„Das kostet Ihnen keinen Cent!“, verspricht ein Anbieter im Internet. Offenbar kostet uns seine Werbung dafür den Akkusativ. Doch nicht nur die Reklamesprache gibt uns immer wieder neue Rätsel auf. Auch manchem Politiker sind schon die Fälle davongeschwommen. Dem muss man dann erst mal wieder richtiges Deutsch lernen.
Jeder kennt die Werbung für die Telefonauskunft, bei der Verona Feldbusch ihr Image als grammatikschwaches Dummchen geschickt vermarktet, wenn sie die berühmten Worte spricht: „Da werden Sie geholfen.“ Die meisten wissen natürlich, dass dies falsches Deutsch ist und dass es richtig heißen muss: „Da wird Ihnen geholfen.“ Den meisten ist bekannt, dass das Verb „helfen“ aktivisch und mit dem Dativ gebildet wird, nicht passivisch wie in „Hier werden Sie beraten“ oder „Da werden Sie verschaukelt“.
Den meisten, wohlgemerkt. Die meisten sind aber nicht alle. So wurde mir von einem Fall berichtet, bei dem eine Kundin in einem Schuhgeschäft die höfliche Frage einer Verkäuferin, ob sie eine Beratung wünsche, mit den Worten erwiderte: „Nein danke, ich werde schon geholfen!“ Die Verkäuferin sah die Kundin ungläubig an und wartete auf ein Zwinkern, ein Lächeln, auf irgendein Zeichen, mit dem die Kundin zu erkennen gab, dass sie sich einen sprachlichen Scherz erlaubt habe. Aber da kam nichts. Offenbar war die Kundin fest davon überzeugt, die richtigen Worte gewählt zu haben. Und dabei sah sie Verona Feldbusch nicht einmal ähnlich.
Schlimmer noch als die Verwechslung von Aktiv und Passiv ist die Verwechslung von Akkusativ und Dativ. Ein Freund von mir sagt hartnäckig, er sei „im Gespräch verwickelt gewesen“, was für mich so klingt, als hätte während des Gesprächs plötzlich jemand ein Netz über ihn geworfen. Unlängst schrieb mir eine besorgte Leserin, sie habe das Gefühl, dass immer mehr Menschen nach Präpositionen, die den Dativ erfordern, den Akkusativ benutzten. Als sie kürzlich in einem Geschäft mit ihrer Kreditkarte bezahlen wollte und diese sich nicht durch das Kartenlesegerät ziehen ließ, habe ihr die Kassiererin gesagt: „Das liegt an den Apparat.“ Die Leserin fragte sich indes, woran es liege, dass die Kassiererin hier den Akkusativ wählte. An falschen Vorbildern in der Werbung?
Man darf den Einfluss der Werbung nicht überschätzen. Wenn die deutsche Sprache im Fall eines dritten oder vierten Falles gelegentlich ins Schwanken gerät, so liegt dies vor allem an der Tatsache, dass wir Deutschen ein Volk von Dialektsprechern sind. Und jede Mundart hat ihre eigenen Regeln, gerade was den Gebrauch der Fälle angeht. Der Berliner zum Beispiel kann mit dem Akkusativ nicht viel anfangen. So lautet die schönste Erklärung, die ein Mensch einem anderen machen kann, auf Berlinerisch: „Ick liebe dir.“
In anderen Gegenden wiederum erfreut sich der Akkusativ weitaus größerer Beliebtheit als der Dativ. In Sachsen-Anhalt zum Beispiel heißt es am Frühstückstisch: „Gib mich mal die Butter.“ Auch der Aachener kommt problemlos ohne „mir“ und „dir“ aus und lässt auch sonst alles weg, was nach seinem Gefühl nicht unbedingt nötig ist. Wenn ihm das Angebot in der Kantine nicht zusagt, sagt er: „Ich jeh nach Haus und koch mich selbst.“ Bei gegenständlichen Objekten verwendet er auch gerne mal den Nominativ: „Kannste mich mal der Schlüssel jeben?“
Auch der Kölner lehnt die Existenz von mehr als zwei Fällen hartnäckig ab. Man sagt „dat Mensch“ im Nominativ und im Akkusativ, und „demm Mensch“ im Dativ und im Genitiv. In Köln kommt man damit wunderbar zurecht. Dass sich, je nach Region, bei bestimmten Wendungen ein unterschiedlicher Kasusgebrauch eingebürgert hat, ist weder ungewöhnlich noch unerklärlich. Es ist historisch so gewachsen.
