Donnerstag, 18. April 2024

Ich habe Vertrag

Fußball ist nicht nur „ding“, nein, es ist bedeutend mehr, es ist „ding, dang, dong“. So sprach einmal ein großer Trainer. Fußball und Sprache gehören zusammen wie Ernie und Bert, wie Dick und Doof, wie Erkan und Stefan. Das Deutsch der Spieler und Experten ist oft seltsam, manchmal aber auch sehr komisch.

Fußballer-Zitate sind legendär. Man denke nur an die Worte des Österreichers Andreas Herzog, der auf die Frage, ob er Oliver Kahn wegen eines mehrere Jahre zurückliegenden körperlichen Angriffs noch böse sei, erwiderte: „Nein, da ist ja inzwischen Schnee über die Sache gewachsen.“

Einige Sportsfreunde haben sich die Mühe gemacht, die besten Zitate zu sammeln und in Büchern oder auf Internet-Seiten zu präsentieren. Eine wahrhaft verdienstvolle Mühe. Denn wenn man mal einen schlechten Tag hat, braucht man nur auf eine Seite wie blutgraetsche.de zu schauen und sich die neuesten Sprüche durchzulesen, schon lacht man wieder. Zum Beispiel über diese Feststellung von Andreas Möller: „Speziell in der zweiten Halbzeit haben wir einen guten Tag erwischt.“

Dabei sind Fußballer ganz normale Menschen. Menschen wie du und ich. Menschen mit ganz alltäglichen Problemen. Sie tun sich schwer mit Fremdwörtern (Lothar Matthäus: „Wir sind eine gut intrigierte Truppe“), haben ihre Not mit dem Komparativ (Erik Meijer: „Es ist nichts scheißer als Platz zwei“), mit verdrehten Redewendungen (Fabrizio Hayer: „Ich weiß auch nicht, wo bei uns der Wurm hängt“), mit Zahlen (Thorsten Legat: „Unsere Chancen stehen 70:50“), mit der Geografie (Andreas Möller: „Mailand oder Madrid – Hauptsache Italien!“) und natürlich auch mit Frauen (Lothar Matthäus in einem „Playboy“-Interview: „Die Frauen haben sich entwickelt in den letzten Jahren. Sie stehen nicht mehr zufrieden am Herd, waschen Wäsche und passen aufs Kind auf. Männer müssen das akzeptieren.“) Und manchmal sind Fußballspieler von einer geradezu rührenden Ehrlichkeit, so wie Fredi Bobic: „Man darf jetzt nicht alles so schlecht reden, wie es war.“

Eine unter Fußballspielern sehr beliebte Formulierung lautet „Ich habe Vertrag“, zum Beispiel in einer Äußerung wie „Ich habe Vertrag bis 2007“. Viele Zuhörer wundern sich darüber und fragen sich, ob es nicht heißen müsse „Ich habe einen Vertrag“ oder „Mein Vertrag läuft bis 2007“? Kann man das Wort „Vertrag“ ohne Artikel gebrauchen? So etwas geht eigentlich nur bei unzählbaren Hauptwörtern: „Ich habe Zeit“, „Ich habe Urlaub“, „Ich habe Hunger“ oder „Ich habe Vorfahrt“. Verträge aber kann man zählen, daher sind sie in der Einzahl nur mit Artikel zu haben. Vielleicht empfinden manche Spieler den Umstand, in vertraglicher Verpflichtung zu stehen, als derart bedrückend, dass sie „Vertrag“ mit einer Krankheit gleichsetzen: „Mein Vater hat Asthma, meine Mutter hat Rheuma, und ich habe Vertrag.“ (Dazu passt ein Zitat von Mario Basler: „Ich grüße meine Mama, meinen Papa und ganz besonders meine Eltern.“)

Fußball lebt aber nicht nur von den großen Worten der Spieler allein. Auch die Sportreporter tragen immer wieder zum Amüsement bei. Die sind ja im Grunde verhinderte Kriegsberichterstatter, und entsprechend martialisch ist ihr Vokabular. Das war früher noch schlimmer als heute, da „brannte es“ regelmäßig im Strafraum „lichterloh“. Doch auch heute wird der Kriegsvergleich bisweilen noch überstrapaziert, so wie in diesem Beispiel von stern.de: „In dem Match gegen Manchester United erlitt die Mannschaft die Mutter aller Niederlagen. Zwei Gegentore in der Nachkriegszeit vermasselten den sicher geglaubten Sieg.“

Da wird der Ball – liebevoll immer wieder „das Leder“ genannt – auch schon mal ins gegnerische Tor „gemacht“: „Zapp, zapp – Italien macht den Ball ins Tor!“ (Überschrift auf welt.de). Sportreporter sind aber nicht nur Kriegsberichterstatter, nein, im Grunde ihres Herzens sind sie Dichter. So gibt es immer wieder Fälle, in denen Kommentatoren versuchen, poetisch zu werden, und ihre Sprache mit Bildern schmücken. Diese Bilder hängen allerdings manchmal so schief, dass Loriot seine helle Freude dran gehabt hätte: „Die deutsche Nationalmannschaft hat in den letzten Minuten die Zündschnur in Richtung Publikum gelegt“ (Gerd Rubenbauer). Auf „Spiegel Online“ schwärmte ein Redakteur einmal: „Seine Spieler lagen dort bereits alle auf einem Haufen, den sie aus überbordenden Glücksgefühlen planlos gebildet hatten.“ Und natürlich müssen Sportreporter ständig übersetzen: das Geschehen auf dem Spielfeld in verständliche Sätze, ausländische Begriffe ins Deutsche. Unvergessen ist Heribert Faßbenders Übersetzungsleistung bei der vorletzten WM: „Und jetzt skandieren die Fans wieder: ,Türkiye! Türkiye!‘, was so viel heißt wie ,Türkei! Türkei!‘“

Im Umgang mit der Sprache sind die Medien oft nicht besser als die Fußballprofis, und wie schon Bruno Labbadia feststellte: „Das wird alles von den Medien hochsterilisiert.“ Damit genug der Lästereien. Um es mit den Worten des berühmtesten Aphoristikers des Sports zu sagen: Ich habe fertig!

(c) Bastian Sick 2005


Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod, Folge 3“ erschienen.

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