Während sich Politiker und Beamte alle Mühe geben, die Sprache aufzublähen und zu verkomplizieren, findet im Sprachalltag ein genau entgegengesetzter Prozess statt: Die Sprache wird vereinfacht. Die Denkweise wird zur Denke, die Sprechart zum Sprech.
Auf Facebook findet man viele Freunde, und jeder pflegt seinen eigenen Schreibstil. „Tolles Foto, Niki“, kommentiert eine Freundin, „du siehst total süüüß aus!“ Niki bleibt cool und antwortet: „Auf dem Pic hab ich aber noch die alte Frise!“ – „Frise“ für Frisur – das kannte ich noch nicht. Da stehen mir vor Begeisterung die Haare zu Berge! „Frise“ ist vielleicht nur ein weiterer Plastikbecher auf dem Müllberg der Sprachdeponie, aber immerhin noch nicht ganz so verbraucht wie andere fetzige Wörter.
Schon in den achtziger Jahren war es schick, statt von „Musik“ einfach von „Mucke“ zu sprechen: „Ey, total geile Mucke!“, hieß es anerkennend, wenn jemand eine LP mit Musik aufgelegt hatte, die richtig rockte. Oder: „Die Mucke geht echt voll ab!“ Die Mucke-Hörer von damals sind längst erwachsen, was aber nicht bedeutet, dass alle dem Jugendjargon entwachsen wären. Noch heute lässt sich bei vielen Menschen ein Hang zur Simplifizierung beobachten. Man verwendet Kurzwörter, die wie hingerotzt klingen, um besonders lässig zu wirken. So mancher Student geht zum Tanzen nicht in die Diskothek, sondern „in die Disse“. Schließlich will er eines Tages doch seine Dissetation machen! Und Schüler verschicken auch schon mal „’ne Simse“ anstelle einer SMS.
Als mich mein Freund Philipp zu einer Spritztour in seinem neuen Audi TT mitnahm, sagte er mit Blick auf den Benzinstandanzeiger: „Wir müssen noch schnell zur Tanke!“ Philipp ist mittlerweile auch schon jenseits der vierzig, sodass man sehr viel guten Willen aufbringen muss, um ihm das noch als „Jugendjargon“ durchgehen zu lassen. Dafür regt sich Philipp über die Jüngeren auf, die zum Teil nur noch elliptische Sätze herausbringen wie: „Ich fahr Tanke!“ Philipp ist Journalist und hat, wie er findet, eine „flotte Schreibe“. Damit meint er seinen Schreibstil. Meine „Denke“ sei manchmal ganz schön verdreht, sagt er. Ich denke, mit „Denke“ meint er meine Denkweise.
Als ich zuletzt bei Philipp und seiner Freundin Maren zum Essen eingeladen war, sagte ich anerkennend: „Du hast eine flotte Schreibe, und Maren hat eine tolle Koche! Das ist die perfekte Mische!“ Philipp stutzte, dann erwiderte er lachend: „Und du hast hoffentlich eine gute Verdaue, denn es gibt noch Nachtisch!“
Mein Freund Henry hätte weniger Nachsicht. Er brachte seine Einstellung zur umgangssprachlichen Verkürzung einmal auf folgende Formel: „Coole Denke, flotte Schreibe – Scheißsprech!“
Werber benutzen die verkürzte Form „Präse“. Was für die einen moderner Werbesprech ist, klingt für empfindlichere Ohren eher geschmacklos. Und es ist prädestiniert, um Missverständnisse zu erzeugen: „Anne, hast du meine Präse gesehen? Ich habe sie doch hier vorhin auf den Tisch gelegt!“ – „Ob ich deine … was? Lässt du deine Präservative jetzt schon offen herumliegen? Was sollen denn die Kinder denken?“
Viele Leute beschäftigen in ihrem Haushalt eine „Putze“. Zur vollen „Putzkraft“ hat’s offenbar nicht gereicht. Es ist vielleicht scherzhaft oder locker gemeint, klingt aber abschätzig und ist nicht besser als Tippse oder Saftschubse. Das Wort „Putze“ kommt bei mir nicht vor, es sei denn, ich „putze“ selbst.
Zu seinem 45. Geburtstag werde ich Philipp einen Autoaufkleber schenken: „Zur Tanke? Nein danke!“ wird darauf stehen. Darüber wird er sich bestimmt freuen wie Hulle. Die Sache ist schon in der Mache!
Abkürze | Vollständige Bedeutung |
Bediene | Bedienung, Anleitung, Angebot |
Brülle | laute Stimme, lauter Gesang |
Denke | Denkweise, Denkart |
Disse | Diskothek, Tanzlokal |
Fahre | Fahrstil, Fahrweise |
Frise | Frisur, Haarschnitt |
Funke | Funkanlage, Funkverbindung |
Grinse | Lächeln |
Glotze | Fernsehapparat |
Halte | Haltestelle |
Kippe | Zigarette, Zigarettenstummel |
Klapse | Klapsmühle (ugs. für psychiatrische Klinik) |
Knipse | Fotoapparat |
Mische | Mischung |
Mucke | Musik |
Mülle | Mülleimer, Mülltonne |
Penne (von Pennäler) | Schule |
Präse | Präsentation |
Putze | Putzkraft, Reinigungskraft |
Schalte | Schaltung (bei Rundfunk und Fernsehen) |
Schreibe | Schreibstil, Schreibweise |
Tanke | Tankstelle |
Verkaufe | Handel, Verkauf |
Wumme (lautmalerisch) | Schusswaffe |
Zige, Zise | Zigarette |
(c) Bastian Sick 2010
Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod, Folge 5“ erschienen.
Guten Tag Herr Sick,
Ihre Bücher amüsieren mich sehr und ich habe eine Anmerkung zu Ihrer Geschichte „Tanke? Nein Danke!“ (im neuen Buch auf den Seiten 330-333).
Ich arbeite seit vielen Jahren bei der Lufthansa als Purser (Chefstewardess) und höre immer häufiger das Wort „Reze“ von meinen jüngeren Kollegen/Kolleginnen.
Reze bedeutet die gute alte Rezeption eines Hotels!
Selbstverständlich gehen wir als Crew auch gerne mal in eine Disse, nachdem wir uns die Frise gerichtet haben!
Übrigens ist unser Flieger-Jargon auch etwas sehr Spezielles und ich beantworte gerne Ihre Fragen, falls Sie Interesse haben sollten.
Beste Grüße!