Schließlich ist es selbst im Hochdeutschen längst nicht immer eindeutig. Heißt es „auf sein Recht beharren“ oder „auf seinem Recht beharren“? Der Duden lässt hier nur den Dativ gelten. Bei „auf etwas bestehen“ geht hingegen beides, man kann „auf seinem Recht bestehen“ (wenn man darauf beharrt), und man kann „auf sein Recht bestehen“ (wenn man es einfordert). Immer wieder gerate ich ins Grübeln, wenn ich mit der Frage konfrontiert werde, ob es „Er hat ihm auf die Füße getreten“ heißt oder „Er hat ihn auf die Füße getreten“. Aber auch hier ist beides möglich.
Einem Bericht der „taz“ zufolge soll der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber einmal gesagt haben, wir müssen den Ausländern richtiges Deutsch lernen. Diese Aussage hat seinerzeit viele Menschen stutzig gemacht, und einige meinten, vielleicht solle man erst einmal die Politiker in unserem Lande richtiges Deutsch lehren. Jemanden etwas lehren (nicht lernen) wird im Allgemeinen mit dem doppelten Akkusativ gebraucht: einen Menschen (wen = Akkusativ der Person) das Fürchten (was = Akkusativ der Sache) lehren.
Das war in früheren Jahrhunderten auch mal anders, da konnte der Meister seinem Lehrling auch im Dativ das Handwerk lehren, aber heute wird der Dativ im Zusammenhang mit dem Wort „lehren“ überwiegend als falsch empfunden. Diese schmerzliche Erkenntnis musste auch jene Werbeagentur machen, die im Januar 2004 den amerikanischen Spielfilm „Mona Lisas Lächeln“ auf dem deutschen Markt anpries. „In einer Welt, die ihnen vorschrieb, wie man lebt, lehrte sie ihnen, wie man denkt.“ So stand es auf Tausenden von Kinoplakaten zu lesen. Und auf den Gesichtern Tausender Kinobesucher bildeten sich große Fragezeichen: Ist das richtig so?
Als der Film einige Zeit später als DVD herauskam, war auf der Hülle der Satz in leicht abgewandelter Form zu lesen: „In einer Welt, die ihnen vorschrieb, wie man lebt, lehrte sie sie, wie man denkt“, hieß es nun. Es geschehen doch noch Zeichen und Wunder. Man soll die Hoffnung nicht aufgeben, auch nicht in Bezug auf die Werbung. Vielleicht verfällt eine pfiffige Agentur eines Tages auf die Idee, einen Konkurrenten der Auskunftsfirma Telegate mit dem Ausspruch zu bewerben: „Da wird Ihnen wirklich geholfen!“ Das wäre doch ein Knüller! Ein hoher Aufmerksamkeitsbonus wäre garantiert, und im (grammatischen) Vergleich stünde Telegate als Dummchen da.
Bei meinem Besuch in Aachen kam mir ein weiteres amüsantes Beispiel zu Ohren. Eine Aachenerin berichtete mir von einem persönlichen Erlebnis in einer Modeboutique. Sie wollte einen Bademantel kaufen, den sie im Schaufenster gesehen hatte. „Das ist ein Markenartikel“, sagte ihr die Verkäuferin und tat dabei etwas wichtiger, als es dem Anlass gebührte, denn der Bademantel war immerhin herabgesetzt. Und erklärend setzte sie nach: „Das ist von Tschiwentschi, aber das wird Sie nichts sagen.“
Dass sich der Name Givenchy dabei eher nach Tschiwabtschitschi anhörte als nach einem französischen Designer, war schon komisch genug. Der falsche Kasus aber setzte dem Ganzen die Krone auf. „Das Verb ,sagen‘ wird mit dem Dativ gebraucht, aber das wird Ihnen nichts sagen“, hätte die Aachenerin erwidern können. Aber dazu war sie zu höflich. Nicht jeder kann wissen, wie’s richtig gehört, aber einige wissen zum Glück noch, was sich gehört. Janz besonders der Aachener (Öcher, wie er sich selbst nennt), „der kennt sich mit so was!“
(c) Bastian Sick 2005
Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod, Folge 2“ erschienen.