Hollywood-Stars, die Ungeheuer erschaffen, explodierende Boiler, die zu Schiffskatastrophen führen, schwerer Drogenmissbrauch in einem US-Krankenhaus und wie Bernadette Chirac Hillary Clinton beleidigte: Ohne die täglichen Übersetzungsfehler wäre das Leben nur halb so aufregend.
Da heutzutage die meisten Nachrichten von internationaler Relevanz aus englischsprachigen Quellen stammen, besteht die Arbeit von deutschen Journalisten zu einem großen Teil aus Übersetzen. Vielen fällt es dabei schwer, sich von der englischen Vorlage zu lösen, sie kleben am Originaltext und übersetzen Wort für Wort, ohne sich zu fragen, ob man das im Deutschen so überhaupt sagen kann. So kommt es bisweilen zu kuriosen Missverständnissen und äußerst eigenwilligen Wortschöpfungen.
Seit den schrecklichen Geschehnissen des 11. Septembers 2001 hat bei uns ein Wort eine unbeschreibliche Renaissance erlebt, das bis dato als altmodisch galt und in der Mottenkiste der Militärsprache vor sich hin staubte: die Attacke. Früher nahm dabei vor unserem geistigen Auge allenfalls ein Offizier in einer bunten Uniform mit Helm und Federbusch Gestalt an, der mit blank gezogenem Säbel den Angriff befiehlt, seinem Pferd die Sporen gibt und wie ein Wahnsinniger drauflosreitet. Eine Szene, wie man sie in Dutzenden von Historienfilmen gesehen hat. Attacken wurden gern geritten, aber zusammen mit der Kavallerie ist auch das Wort aus der Mode gekommen. Jedenfalls im Deutschen. Im Englischen hat das Wort „attack“ nichts Altmodisches, es ist die übliche Vokabel für Angriff, Anschlag, Anfall, Überfall, Beschuss und für scharfe Kritik. So sprach man in den englischsprachigen Medien nach dem 11. September ganz selbstverständlich von „terror attack“. Offenbar aber war die deutschsprachige Presse von den Anschlägen derart überwältigt, dass sie das Übersetzen vergaß. Möglicherweise wurde dieser Umstand durch die Tatsache begünstigt, dass einer der Flugzeugentführer Mohammed Atta hieß. Jedenfalls ist seit diesem Tag das Wort „Terror-Attacken“ in aller Munde, und auch die Zahl der „Herzattacken“ hat wieder zugenommen (während die der Herzinfarkte deutlich zurückging).
Erinnern Sie sich noch an den schlimmen Unfall des Magiers Roy Horn, der im Oktober 2003 auf der Bühne von einem weißen Tiger angefallen und schwer verletzt wurde? Prompt war natürlich in deutschen Zeitungen von einer „Tiger-Attacke“ die Rede. Aber das Empörendste an der Geschichte: Die Ärzte versetzten den armen Roy mit Drogen in ein künstliches Koma. So konnte man es lesen. Und man wunderte sich: In den USA ist nicht mal Haschisch legal, und Roy wird mit Drogen voll gepumpt? Geht das mit rechten Dingen zu? Das englische Wort „drugs“ steht in erster Linie für Medikamente. Die engere Bedeutung „Drogen“, „Rauschmittel“ gibt es im Englischen zwar auch, doch die war sicherlich nicht gemeint, als die Ärzte um das Leben des Las-Vegas-Stars kämpften.
Übersetzungsfaulheit ist eines der gravierendsten Stilprobleme unserer Zeit. Nicht immer ist der Fehler so klar erkennbar wie im Falle von „silicon“, das oft fälschlich mit Silikon übersetzt wird: „Sieben Jahre nach dem Boom der pflegebedürftigen Kleincomputer kommt nun eine zweite Generation der Silikonküken auf den Markt“, hieß es in einem Bericht über die aus Japan importierte Landplage namens Tamagotchi. Silikon ist ein Stoff, mit dem normalerweise Badewannen abgedichtet und Frauenbrüste auf ein augenfälliges Format gebracht werden. Das Herzstück der kleinen Tamagotchi-Nachkommen besteht aber nicht aus Silikon, sondern aus Silizium.
Erstaunlich unsensibel reagieren viele Menschen auch im Umgang mit dem englischen Wort „sensitive“ (= sensibel, feinfühlig, empfindlich). Da erregt sich zum Beispiel ein Energie-Experte der SPD über den geplanten Export der Hanauer Atomfabrik nach China mit den Worten: „Wenn es überhaupt je einen Grund gibt, einen Export zu untersagen, dann bei sensitiver Atomtechnologie.“ Das Wort sensitiv gibt es im Deutschen zwar auch, doch hat es die Bedeutung „leicht reizbar“ und wird hauptsächlich von Nervenärzten verwendet. Was der Energie-Experte tatsächlich meinte, war „sensible Atomtechnik“.
