Donnerstag, 18. April 2024

Wenn der Timo mit der Leonie

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An so manchen Fragen scheiden sich die Geister: Wird ein Alsterwasser mit Orangen- oder Zitronenlimonade gemacht? Isst man zum Spargel Schinken oder Ei? Und: Gehört vor einen Vornamen ein Artikel oder nicht?

Heißt es „Helmut und Karin“ oder „der Helmut und die Karin“? Ist das eine besser als das andere, gibt es ein „richtig“ oder „falsch“? Für viele ist dies eine Glaubensfrage, der sie eine ebenso große Bedeutung beimessen wie der Unterscheidung zwischen links und rechts, katholisch und evangelisch, Ossis und Wessis. Ob Helmut und Karin bessere Deutsche sind als andere, ist ungewiss. Für viele steht indes fest, dass sie besseres Deutsch sind.

Manch einer erinnert sich vielleicht noch mit leichtem Erschauern an die eine oder andere studentische Diskussion mit Wortbeiträgen der folgenden Art: „Also, was die Britta da gerade angesprochen hat, das finde ich total wichtig. Auch den Einwand von der Karin kann ich nur unterstreichen. Ich würde aber trotzdem gern noch mal auf das zurückkommen, was der Frank vorhin gesagt hat …“

Ein ehemaliger Studienkollege namens Daniel war berühmt für seine zahlreichen, leider selten erfolgreichen Anläufe, mit einem Vertreter des weiblichen Geschlechts in Kontakt zu treten. Auf irgendeiner Wohnungseinweihungsfeier hatte Daniel eine attraktive Jurastudentin ins Auge gefasst, eilends das Wichtigste (Name: Barbara, derzeitiger Status: Single) über sie in Erfahrung gebracht, um sich alsbald mutig an sie heranzupirschen. „Hallo, ich bin der Daniel“, sagte Daniel. „Und du bist die Barbara, stimmt’s?“ Die Reaktion fiel nicht ganz so euphorisch aus, wie Daniel erhofft hatte. „Ich heiße Barbara!“, stellte die Angesprochene richtig, „ob ich die Barbara bin, hängt davon ab, was du dir unter der Barbara vorstellst. Es gibt allein in dieser Stadt mehrere hundert verschiedene Barbaras. Um sicher zu sein, dass ich die eine bestimmte bin, die dir vorschwebte, als du mich ansprachst, müsste ich wissen, wie du die Barbara definierst!“ Nach dieser wortreichen Eröffnung beschloss Daniel, sich für den Rest des Abends nur noch auf weniger anspruchsvolle Gesprächspartner einzulassen. „Hallo“, hörte ich ihn später hinter mir am Büffet brummen, „ich bin der Daniel. Und du bist die Bowle, stimmt’s?“

Irgendwo zwischen Nord und Süd verläuft eine unsichtbare Grenze, eine Art Äquator, der die deutsche Sprachlandschaft in zwei Hälften teilt: in eine bestimmte und in eine unbestimmte Vornamenszone. Im nördlichen Teil der Republik ist es nicht üblich, Eigennamen einen Artikel voranzustellen. Manch einer ist in dieser Frage sehr streng erzogen worden. „Bei uns hieß es früher: Die steht im Stall und du stehst daneben“, schrieb mir ein Leser. Er hatte gelernt, dass ausschließlich Tiere mit einem Artikel vor dem Namen genannt wurden: Wenn die Lotte und die Rosie Durchfall hatten, musste der Veterinär kommen, denn dann waren die Kühe krank. Demzufolge galt es als herabwürdigend, einen Menschen mit einem Artikel zu belegen. Ganz so streng wird es heute wohl nur noch in wenigen Familien gelehrt. Dennoch ist die Verwendung eines  Artikels vor einem Namen im norddeutschen Sprachraum nach wie vor unüblich.

Es sei denn, man ist in einer Kita, einer Kindertagesstätte. Dort wird jedes Kind mit einem „der“ oder „die“ versehen. Das macht es den Kindergärtnerinnen leichter, sich das jeweilige Geschlecht ihrer Schützlinge zu merken. Bei Vornamen wie Eike, Kim, Dominique, Marian, Kersten, Elia, Yael oder Sidney ist schließlich nicht für jeden gleich ersichtlich, ob sich dahinter ein Junge oder ein Mädchen verbirgt. Aus diesem Grund gewöhnt man es sich in der Kita gleich als erstes an, nur von „dem Elia“ und von „der Kim“ zu sprechen. Den Purzeln dürfte das völlig normal erscheinen. Es ist ja schließlich auch immer von der Mama und dem Papa die Rede.

Zeitweilig waren ja Doppelnamen wieder sehr in Mode. In den neunziger Jahren erreichte die Beliebtheit ihren Höhepunkt. Ich erinnere mich an einen Kindergärtnerinnen-Ausruf, der in meinem Freundeskreis fast zu einem geflügelten Wort wurde: „Thorben-Hendrik, lass den Jasper-Quentin in Ruhe und gib der Emily-Marie ihre Barbie zurück!“ (Wobei ich nicht sicher bin, ob Barbie wirklich immer noch bloß Barbie heißt. Vielleicht hat man inzwischen eine neue Puppenkollektion eingeführt mit Doppelnamen wie Barbie-Kiara und Ken-Noah.)

