Sonntag, 20. Oktober 2024

Ab heute im Handel!

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Heute kommt mein neuestes Buch in den Handel! „Wir braten Sie gern!“ ist das vierte Happy-Aua-Buch und mein zehntes Buch in zehn Jahren. 

Mit mehr als 300 Fundstücken ist es mein bisher umfangreichstes und abwechslungsreichstes Bilderbuch aus dem Irrgarten der deutschen Sprache. Ob Teppiche aus „reiner Schuhwolle“, Accessoires mit „stilvollen Trotteln“, Wild aus „heimlichen Wäldern“ oder reduzierte „Schamfestiger“ – es gibt nichts, was es in diesem Buch nicht gibt. Alles ist fein abgeschmeckt und mit einer ordentlichen Prise Ironie gewürzt.

Köstlich die milden Appetithäppchen wie „Riesengarnelen ohne Kopf mit Schal“ und „Ködelsalat“. Deftig dann der Hauptgang mit „vom Pferd hausgemachter Gulaschsuppe“ und „Oma’s frische Leber“. Zum Dessert steht Klassisches auf dem Programm: Von Puccinis „Toscana“ über Wagners „Rind der Nibelungen“ bis zu Mozarts „Knöchelverzeichnis“.

Außerdem kann man – wie immer bei mir – zwischendurch und nebenbei noch etwas lernen. Zum Beispiel über den Gebrauch von Befehlsformen wie „Speise früh Kartoffeln“ und über Dativ, Akkumulativ und andere Unfälle.

Eine Kostprobe finden Sie, verehrte Leserinnen und Leser, hier.


Pünktlich zum Verkaufsstart erscheint im „Weser-Kurier“ ein Interview, das der Bremer Redakteur Hendrik Werner mit mir geführt hat:

Weser-Kurier: Der Einband weist „Wir braten Sie gern!“ als „ein Happy-Aua-Buch“ aus. Welche poetische Gattung verbirgt sich hinter dieser Bezeichnung?

Bastian Sick: Eine ganz eigene Gattung! Die „Happy Aua“-Bücher zeigen Fundstücke aus dem deutschsprachigen Alltag: Anzeigen, Katalogausrisse, Zeitungsmeldungen, Angebotstafeln aus Supermärkten, Speisekarten, jeweils garniert mit den haarsträubendsten Rechtschreibpannen, die man sich nur denken kann. Dabei entsteht manchmal tatsächlich Poesie, meistens jedoch einfach nur krachende Komik.

Weser-Kurier: Ihr an lustigen wie bestürzenden Fundstücken reiches Bilderbuch ist Ihr zehntes Werk. Glückwunsch! Für wie viele Bücher wirft der prekäre Orthografiestandort Deutschland noch Stoff ab?

Bastian Sick: Die Sprache ist bekanntlich ein weites Feld, auf dem wir uns täglich neuen Fragen und auch altbekannten stellen müssen: Was soll dieses oder jenes Wort bedeuten, ist das richtig geschrieben, wie lautet die Mehrzahl, wie muss man das beugen? Solange der Mensch spricht und schreibt, solange wird es auch Bücher über das Gesprochene und Geschriebene geben.

Weser-Kurier: Der appetitliche Fundus, aus dem Sie schöpfen, scheint unerschöpflich – von „Ködelsuppe“ über „Oma‘s frische Leber“ bis zum „Rind der Nibelungen“. Haben Sie all diese skurrilen Schätze selbst gehoben, fotografiert und mit ironischen Anmerkungen versehen – oder spielen Ihnen Fans Material zu?

Bastian Sick: Von Anfang an konnte ich auf die großartige Unterstützung meiner Leser bauen. Jeden Tag werden mir neue Fundstücke zugeschickt. Ich habe alle sorgfältig archiviert. Inzwischen sind es Hunderttausende, und jede Woche kommen weitere hinzu. Meine Aufgabe ist es, diesen Fundstücken einen redaktionellen Rahmen zu geben und sie zu amüsanten Kapiteln zu verknüpfen.

Weser-Kurier: Was ist der Hauptgrund für sprachliche Saumseligkeit? Flüchtigkeit, Unkenntnis, Migration – oder ganz andere Motive?

