Lautet die Langfassung des Trabbis tatsächlich „des Trabanten“? Müsste die „Straße des 17. Juni“ genau genommen nicht „Straße des 17. Junis“ heißen? Leser diskutieren mit Zwiebelfisch-Autor Bastian Sick über Zweifelsfälle des zweiten Falles.
Sehr geehrter Herr Sick, würden Sie mir aber zustimmen, dass in dem Satz: „Ich kann den Gestank des Trabant nicht ertragen“ die Endung „-en“ ganz richtig weggelassen wurde, da es sich um einen Eigennamen handelt?
Bernd von den Brincken
Antwort des Zwiebelfischs: Sehr geehrter Herr von den Brincken, im Falle des guten alten Trabbis heißt es freilich nicht „den Gestank des Trabanten“, wohl aber „der Gestank des Trabants“. Als Markenname wird der Trabant stark gebeugt:
der Trabant, des Trabants, dem Trabant, den Trabant
Der Verzicht auf die Endung im Genitiv ist laut Duden nicht korrekt.
Ich finde es prima, dass Sie sich mit dieser Thematik beschäftigt haben! Allerdings habe ich eine Frage zu den „Terroranschlägen des 11. Spetembers“. Dass es in dieser Form „Septembers“ heißen muss, steht wohl außer Frage, jedoch kommt mir die Verwendung des Genitivs in diesem Zusammenhang generell falsch vor. Nach meinem Verständnis impliziert „die Terroranschläge des 11. Septembers“, dass der 11. September für die Anschläge verantwortlich war, wenn er sie nicht gar selbst durchgeführt hat. Oder erliege ich hier einem Denk- oder Verständnisfehler hinsichtlich der Verwendung des Genitivs?
Frank Schönbach
Antwort des Zwiebelfischs: Lieber Herr Schönbach, natürlich ist bei den „Terroranschlägen des 11. Septembers“ nicht der Genitiv der Urheberschaft gemeint, so wie man ihn beim „Buch des Autors“, beim „Schweigen der Lämmer“ und bei der „Aussage des Zeugen“ findet.
Außer dem Genitiv der Urheberschaft gibt es aber noch mindestens sieben weitere Genitiv-Arten. Zum Beispiel den Genitiv der Zugehörigkeit. Ich nenne ein paar Beispiele:
die Hymne der Deutschen, der Zauber der Weihnacht, die Macht des Schicksals, die Leiden des Patienten, die Tücken des Fortschritts, die Waldbrände des letzten Sommers
Hierzu kann man auch „die Anschläge des 11. Septembers“ zählen.
Lieber Zwiebelfisch, wenn „die Anschläge des 11. Septembers“ richtig ist, müsste es dann nicht auch richtigerweise „die Straße des 20. Julis“ heißen – und der „Platz des 17. Junis“? Auf den entsprechenden Straßenschildern findet man die Monatsnamen aber immer ohne Genitivendung. Was ist denn nun richtig?
Esther Lengsfeld, Berlin
Antwort des Zwiebelfischs: Liebe Frau Lengsfeld, Monatsnamen werden oft wie Eigennamen behandelt, und ob man Eigennamen im Genitiv beugen muss oder nicht, darüber herrschen unterschiedliche Auffassungen. Auf der Internetseite www.aegypten-infos.de findet man die Überschrift „Ägypten – ein Geschenk des Nil“. Auf der Seite www.aegypteninfo.de steht die Überschrift „Ägypten – Geschenk des Nils“. Manche sagen, ein „des“ vor dem Namen sei ausreichend, um den Genitiv zu markieren. Diese Behauptung ist meines Erachtens aber nicht ganz schlüssig. Dann könnte man die Genitivendung doch auch bei allen anderen Hauptwörtern weglassen, denen ein Artikel vorausgeht: das Büro des Chef, die Frau des Metzger, das Wort des weisen Mann. Das klingt allerdings recht ungewöhnlich – um nicht zu sagen schauderhaft. Ich persönlich pflege bei männlichen und sächlichen Namenwörtern im Genitiv ein „s“ anzuhängen, auch wenn sie mit Artikel stehen: die Form des neuen Audis, das Erscheinen des „Sterns“, die Wirkung des Aspirins, die Mündung des Nils, die Taten des heiligen Georgs.
