Der, die, das, wer, wie, was? Die Verwirrung der Geschlechter ist nicht nur ein gesellschaftliches Thema, sondern auch ein sprachliches. Heißt es die Krake oder der Krake? Ist Python männlich oder weiblich? Trinken Sie ein Cola und lesen Sie das „Zwiebelfisch“!
„Chéri, bitte, ‚ilfst du mir mit die Kleid?“, fragt mich meine Freundin Suzanne, als sie mir die Tür öffnet. „Du hast Nerven“, sage ich tadelnd, „die Oper beginnt in einer halben Stunde, und du bist immer noch nicht angezogen!“ Suzanne zuckt mit den Schultern: „Isch kann misch einfach nischt entscheiden. Soll isch die rote Kleid oder die champagner Kleid anziehen – was meinst du?“ –„Champagner klingt doch gut“, murmele ich, „wo steht er?“ – „Crétin, isch rede von die Kleid! Aber wenn du was trinken willst, da neben die Stuhl steht eine Flasche Sauvignon!“
Ich mag französischen Wein, französischen Käse, französische Musik – und ganz besonders mag ich den französischen Akzent. Wie bei Suzanne. Ihre Art, die deutschen Artikel durcheinanderzuwirbeln, klingt für mich wie Poesie. Die Kleid, die Stuhl, der Auto – darüber kann ich mich stets aufs Neue amüsieren. Die unheilige Dreispaltigkeit des grammatischen Geschlechts im Deutschen bringt jeden, der unsere Sprache lernt, früher oder später an den Rand der Verzweiflung. Und auch die Deutschen selbst geraten zwischen männlichem, weiblichem und sächlichem Geschlecht immer wieder ins Straucheln. Denn was meine französische Freundin Suzanne kann, das kann meine deutsche Freundin Sibylle schon lange.
Jeden Samstag bringt Sibylle ihre leeren Flaschen zum Supermarkt, um sich „den Pfand“ abzuholen. Für sie ist das Pfand männlich. Zwecklos, sie von etwas anderem überzeugen zu wollen. Dafür ist das Motorfahrrad bei ihr weiblich: „Was, du hattest als Schüler keine Mofa? Das kann ich gar nicht glauben. Jeder, der cool war, hatte eine Mofa.“ Tatsache ist, dass ich ziemlich uncool war. Das Einzige, was mich an Mofas interessierte, war ihr Genus. Sibylles Stärken liegen eher beim Genuss als beim Genus. „Jetzt musst du das Crème fraîche drunterrühren“, sagt sie beim Kochen zu mir. Und als sie feststellt, dass sie das Rezept offenbar nicht ganz richtig abgeschrieben hat, bittet sie: „Kannst du mir mal eben das Radiergummi geben?“ Für Sibylle ist der Radiergummi nämlich sächlich. Der Kaugummi natürlich auch.
Damit steht sie übrigens nicht allein. Viele Deutsche weisen bestimmten Dingen ein anderes Geschlecht zu, als es im Wörterbuch angegeben ist. Im Wörterbuch steht zum Beispiel, dass das Wort „Puder“ männlich sei: der Puder. Trotzdem sagen viele „das Puder“ – möglicherweise in Analogie zu Pulver, da Puder und Pulver nicht nur ähnlich klingen, sondern auch ähnlich beschaffen sind. Ein weiterer Fall dieser Art ist „die Geschwulst“, die oft sächlich gebraucht wird – weil sie an „das Geschwür“ denken lässt.
Am größten ist die Verwirrung der Geschlechter natürlich bei Fremdwörtern. Woher soll man zum Beispiel wissen, dass „Python“ ein männliches Hauptwort ist? Es kommt aus dem Griechischen, und Griechisch haben die wenigsten Deutschen drauf. In solchen Fällen hilft man sich für gewöhnlich mit Analogien – sucht also nach vergleichbaren Wörtern. Und da der Python eine Schlange und die Schlange weiblichen Geschlechts ist, erscheint es eigentlich logisch, dem Python einen weiblichen Artikel voranzustellen – andere Schlangenarten wie Boa, Viper und Natter sind schließlich ebenfalls weiblich. Doch weder der Biologielehrer noch der Deutschlehrer würden „die Python“ durchgehen lassen.
Auch der Krake ist eindeutig männlich – und wird dennoch von vielen als weiblich angesehen. So auch von Sibylle. „Es heißt entweder die Krake oder der Kraken“, behauptet sie. „Ich hab’s doch gerade erst in ,Fluch der Karibik 2‘ gesehen, da haben sie’s erklärt!“ Leider hat sich Sibylle wie so oft gerade die falsche Antwort gemerkt. Aber so etwas passiert uns allen. Ich selbst musste mir erst vor kurzem sagen lassen, dass es nicht „die Paprika“ heiße, sondern „der Paprika“. Ich habe daraufhin im Wörterbuch nachgeschlagen: beides ist erlaubt (siehe auch Tabelle unten).
