Es ist wahrlich nicht leicht, ein Teenager zu sein. Man gibt sich äußerste Mühe, cool zu wirken, hört nur angesagte Musik, und dann fallen einem die ignoranten Eltern in den Rücken, und das mühsam aufgebaute Image ist mit einem Schlag zum Teufel.
Auf unserem Spaziergang bleibt mein Freund Henry plötzlich vor einer Plakatwand stehen: „Schau an“, ruft er ungläubig aus, „den gibt es also auch immer noch! Wer hätte das gedacht!“ – „Wen meinst du?“, frage ich, „Winnetou? Dann musst du jetzt sehr stark sein: Das ist nicht mehr derselbe, den du kanntest. Es ist wie bei Lassie, wo sie auch mehrere Hündinnen …“ – „Quatsch!“, unterbricht mich Henry und deutet auf das Plakat darunter, „Ich meine Peter Gabriel! Der geht tatsächlich wieder auf Tour!“ – „War der nicht früher bei Genesis?“ – „Stimmt“, sagt Henry, „aber Mitte der 70er stieg er aus und machte solo weiter. Ich war sogar mal auf einem Konzert von ihm!“ – „Und wie war’s?“, frage ich neugierig. „Eigentlich war es ganz okay, wenn man mal davon absieht, dass mich die Sache fast meinen Ruf gekostet hätte!“ Nun bin ich natürlich erst recht neugierig geworden, und so dränge ich Henry, mir die Geschichte zu erzählen.
Als Henry sechzehn Jahre alt war, galten Sänger wie Elton John und Billy Joel als ziemlich angesagt. In seiner Altersgruppe, wohlgemerkt. In der Altersgruppe seiner Eltern wusste man mit diesen Namen kaum etwas anzufangen. Henrys Mutter gehörte zu der Generation, die mit Elvis und Peter Kraus aufgewachsen war. Schon für die Beatles hatte sie kein rechtes Verständnis mehr aufbringen können und blieb stattdessen ihrem Hausfrauensender treu. Henry hatte zusammen mit einem Freund beschlossen, auf ein Peter-Gabriel-Konzert zu gehen. Notgedrungen musste er seine Mutter davon in Kenntnis setzen, schließlich brauchte er ihre Erlaubnis. Wie sich herausstellte, hatte seine Mutter überhaupt nichts dagegen, sie war sogar stolz darauf, dass ihr Sohn endlich ein soziales Leben zu entwickeln begann, mit Freunden und gemeinsamen Unternehmungen und dergleichen, und so berichtete sie bei der ersten sich bietenden Gelegenheit ihren Freundinnen davon, wobei ihr allerdings eine kleine Verwechslung unterlief: „Mein Sohn hat Karten für Gunter Gabriel“, sagte sie – und das in diesem ganz bestimmten Tonfall, mit dem Mütter zum Ausdruck bringen wollen, wie viel Verständnis sie für die Bedürfnisse ihrer Kinder haben.
Diese Neuigkeit fand freudige Verbreitung, und bald hatte sich in der gesamten Nachbarschaft herumgesprochen, dass Henry ein Gunter-Gabriel-Konzert besuchen würde. Henry selbst ahnte zunächst nichts; er wunderte sich nur darüber, dass ihn der Nachbar von gegenüber neuerdings mit einem fröhlichen „Hey, Boss, ich brauch mehr Geld!“ begrüßte. Die Sache klärte sich auf, als Henry einige Zeit später beim Einkaufen einer Freundin seiner Mutter begegnete, die ihn neugierig fragte, wie es denn auf dem Gunter-Gabriel-Konzert gewesen sei. Gegen Gerüchte und Verleumdungen, die von Gleichaltrigen in die Welt gesetzt werden, kann man sich zur Wehr setzen. Aber gegen eine Behauptung, die von der eigenen Mutter – noch dazu in bestem Glauben – gestreut wurde, ist man machtlos. Es dauerte Wochen, bis Henry sich von dem Verdacht, ein Gunter-Gabriel-Fan zu sein, reingewaschen hatte. Einige in seiner alten Wohngegend glauben es womöglich noch heute. Immerhin hatte Henry nun einen triftigen Grund, nicht mehr zum Friseur zu müssen, denn ist der Ruf erst ruiniert …
Eine ähnliche Geschichte trug sich auch in meiner Familie zu: Bei einem Besuch berichtete eine Tante beiläufig, dass ihr 17-jähriger Sohn kürzlich zu einem Konzert von „Truck Stop“ gefahren sei. Die Gruppe kannte ich aus der „Hitparade“, aber ich konnte mir partout nicht vorstellen, dass mein Cousin sich so etwas anhört. Wie sich später dann herausstellte, war es ein Konzert der Gruppe „Supertramp“. Na ja – Trampen und Trucks – das liegt natürlich nah beieinander, so etwas kann eine Mutter schon mal verwechseln, so wie Peter und Gunter, zwei Namen, die beide auf -ter enden.