Der Duden stellt fest, dass die unflektierten Formen heute überwiegen (des Mai, des Juni, des Juli); nur die Monate auf -er (September, Oktober, November, Dezember) stehen häufiger mit Genitiv-s.
Sehr geehrter Herr Sick, gut finde ich vor allem die Einforderung der Genitivendung bei Fremdwörtern. Wie schaut es aber bitte aus bei Begriffen wie z.B. Mismatch? Heißt es dann „eine Darstellung des Mismatches“? Ich würde mich über eine kurze Aufklärung sehr freuen, da ich nämlich genau diese Probleme gar zu häufig in meiner Diplomarbeit habe und mir nicht ganz sicher bin. Bernd R. Jung
Antwort des Zwiebelfischs: Sehr geehrter Herr Jung, abgesehen davon, dass ich ein kompliziertes Wort wie „Mismatch“ gar nicht verwenden würde, sondern stattdessen lieber ein deutsches Wort wie Unverträglichkeit, Ungleichgewicht, Unordnung oder Störung nähme, stimme ich Ihnen zu, dass Fremdwörter die gleiche Behandlung verdienen wie deutsche Hauptwörter. Wenn man sich erst einmal an sie gewöhnt hat, nimmt man Fremdwörter ohnehin kaum noch als fremde Wörter wahr und behandelt sie ganz automatisch nach den Regeln der deutschen Grammatik.
Guten Tag Herr Sick, in dem Artikel Neues vom Dativ und dem Genitiv heißt es ganz am Ende: „Parallel zum Buch erscheint die Fortsetzung auch als Hörbuch – vom Autor selbst gelesen.“
Ist das nicht auch ein Kasus Verschwindibus? Müsste es nicht „vom Autoren selbst gelesen“ heißen?
Holger Dors
Antwort des Zwiebelfischs: Lieber Herr Dors, im Unterschied zu all den vielen Wörtern, die auf -ant, -ent oder -ist enden, werden Fremdwörter, die auf -or enden, stark gebeugt. Es heißt also im Singular:
der Autor (Nominativ), des Autors (Genitiv), dem Autor (Dativ), den Autor (Akkusativ)
der Diktator, des Diktators, dem Diktator, den Diktator
der Motor, des Motors, dem Motor, den Motor
Die Endung auf -en findet man nur Plural:
die Autoren (Nominativ), der Autoren (Genitiv), den Autoren (Dativ), die Autoren (Akkusativ)
die Diktatoren, der Diktatoren, den Diktatoren, die Diktatoren
die Motoren, der Motoren, den Motoren, die Motoren
Warum lässt sich das Wegfallen der Fallendung nicht einfach als eine Veränderung der deutschen Sprache betrachten? Was wäre daran schlimm, wenn sich die deutsche Sprache dahin entwickelte, dass die Fallendung weggelassen werden kann oder muss? Man mag das als weniger elegant empfinden, aber das ist genauso subjektiv, wie wenn jemand etwas als „irgendwie falsch“ empfindet. Wobei letztlich für einen deskriptiv arbeitenden Linguist es genau darauf ankommt, was von den Sprechern einer Sprache als falsch und als richtig empfunden wird. Anders als die Orthografie ist Grammatik etwas Organisches, das nicht vorgeschrieben werden kann. Sonst wäre nämlich eine Entwicklung der Sprache gar nicht möglich. Wie sich zeigt, entwickelt sich die Sprache aber doch, auch wenn einige Strukturkonservative und Reaktionäre versuchen, diese Entwicklung aufzuhalten. Schade, dass SPIEGEL ONLINE diesem Konservatismus Raum gibt.
Rüdiger Lughofer, Tübingen
Antwort des Zwiebelfischs: Lieber Herr Lughofer, dass Sie Ihren Beitrag auf dieser Seite wiederfinden, dürfen Sie als Beweis dafür ansehen, dass SPIEGEL ONLINE vor allem zwei Dingen Raum gibt: der Meinungsvielfalt und der Meinungsfreiheit.
(c) Bastian Sick 2005
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