Neben der klaren Geschlechtszuordnung gibt es für die oben beschriebene besondere Form der Kita-Grammatik noch einen weiteren plausiblen Grund: Der Umgang mit Kindern im Vorschulalter erfordert sprachliche Klarheit und Eindeutigkeit, sonst verstehen die Kleinen nicht, was gemeint ist. Die Zuordnung von Artikeln kann helfen, grammatische Bezüge deutlich zu machen, zum Beispiel in der Frage, wer wen getreten, gehauen oder geschubst hat. Die Aussage „Mirko hat Jan getreten, nicht Justin!“ kann nämlich auf unterschiedliche Weise gedeutet werden. Einmal mit Jan als Treter: „Den Mirko hat der Jan getreten“, dann mit Mirko als Treter: „Der Mirko hat den Jan getreten“ — und dann noch mal jeweils mit Justin als Nicht-Treter („nicht der Justin“) oder Nicht-Opfer: „nicht den Justin“. Je nach dem, in diesem Falle sogar: je nach dem Justin.

In Sprachgebieten, die noch stärker von Dialekten beeinflusst sind, hauptsächlich also in Mittel- und Süddeutschland, werden Vornamen grundsätzlich nur mit bestimmtem Artikel gebraucht. In Bayern und in Österreich konnten die Rosie und der Bruno schon zu allen Zeiten genauso gut zwei Menschen wie zwei Viecher sein, ohne dass irgendjemand daran Anstoß genommen hätte.

Im Zusammenhang mit der Frage, ob Vornamen einen Artikel verdienen oder nicht, drängt sich noch eine weitere auf: Sind Frauen wirklich weiblich? Das scheint nämlich längst nicht überall ganz eindeutig zu sein. Nehmen wir nur mal Henrys Tanzpartnerin Uschi. Die ist in jungen Jahren viel herumgekommen. In Kiel und Hamburg hieß sie einfach Uschi, in Nürnberg und Regensburg rief man sie „die Uuschi“, und in Köln und in Essen war sie „dat Uschi“.

Im Rheinland und angrenzenden Regionen werden Frauennamen traditionell mit dem bestimmten sächlichen Artikel („dat“) versehen: dat Gerda, dat Uschi, dat Chantal. Dat kann man auch heute noch so hören. Frauenbewegung und Gleichberechtigung vermögen den Kölner offenbar nicht aus der Ruhe zu bringen. Beim Thema Frauen bleibt er ganz sachlich — genauer gesagt sächlich.

Meine Freundin Jana hörte es überhaupt nicht gern, wenn ihr Name in Verbindung mit einem weiblichen Artikel genannt wurde. Denn allzu leicht konnte der falsche Eindruck entstehen, sie heiße Diana. „Es heißt nicht die Jana, sondern einfach nur Jana“, musste sie immer wieder klarstellen. Einige nannten sie deswegen sogar schon Lady Di(e). Ich kann verstehen, dass einem das auf Dauer lästig wird. Seit ein paar Jahren lebt Jana nun im Saarland und fühlt sich dort sehr wohl. „Die reden hier zwar alle völlig unverständlich, aber immerhin sagt niemand mehr die Jana“, erklärte sie mir. „Für die Leute hier in Saarbrücken bin ich es Jana“.

Der bestimmte sächliche Artikel (Hochdeutsch „das“) ist im Saarländischen „es“, und das weibliche Pronomen „sie“ ist ein „ähs“. Für jemanden, der aus Norddeutschland kommt, mag das im ersten Moment recht seltsam sein, aber Jana hat sich schnell daran gewöhnt. „Wenn ich es Jana bin, kann ich nicht mehr Diana sein — oder Lady Die.“ Glückliche Jana! Manch einer mag einen Umzug ins Saarland als Abstieg empfinden — für Jana war’s ein Aufstieg. Ein Aufstieg in die Es-Klasse!

„Es“ einen Freud, der anderen Leid: Eine Leserin, deren Name tatsächlich Diana lautet, machte mich auf eine weitere Variante der Namensverwechslung aufmerksam. Seit sie nach Bayern gezogen sei, müsse sie immer wieder mit dem Missverständnis aufräumen, ihr Name sei Anna. Denn wenn sie sich als „Diana“ vorstellt, verändert das bayerische Ohr das automatisch in „die Anna“. Wie bin ich froh, dass ich nicht Derrick heiße!

(c) Bastian Sick 2009


Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod, Folge 4“ erschienen.

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2 Kommentare

  1. Michael Krauth

    Eine Frage drängt sich mir bei der Lektüre auf: Ist es schicklich, von „Kindergärtnerinnen“ zu sprechen? Ich wurde zwar in einer Zeit groß, als dies noch gang und gäbe war, allerdings wurde ich in letzter Zeit darauf hingewiesen, es hieße Erzieherin, nicht Kindergärtnerin.

    Nicht, daß Sie sich den Zorn der Kindergärt… pardon, Erzieherinnen zuziehen 🙂

    Michael

    • Michael,

      „Kinder“ in diese Berufsbezeichnung is schomma gaaanz falsch, hömma! Hasse wo nich mitgekrich dat dat nun „Nachwuchs“ genannt wern muss. Nä? Un „Garten“ passt da nu übahaup nich, nä! Denn ma ährlisch, kuck doch ma sone Einrichtung an. N‘ Garten kannse sowas nich nenn‘. Dat Geschrei un Gekwietsche un dann diese gepierssten un täto-, äh wätotier-, ne täwotier… also bemalten Mädels die da so rumstehn un rauchen – en Garten? Escht nich!
      Wemma ma ernsthaft aufe deutsche Sprache achtet, denn sind dat eintlich „Nachwuchserziehungsbeauftragte“ un innem etnisch gemischten Betrieb hammse ja noch’n Sonderkurs durchlaufn un sin dann „Nachwuchserziehungsbeauftragte mit Sondereignung für Minderjährige mit Migrationshintergrund“. Siehse! Is doch nur logo mim Deutschen, nä? Nu isses politisch korrekt (siehe dieses!) un für jen verständlig, hömma.

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