Beschenkt man sich zu oder an Weihnachten? Am 24. Dezember begehen wir nicht nur das Fest der Lichter und Geschenke, sondern auch das Fest der Sprachwichtel.
Ob man sich zu Weihnachten trifft oder an Weihnachten ist nicht eine Frage von richtig oder falsch, sondern von Nord oder Süd. In Norddeutschland ist die Präposition „zu“ verbreitet, im Süden hingegen wird „an“ favorisiert. Irgendwo dazwischen gibt es auch Gegenden, in denen man sich auf Weihnachten sieht. Die deutsche Grammatik lässt oft mehr als eine Möglichkeit zu – dies gilt besonders an, auf oder zu Weihnachten, denn schließlich ist die Weihnachtszeit die Zeit der Versöhnung und Großherzigkeit. Es lohnt sich nicht, wegen einer kleinen Präposition einen Streit vom Zaun zu brechen. Der Standard empfiehlt daher, auf die Präposition ganz zu verzichten: Da trifft man sich Weihnachten und sieht sich Ostern wieder. Ganz ohne zu, an oder was-auch-immer.
Es gibt aber noch mehr Fragen – zum Beispiel die, ob Weihnachten eigentlich ein Einzahl- oder Mehrzahlwort ist. Die Endung -en sieht doch verdächtig nach einem Plural aus. Und schließlich gibt es auch das endungslose Wort Weihnacht. Wieso wird „Weihnachten“ dann aber wie ein Singular behandelt? Müsste es statt „Kein Weihnachten ohne Geschenke“ nicht „Keine Weihnachten ohne Geschenke“ heißen? Nun, Weihnachten ist ein ziemlich altes Wort, ein sehr, sehr altes sogar, für das sich bereits im 12. Jahrhundert Belege finden lassen. Laut etymologischem Lexikon beruht das Wort „Weihnachten“ auf einem alten Dativ Plural: ze den wîhen nahten hieß es im Mittelhochdeutschen, „in den heiligen Nächten“. Damit waren ursprünglich die schon bei den Germanen gefeierten Mittwinternächte gemeint. Der Pluralgebrauch ging im Laufe der Jahrhunderte verloren, und im 18. Jahrhundert schließlich hatte sich der Singular durchgesetzt – weil die heiligen Nächte zusammen als ein Fest wahrgenommen wurden. Der alte umlautlose Dativ „nachten“ indes blieb bestehen und wurde nicht zu „nächten“. In einigen Regionen des deutschsprachigen Südens tauchten zwar vereinzelt Formen wie „wîhnechten“ oder „wîchennächten“ auf*, doch tauchten sie früher oder später auch wieder unter. Weihnachten ist schließlich ein Fest der Traditionen, und Tradition fängt bei der Sprache an. Also blieb es beim mittelhochdeutschen „nachten“, und zwar nicht nur nachts, sondern auch am Tage: der erste und zweite Weihnachtstag sind sprachlich gesehen eigentlich ein Paradoxon, denn wie kann es gleichzeitig Nacht und Tag sein? Nun, in nördlicheren Gefilden kann es das durchaus, da breiten sich die Winternächte fast über den gesamten Tag aus, und der Weihnachtsmann kommt ja bekanntlich aus dem hohen Norden. Oder etwa nicht?
Nun, vieles spricht dafür, dass er aus den Vereinigten Staaten kommt. Tatsächlich gibt es den Weihnachtsmann in seiner jetzigen Gestalt als rauschebärtigen Mann mit rotem Mantel und Zipfelmütze, der in seinem Schlitten der A-Klasse mit mindestens acht RS (= Rentierstärken) durch die Gegend heizt, erst seit den 20er Jahren. So stellten sich die Amerikaner ihren Santa Claus vor. Und seit 1931 trug der Coca-Cola-Konzern mit einer Werbekampagne maßgeblich zur Verbreitung dieses Weihnachtsmann-Bildes bei. In Deutschland kannte man bis dahin eigentlich nur den Nikolaus, so wie man ihn noch heute im „Struwwelpeter“ sehen kann. Unsere heutige Vorstellung vom Weihnachtsmann ist somit ein Amerikanismus.
Doch das ist noch nicht alles: Denn bevor der Weihnachtsmann ein Amerikaner wurde, war er ein Niederländer. Santa Claus geht zurück auf die Figur des Sinterklaas, der mit den Niederländern im 17. Jahrhundert an der amerikanischen Ostküste gelandet war. Und Sinterklaas ist der niederländische Name für Sankt Nikolaus – also sind der Weihnachtsmann und der Nikolaus ein und dieselbe Person. Das mag verwirrend sein, denn wenn der Nikolaus bereits am 6. Dezember den Kindern Süßes und Geschenke in die Schuhe stopft, warum kommt er dann am Heiligabend als Weihnachtsmann noch mal? Besser, wir stellen keine Fragen, sonst kommen am Ende noch die Agentur für Arbeit oder das Finanzamt und nehmen den alten Mann wegen unangemeldeter Nebentätigkeit hops. Und ohne Weihnachtsnikolaus wär’s an und zu Weihnachten ganz schön traurig.
*Zum Beispiel in Ludwig Ganghofers „Kasermanndl“. Da heißt es: „Schlag ein, Dirndl! Hundert Mark Lohn im Jahr, an Ostern ein neues Gwand, an Weihnächten ein richtigs Präsent und in der Zwischenzeit diemal ein bißl was nach meiner Z’friedenheit. Bist einverstanden?“
(c) Bastian Sick 2010
Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod, Folge 4“ erschienen.