(c) Bastian Sick 2005


Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod, Folge 2“ erschienen.

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Ein Kommentar

  1. Aber eins ist und bleibt auch bei uns französisch, so sehr sich die Amerikaner oder Briten auch bemühen: wir sagen nicht Chips sondern Pommes!

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