In einem Bericht, in dem es um die Fettleibigkeit der Amerikaner ging, war zu lesen: „Allzu große Anstrengungen will der Minister seinem Volk nicht zumuten. Es sei nicht nötig, Marathon zu laufen oder einem Gesundheitsclub beizutreten.“ Die Augen sind schon längst im nächsten Absatz, da kreiselt das Wort „Gesundheitsclub“ noch immer im Kopf herum und verursacht ein befremdliches Geräusch. Bis es plötzlich „Klack!“ macht und man erkennt: Im Originaltext war offenbar von einem „health club“ die Rede, und das ist nichts anderes als ein ganz gewöhnliches Fitness-Studio! „Gesundheitsclub“ ist fraglos eine irreführende Übersetzung.
Im Fachjargon spricht man von „falschen Freunden“, wenn ein wörtlich übersetzter Begriff scheinbar passt (so wie silicon/Silikon), in Wahrheit aber etwas ganz anderes bedeutet und somit also das Ziel verfehlt. Eines der bekanntesten Beispiele hierfür ist die amerikanische „billion“, die von deutschen Journalisten regelmäßig mit „einer Billion“ wiedergegeben wird, wodurch der Haushalt der USA jedes Mal zu immenser Größe aufgebläht wird, neben der selbst Dagobert Duck arm aussieht. Die amerikanische „billion“ entspricht im Deutschen aber nicht mehr als einer Milliarde.
„Solana drückte seine tiefe Sympathie für diejenigen aus, die bereits Zielscheibe von Angriffen geworden waren“, war im Zusammenhang mit einer Serie von Briefbombenanschlägen zu lesen. Immerhin hatte der Übersetzer auf den Begriff „Briefbombenattacken“ verzichtet, wofür man heutzutage ja schon dankbar sein muss. Aber drückt man auf Deutsch den Opfern seine Sympathie aus? Ist es nicht eher Mitgefühl, Beileid oder Bedauern? Schlag nach bei Shakespeare, oder wenigstens im Lexikon, und siehe da: Das englische Wort „sympathy“ bedeutet neben Zuneigung und Wohlwollen auch Mitleid, Mitgefühl und Anteilnahme. Es kommt eben auf den Zusammenhang an, und über den sollte sich jeder im Klaren sein, ehe er sich ans Übersetzen macht.
Ein falscher Freund versteckt sich auch in diesem Beispiel: „Das schwerste Unglück in der Geschichte des New Yorker Fährbetriebs ereignete sich 1871, als auf einem Schiff ein Boiler explodierte. Damals wurden mehr als 125 Menschen getötet.“ Natürlich ist damals nicht ein Heißwasserspeicher explodiert, wie er üblicherweise in Badezimmern hängt, sondern ein Dampfkessel. Im Englischen heißt boiler nämlich auch das, im Deutschen nicht.
Etwas anderes muss dem Hollywood-Star Ben Affleck explodiert sein, denn laut eines Klatschspaltenberichts soll er das Scheitern seiner Beziehung zu Jennifer Lopez mit folgenden Worten erklärt haben: „Wir haben ein Monster kreiert!“ Haben die beiden also doch noch Nachwuchs bekommen? Oder sich erfolgreich als Nachfolger Dr. Frankensteins versucht? Im Originallaut hat Ben Affleck tatsächlich gesagt: „We created a monster“, aber das bedeutet im Deutschen nichts anderes als „Die Sache ist uns aus dem Ruder gelaufen“ oder „Wir haben die Kontrolle verloren“. Der Ausdruck „ein Monster kreieren“ ist im Deutschen keine Redewendung, die als Metapher funktioniert. Folglich muss man sich vom englischen Wortlaut lösen und abstrahieren, denn nicht die Wörter wollen übersetzt sein, sondern ihre Bedeutung.
Wie grandios man danebenliegen kann, wenn man es mit der wörtlichen Treue zu genau nimmt, zeigt das letzte Beispiel: Nach einer Begegnung mit Hillary Clinton soll Bernadette Chirac, die Frau des französischen Staatspräsidenten, anerkennend gesagt haben: „Sie ist eine Professionelle. Aber sie kann auch sehr charmant sein.“ Wir dürfen davon ausgehen, dass Bernadette Chirac ihre Worte in Wahrheit klüger gewählt hat und dass hier nichts anderes als ein weiterer Übersetzungsfehler vorliegt: „She’s a professional“, so stand es in der englischsprachigen Quelle – was auf Deutsch natürlich bedeutet: „Sie ist professionell“ oder auch „Sie ist ein Vollprofi“. Aber zu schreiben, sie sei eine Professionelle, machte aus der New Yorker Senatorin eine Dame des horizontalen Gewerbes, und bei aller Reserviertheit der Franzosen gegenüber den Amerikanern: So weit würde Madame Chirac denn doch nicht gehen.
In diesem Sinne: See you, take care! Sieh dich, nimm Sorge!
(c) Bastian Sick 2005
Mehr zum Thema: Wo beginnt der Mittlere Osten?
Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod, Folge 2“ erschienen.