Einige Wörter treten sogar in drei Geschlechtsvarianten auf. „Triangel“ zum Beispiel. Das dreieckige Schlaginstrument kann sowohl „die Triangel“ genannt werden als auch „der Triangel“, und in Österreich heißt es „das Triangel“. Und wie steht’s mit dem Wort Joghurt? Das ist standardsprachlich männlich (der Joghurt), kann aber auch sächlich sein (das Joghurt). Das ist eigentlich schon kompliziert genug – aber nicht für Sibylle. Sie sagt „die Joghurt“, und darin lässt sie sich auch nicht beirren: „Probier mal diese Joghurt, die ist echt lecker!“ Und als sie noch auf Partys ging, da hat sie auch mal „die eine oder andere Zigarillo“ geraucht. Allerdings, so räumt sie ein, sei ihr davon regelmäßig schlecht geworden.
Hauptsächlich sind es die zahlreichen englischen Fremdwörter, die bei der Einbürgerung Probleme bereiten. Die englische Grammatik behandelt alle Dinge sächlich, doch bei der Übernahme ins Deutsche bekommen diese Dinge oft ein männliches oder weibliches Geschlecht. Meistens orientiert man sich dabei an der deutschen Entsprechung. Weil „mail“ Post bedeutet und „Post“ im Deutschen weiblich ist, sagen die meisten Deutschen „die E-Mail“. Der „Brief“ hingegen ist männlich, sodass „der Newsletter“ einen männlichen Artikel bekommen hat. Dieses Prinzip lässt sich aber nicht immer anwenden. Oft übernehmen wir Wörter aus dem Englischen, für die es keine deutsche Entsprechung gibt – und folglich auch keine Geschlechtsvorgabe.
Außerdem wird dieses Prinzip auch nicht überall angewandt. Im süddeutschen Raum sowie in Österreich und der Schweiz wird der sächliche Artikel bevorzugt. Dort heißt es „das Mail“, und wer in Bayern eine Cola bestellt, der bekommt „ein Cola“. Wenn in der Schweiz eine Straßenbahn durch einen Tunnel fährt, dann fährt „das Tram“ durch „das Tunell“ – mit Doppel-l statt Doppel-n.
Man braucht aber gar nicht so weit nach Süden zu gehen, die Verwirrung der Geschlechter beginnt bereits viel weiter nördlich – auf hessischen Bauernhöfen zum Beispiel. In der Rhön ist das Huhn keinesfalls sächlich, sondern weiblich. Auch das entbehrt nicht einer gewissen Logik, denn das Huhn ist schließlich das weibliche Pendant zum Hahn. Während die Kartoffel in der osthessischen Mundart männlich ist, ist die Butter im Schwäbischen männlich („d’r Budder“). Und der Teller ist sächlich („d’s Deller“). Der Butter und das Teller, auch das ist Deutschland. Die Petersilie treibt es besonders bunt, die ist in osthessischer Mundart sächlich („doas Pädersille“) und im Bairischen männlich: „da Bädasui“. Und woraus sind schwäbische Osterhasen gemacht? Nicht aus weiblicher Schokolade, sondern aus männlichem „Schogglaad“! Derlei Kurioses findet man natürlich auch im Badischen, im Saarländischen, im Fränkischen und im Sächsischen. Mit dem allmählichen Rückgang der Dialekte geht freilich auch die Vielfalt bei der Geschlechterverteilung verloren.