Und so etwas passiert natürlich nicht nur Müttern, sondern auch Vätern. Und Onkeln und Tanten genauso. Einer meiner Mitschüler hörte mit dreizehn Jahren gern Simon & Garfunkel. Zu seiner Konfirmation hoffte er das Album „Bridge over troubled water“ zu bekommen. In der Übermittlung dieses Wunsches muss etwas schiefgelaufen sein. Auf seinem Gabentisch fand sich eine Langspielplatte des österreichischen Schlagerduos Waterloo & Robinson. Der Verwirrung folgte Protest, es gab wütende Worte, sogar Tränen. Der Onkel, der die Platte besorgt hatte, weigerte sich, darin einen Fehler zu erkennen: „Ich weiß nicht, was ihr habt. Der Junge wollte zwei langmähnige Männer, die schwuchtelig singen, und genau das hat er bekommen: zwei langmähnige Männer, die schwuchtelig singen!“ Diese Klarstellung vermochte meinen Mitschüler nicht zu trösten, aber er hat sich nie wieder eine Platte von Simon & Garfunkel gewünscht.
Dies trug sich in den späten 70er-Jahren zu, und seitdem wurde die Musikszene mindestens ein Dutzend Mal komplett renoviert. Waterloo & Garfunkel haben sich irgendwann getrennt; langmähnige Männer, die zusammen singen, hat es indes immer wieder gegeben.
Den ersten Platz auf der Liste schauriger Verwechslungen hält jene junge Frau, die irgendwann Ende der 80er-Jahre in einem CD-Geschäft vor mir in der Schlange am Schalter für Reklamationen stand. „Die CD sollte ein Geschenk für meinen Freund sein, aber ich hab mir da irgendwie was Falsches notiert. Richtig muss es heißen: Talking Heads“ – „Wenn Sie den Kassenbon dabei haben, ist das kein Problem“, sagte der Verkäufer und fügte grinsend hinzu: „Es ist übrigens nicht das erste Mal, dass man die miteinander verwechselt.“ Ich stellte mich auf die Zehenspitzen, um über die Schulter der jungen Frau hinweg einen Blick auf den Namen der Formation zu erheischen, die sie anstelle der amerikanischen New-Wave-Band Talking Heads erworben hatte, und war nicht überrascht, als ich auf dem Cover zwei langmähnige Männer und den Schriftzug „Modern Talking“ erkannte.
Um ihr eine solche Verwechslung zu verzeihen, meint Henry seufzend, müsse ihr Freund sie wirklich sehr geliebt haben.
Haben auch Sie mal eine ähnlich peinlich-lustige Situation erlebt, oder sind Sie selbst einer amüsanten Verwechslung aufgesessen? Schreiben Sie dem „Zwiebelfisch“!
(c) Bastian Sick
Zum Thema: Was macht eigentlich … Peter Gabriel?
Vorbemerkung: Bei uns in der Schweiz heissen viele kleine Hunde „Waldi“. Folgende Begebenheit trug sich vor einiger Zeit in einem CD-Geschäft zu: Eine etwas ältere Dame wünschte den Tonträger von Cecilia Bartoli, auf dem sie „wie ein Hund singt“. Keiner der Verkäufer konnte sich darunter etwas vorstellen. Ein Kunde bekam das mit und meinte: „Die Dame sucht sicher ,Bartoli singt Vivaldi‘!“