Deutschland exportiert nicht nur Autos, Bier und Kuckucksuhren, sondern auch Teile seiner Sprache. Im Bulgarischen kennt man das Wort „schteker“, im Russischen den „schlagbaum“, in der Ukraine „feijerwerk“ und in Chile die „bierstube“. Deutsche Wörter sind über die ganze Welt verstreut.
Nicht selten kommt es im Ausland zu denkwürdigen Begegnungen mit der deutschen Sprache. Damit sind hier nicht die eigenwilligen Kreationen gemeint, wie man sie auf Speisekarten in Urlaubsländern findet, so wie „Huhn besoffen mit Getränke“ oder „Tintenfisch kochte mit Allen“ oder „Bewegte Eier mit Schurken“. Gemeint sind deutsche Wörter, die von fremden Kulturen importiert, abgekupfert, geborgt oder, vornehmer ausgedrückt: entlehnt worden sind – weshalb sie auch Lehnwörter genannt werden. Davon gibt es mehr, als man denkt.
Die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) hat im letzten Jahr damit begonnen, deutsche Wörter in anderen Sprachen zu erfassen. In einer Pressemitteilung wandte sie sich an die Öffentlichkeit und rief dazu auf, deutsche Wörter, die in fremden Sprachen gebraucht werden, einzuschicken. Das Echo war überwältigend: In den folgenden Wochen und Monaten gingen insgesamt rund 7500 Vorschläge von 450 Teilnehmern aus aller Welt bei der GfdS ein. Einige schickten ein einzelnes Wort, das sie irgendwo aufgeschnappt hatten, andere sandten umfangreiche Listen ein, die sie über Jahre zusammengestellt und mit Beispielen gefüllt hatten.
Wenn man beim Betreten eines klimaanlagengekühlten Geschäfts in den USA plötzlich niesen muss, kann es passieren, dass einem ein freundliches „gesundheit!“ zugerufen wird. Und während in den letzten Jahren immer mehr Deutsche Halloween feiern, findet in immer mehr amerikanischen Städten ein „oktoberfest“ statt. Englisch ist vermutlich die Sprache mit den meisten deutschen Wörtern. Aber sie ist bei weitem nicht die einzige. Deutsche Wörter findet man fast überall, vom Nordkap bis zum Kap der guten Hoffnung, vom Roten Platz bis zur Copacabana.
Die Dänen benutzen den Ausdruck „salonfaehig“, in den Niederlanden kennt man das Wort „fingerspitzengefühl“, in Bulgarien das „zifferblatt“ und im Koreanischen „autobahn“*. Aus Somalia wurden die Wörter „shule“ und „kaputi“ gemeldet. Im Russischen findet man deutschstämmige Wörter wie „butterbrot“, „durschlag“ und „kompott“. Nicht zu vergessen den „riesenschnauzer“ – Hundenamen rangieren auf der Liste der deutschen Exportwörter ganz oben. Mit den Hundenamen haben wir auch gleich die dazugehörigen Kommandos exportiert: „Platz!“, „Sitz!“, „Pass auf!“, „Hopp“, „Such!“ und „Pfui!“ gibt es im Englischen und im Russischen.
Ebenfalls weit verbreitet sind kulinarische Begriffe aus dem Deutschen. Die Russen und die Serben kennen das Wort „krumbeer“, gewissermaßen eine Weiterzüchtung der in Südhessen, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg beheimateten Grundbirne, einer regionalen Bezeichnung für die Kartoffel. Sowohl in Italien als auch in Chile gibt es „strudel“. Die Briten züchten „kohlrabi“, die Türken braten „snitzil“, und unsere beliebten Bratwürste sind als „bratwurst“, „wurstel“ oder „wirstle“ gleich von mehreren Sprachen übernommen worden. Ebenso „kuchen“, „pumpernickel“, „wiener“ und „zwieback“. Am erfolgreichsten sind allerdings Metalle und Mineralien: „Nickel“ und „Quarz“ kommen nach Auskunft der Dudenredaktion in mindestens zehn verschiedenen Sprachen vor, „Gneis“ und „Zink“ noch in neun. Was nicht heißt, dass sie häufiger gebraucht würden als die „essbaren“ Begriffe.
Viele der deutschen Exportwörter lassen interessante Rückschlüsse auf die Wahrnehmung der deutschen Kultur durch andere Völker zu. Man importiert ja für gewöhnlich nur etwas, das man selbst nicht hat, und man importiert es von dem, der als Erster damit auf dem Markt war oder der am meisten davon zu bieten hat. So sind wir natürlich stolz darauf, dass das deutsche Wort „kindergarden“ ein Welterfolg geworden ist. Nicht minder freuen wir uns über die wundervollen Wörter „wirtschaftswunder“ und „wunderkind“. Auch auf den Exportschlager „autobahn“ sind wir stolz, wobei wir die Entstehungszeit dieses Wortes gnädig ausblenden. Dass man in Griechenland das Wort „volkswagen“ stellvertretend für alle Kleintransporter verwendet, erscheint uns wie eine Auszeichnung.
Und wie schwillt uns erst der Kamm angesichts der Tatsache, dass ausgerechnet die Japaner, berühmt für ihren Fleiß, ein Wort namens „arubaito“ haben, das unverkennbar auf das deutsche Wort Arbeit zurückgeht! Haben wir nicht immer gewusst, dass die Arbeit in Deutschland erfunden wurde? Ja, wir Deutschen sind Spitze, das steht außer Frage. Wir haben der Welt „sauerkraut“, „gemuetlichkeit“ und „fahrvergnuegen“ geschenkt, von uns haben die anderen den „walzer“, das „lied“ und den „rucksack“. Und wir waren die Ersten, die sich über das Waldsterben Gedanken machten, sodass man selbst in Frankreich von „le waldsterben“ sprach.
Leider ist das nur die eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite findet man etliche Begriffe, die einen doch stutzig machen. Was sagt es über uns Deutsche aus, wenn sich die Finnen von uns das Wort „besserwisser“ ausleihen, die Schweden dazu noch den „streber“, und die Kanadier den „klugscheisser“? Was haben wir davon zu halten, dass man im Tschechischen das Wort „sitzflaijsch“ und im Polnischen den Begriff „hochsztapler“ findet? Und warum mussten so viele Sprachen von uns ausgerechnet das Wort „kaputt“ übernehmen? Die Ernüchterung folgt auf dem Fuße: Das Wort „arubaito“ steht im Japanischen nicht etwa für reguläre Arbeit, sondern bezeichnet Teilzeitarbeit und Aushilfstätigkeit. Da erscheint die fernöstliche Reputation des Deutschen doch gleich in einem anderen Licht.
Trösten wir uns mit einem schnaps, den kennt man nämlich fast überall auf der Welt.
*Wörter aus Sprachen, die keine lateinische Schrift verwenden, werden in diesem Text in der transkribierten Form wiedergegeben, wie sie auch von der GfdS verwendet wurde.
(c) Bastian Sick 2005
Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod, Folge 2“ erschienen.