„Tust du mir noch einen kleinen Kartoffel und etwas von dem Butter auf das Teller, Chéri?“, bittet mich Suzanne, als wir nach der Oper noch zusammen eine Kleinigkeit essen. Ich kann mir ein Lachen nicht verkneifen; Suzanne blickt mich irritiert an: „’Abe isch etwas Falsches gesagt?“ – „Nein, nein“, erwidere ich, „alles bestens! Ein Schwabe hätte es nicht besser sagen können!“
Hauptwörter mit schwankendem Genus |
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Baguette | standardsprachlich das, seltener auch die |
Bast | standardsprachlich der, mundartlich auch das |
Blackout (auch Black-out) | standardsprachlich das oder der |
Blog | standardsprachlich das, seltener auch der |
Bonbon | der oder das, österreichisch nur das |
Bossanova | fachsprachlich die, standardsprachlich der |
Brezel | standardsprachlich die, österreichisch auch das (in Bayern: die Brezn) |
Butter | standardsprachlich die, mundartlich der |
Carport | standardsprachlich der, häufig auch das |
Cola | standardsprachlich die, in Süddeutschland das |
Countdown | standardsprachlich der oder das |
Crème fraîche | standardsprachlich die, seltener auch das |
Curry | standardsprachlich der, seltener auch das |
Dress | standardsprachlich der, österreichisch die, umgangssprachlich auch das |
standardsprachlich die, süddeutsch auch das | |
Erbteil | standardsprachlich das, fachsprachlich der (nach BGB) |
Event | standardsprachlich der, umgangssprachlich auch das |
File | standardsprachlich das, seltener auch der |
Gelee | standardsprachlich das, seltener auch der |
Filter | fachsprachlich meistens das, standardsprachlich der |
Geschwulst | standardsprachlich die, seltener auch das (in Analogie zu Geschwür) |
Gokart | standardsprachlich der, seltener auch das |
Gratin | standardsprachlich das, seltener auch der (ausgehend vom franz. männlichen Artikel: le gratin) |
Gully | standardsprachlich der, seltener auch das |
Hinterteil | standardsprachlich das, seltener auch der |
Huhn | standardsprachlich das, mundartlich auch die |
Intro | standardsprachlich das, seltener auch der |
Joghurt | standardsprachlich der oder das, umgangssprachlich auch die |
Kaugummi | standardsprachlich der, daneben auch das |
Keks | standardsprachlich der, österreichisch das |
Ketchup (auch: Ketschup) | standardsprachlich der oder das |
Knockout (auch: Knock-out) | standardsprachlich der, häufig auch das |
Konklave | standardsprachlich das, fälschlich oft auch die (analog zu Exklave) |
Körperteil | standardsprachlich der, sehr häufig auch das |
Krake | korrekt: der Krake (norw.); fälschlich oft die Krake oder der Kraken |
Laptop | standardsprachlich der, seltener auch das |
Latte macchiato | der (für: der Milchkaffee) oder die (analog zu „die Milch“ oder „die Latte“) |
siehe -> E-Mail | |
Manga (jap. Comic) | standardsprachlich der, häufig auch das |
Modem | standardsprachlich der, häufig auch das |
Mofa (Kurzwort für Motorfahrrad) | standardsprachlich das, umgangssprachlich auch die |
Mus (Apfelmus, Pflaumenmus) | standardsprachlich das, mundartlich auch der |
Newsletter | standardsprachlich der, selten das |
Paprika | der (das Gemüse oder Gewürz), der oder die (kurz für Paprikaschote) |
Petersilie | standardsprachlich die, mundartlich auch das (Osthessen) und der (Bayern) |
Pfand | standardsprachlich das, seltener auch der |
Prospekt | standardsprachlich der, österreichisch auch das |
Pub | standardsprachlich das, seltener auch der |
Puder | standardsprachlich der, umgangssprachlich auch das (in Analogie zu Pulver) |
Python | korrekt: der Python; fälschlich oft die Python (weil man an die Schlange denkt) |
Radar | fachsprachlich das, standardsprachlich der |
Radiergummi | standardsprachlich der, seltener auch das |
Radio (Gerät) | standardsprachlich das, in Süddeutschland, Österreich und der Schweiz auch der |
Rhabarber | standardsprachlich der, seltener auch das |
Salsa | fach- und standardsprachlich die, umgangssprachlich auch der |
Schlüsselbund | standardsprachlich der oder das, österreichisch nur der |
Schorle (Apfelschorle, Weinschorle) | standardsprachlich die, seltener auch das |
Sofa | standardsprachlich das, mundartlich auch der |
Spatel | standardsprachlich der oder die, österreichisch der |
Spray | standardsprachlich das oder der |
Teller | standardsprachlich der, mundartlich auch das |
Toast | standardsprachlich der, seltener auch das |
Tram | standardsprachlich die, schweizerisch auch das |
Triangel | standardsprachlich der oder die, österreichisch das |
Tsunami | standardsprachlich der oder die |
Tunnel | standardsprachlich der, schweizerisch das Tunell, in Schwaben mit Betonung auf der zweiten Silbe |
Virus | fachsprachlich das, umgangssprachlich auch der |
Vorderteil | standardsprachlich der oder das |
Zigarillo | standardsprachlich der oder das, umgangssprachlich auch die |
Zölibat | standardsprachlich das, theologisch der |
Zoom | standardsprachlich das oder der |
(c) Bastian Sick 2006
Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod, Folge 3“ erschienen.