Bastian Sick: Einen Großteil müssen wir dem Schulsystem zuschreiben, in dem seit Mitte der 70er-Jahre ein systematischer Rückbau von Grammatik- und Rechtschreibvermittlung stattgefunden hat. Normenlehre galt als böse, stattdessen wurden immer neue Reformkonzepte ausprobiert – bis hin zu der äußerst fragwürdigen „Schreipt, wie ier ess sprächt“-Methode. Die zweite große Komponente ist die Wirtschaft: Aus Kostengründen (sprich: Geiz) wird heute auf Sorgfalt und Qualitätskontrolle verzichtet. Zeitungen haben ihre Korrekturleser abgeschafft, Werbeagenturen halten es nicht für nötig, ihre Kampagnen auf orthografische Richtigkeit prüfen zu lassen. Jeder Ladeninhaber schreibt seine Anzeigen selbst, jeder Wirt gestaltet seine Speisekarten selbst. Früher wurde so etwas von gelernten Setzern gemacht, die ihr Handwerk noch verstanden. Aber dieser Beruf ist fast ausgestorben.

Weser-Kurier: Wie müsste der Deutsch-Lehrplan umgestaltet werden, auf dass Sie zwar tendenziell arbeitslos, die Menschen aber sprachlich sensibler werden?

Bastian Sick: Wir müssen uns von der Wahnvorstellung einiger Spät-68er-Pädagogen verabschieden, dass Grammatikvermittlung die freie Entwicklung des Kindes hemmen würde. Das Gegenteil ist der Fall: Wer nicht richtig schreiben und keine vollständigen Sätze sprechen kann, ist später in seinen beruflichen Möglichkeiten gehemmt. Nicht alle können Reality-TV-Star bei RTL werden. Wir brauchen auch Fachkräfte. Und die brauchen eine solide Ausbildung.

Weser-Kurier: Der Dramatiker Heiner Müller hat mal bemerkt: Zehn Deutsche sind dümmer als fünf. Ist die deutsche Sprache für Irrungen und Wirrungen anfälliger als andere?

Bastian Sick: Jede Sprache hat ihre Tücken. Ich halte Chinesisch für sehr kompliziert. Aber mehr als eine Milliarde Menschen beherrscht einen chinesischen Dialekt. Alles lässt sich lernen. Deutsch ist eine sehr flexible Sprache: Mühelos lassen sich Hauptwörter zu Verben umformen und Leihwörter aus anderen Sprachen integrieren. Das macht den Reichtum unserer Sprache aus. Nicht zuletzt aus diesem Grund ist Deutsch lange Zeit die führende Sprache der Philosophie und anderer Wissenschaften gewesen.

Weser-Kurier: „Antischocken“, „Quargschnitte“, „Rostbuschtee“ – gibt es jenseits der wundersamen Welt der Speisen weitere Bereiche, die so zuverlässig massiv mit Fehlleistungen gespickt sind?

Bastian Sick: Allerdings! Das passiert in jedem Bereich, der geschriebene Sprache nutzt und sich dabei auf sein Bauchgefühl oder ein automatisches Korrekturprogramm verlässt. Allen voran die Zeitungen. Nur sind die Fehler dort nicht immer ganz so lustig. Meistens sind sie einfach nur lästig.

Weser-Kurier: Inwieweit hat das sogenannte Denglisch die hierzulande ohnehin bestehenden Unsicherheiten noch verstärkt?

Bastian Sick: Es ist wie bei jeder Mode: Die jungen Menschen finden es schick und stürzen sich begeistert darauf, die älteren sind eher skeptisch und fragen sich: Was soll das? Brauch ich das? Muss ich das verstehen? Das gilt für das Medium Internet genauso wie für die immer komplizierter werdenden Smartphones mit all ihren Apps. Meine Mutter hat keinen Computer, kein Internet und kein Smartphone. Sie braucht das nicht. Und Anglizismen braucht sie auch nicht. Die meisten Jüngeren hingegen könnten ohne nicht mehr leben.

Weser-Kurier: Können Sie noch aus dem Haus gehen, ohne zwanghaft Ihr Umfeld auf sprachlichen Unsinn hin zu scannen?

Bastian Sick: Zwanghaft bin ich eher in anderen Dingen, etwa beim Archivieren meiner privaten Fotos und beim Aufräumen in meiner Wohnung. Das lasse ich aber los, wenn ich aus dem Haus gehe. Ich gehe nicht auf die Suche nach Fehlern, kann es allerdings nicht verhindern, sie zu finden.

 

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