Sonntag, 20. Oktober 2024

Hart, aufs Härteste, Horst

Drei Tage Jubel um Lena waren offenbar zu viel für den Bundespräsidenten. Horst Köhlers Rücktritt traf einige wie ein Blitz, andere wie der Donner und fast alle ins Sprachzentrum. Angela Merkel bedauert „aufs Allerhärteste“ und meint: Es ist Zeit für eine weibliche Präsidentin.

Deutschland wartete eigentlich nur auf auf die Schlagzeile „Wir sind Grand Prix!“, da schoss eine andere Meldung an die Spitze der Nachrichten: Der Rücktritt Horst Köhlers traf sein Volk wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Einige traf es auch anders. So war aus dem Auswärtigen Amt zu erfahren, Guido Westerwelle sei „wie vom Donner getroffen gewesen“. Die Redewendung „vom Donner gerührt“ kennt man, dass der Donner auch treffen kann, ist neu und überraschend und passt somit zu unserem Bundesaußenminister.

Dem wollte Angela Merkel natürlich nicht nachstehen. Sie wählte eine mindestens ebenso kühne, wenn nicht gar noch gewagtere Formulierung: Den Rücktritt Horst Köhlers bedaure sie „aufs Allerhärteste“, sagte sie der Presse. Hartes Bedauern, und das auch noch gesteigert! Früher hat man etwas „zutiefst“ bedauert, aber die Zeiten sind offenbar härter geworden. Vielleicht wollte die Kanzlerin im ersten Impuls auch etwas ganz anderes sagen, nämlich dass sie Köhlers Rücktritt „aufs Schärfste verurteilt“.

Das ist schließlich ein Standardausspruch im Repertoire der Regierenden: Brandanschläge, Selbstmordattentate, Geiselnahmen, Schiffsentführungen, Gegenvorschläge der Opposition – all dies wird grundsätzlich und ausnahmslos „aufs Schärfste verurteilt“. SPIEGEL ONLINE schrieb in einem Kommentar: „Horst Köhlers Rücktritt als Bundespräsident ist ein Schock für Deutschland – und er zeigt: Mann und Amt passten einfach nicht zusammen.“ Derart deutlich antipatriarchale Töne ist man vom SPIEGEL gar nicht gewohnt! Aber die Zeiten werden nicht nur härter, sondern auch schärfer, und dazu gehört offenbar auch die Erkenntnis, dass das Amt des Bundespräsidenten nichts für Männer ist. Welch ein Schlag ins Kontor! Für manche, die mit dem Wort „Kontor“ (= Büro, Geschäftsstelle) nichts mehr anfangen können, ist es auch „ein Schlag ins Kantor“ oder – in der sächsischen Variante – ein „Schlag ins Kondor“. Meine Freundin Sibylle nennt so etwas kurz und bündig einen „Schlag ins Konto“.

Wie auch immer. Die Meinung, das Amt des Bundespräsidenten sei nichts für Männer, wird auch von Bundeskanzlerin Angela Merkel geteilt. Immerhin gab sie zu Protokoll, sie könne sich auch eine „eventuell weibliche Bundespräsidentin“ vorstellen. Guido Westerwelle könnte, wenn er sich von seinem Donnerschlag erholt hat, einwerfen, dass es zunächst Zeit für eine männliche Bundespräsidentin sei. Darauf könnte Angela Merkel kontern, dass es eine solche schon mal gegeben habe, und zwar unter Wilhelmine Lübke. Wenn schon ein weiblicher Bundespräsident, dann aber nur ein lediger! Sonst quälen sich alle wieder wochenlang mit der Frage, wie der Ehemann der Bundespräsidentin korrekt bezeichnet wird: Bundespräsidentenehemann? Bundespräsidentinnengatte? Der Bundespräsidentin ihr gemahlener Mann?

Ich seh’s schon kommen: Stefan Raab muss es richten. Seit Lena Meyer-Landruts überwältigendem Sieg beim Grand Prix Eurovision de la Chanson (neudeutsch auch: Jurowischn Zong Kontäst) gilt der Amateurboxer als Deutschlands neue Geheimwaffe. Er ist ein Star-Macher, ein Mann für alle Fälle (mit Ausnahme des zweiten), und vermutlich hat er längst ein Konzept in der Schublade, wie die Bundespräsidentennachfolgefrage (= mein Vorschlag für das Wort des Jahres!) zu lösen sei. Plan eins: Mittels einer Castingshow auf ProSieben – in Kooperation mit 3Sat und Phoenix: „Deutschland sucht das Super-Präsident“. (Damit hätte man auch gleich die Geschlechterfrage ausgeblendet.)

Vielleicht greift Raab auch eine Schublade tiefer und präsentiert Plan zwei. Der kommt den Steuerzahler um einiges günstiger: Raab ernennt einfach seinen ehemaligen Schützling Guildo Horn zum Bundespräsidenten. Dann braucht man auf Schloss Bellevue nicht mal neues Briefpapier zu drucken, denn Guildo Horn heißt mit bürgerlichem Namen: Horst Köhler! „Potzblitz!“, werden Sie jetzt rufen. Und ein paar vielleicht auch: „Potzdonner!“ Fest steht: Dieser Horst Köhler würde sein Volk nicht von einem Tag auf den anderen im Stich lassen, denn von ihm wissen wir schließlich: Guildo hat uns lieb!

(c) Bastian Sick 2010

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