In der Welt von morgen schläft man im Schlafbereich, wäscht sich im Nassbereich, isst im Essbereich und schickt den Hund nach draußen in den Gartenbereich. Man parkt das Auto im Fahrzeugbereich, geht durch den Eingangsbereich in den Bürobereich und verabredet sich für den Abendbereich. Eine schaurige Vorstellung? Größtenteils ist sie schon heute Wirklichkeit.
Der Vorhang fällt, Pause nach dem zweiten Akt, das Publikum strömt zu den Ausgängen. „Entschuldigen Sie, wo geht es zur Toilette?“, fragt jemand den Platzanweiser. „Den Toilettenbereich finden Sie links vom Foyerbereich“, lautet die Auskunft. Der Besucher bedankt sich und hakt nach: „Und zum Foyer geht’s da lang?“ – „Den Foyerbereich erreichen Sie über den zentralen Treppenaufgang gleich neben dem Garderobenbereich.“
Wer bislang glaubte, Deutschland sei in Bundesländer, Bezirke, Kreise und Gemeinden untergliedert, der durfte in den letzten Jahren eine neue Verwaltungseinheit kennen lernen: den Bereich. Denn vor allem und überhaupt ist Deutschland in Bereiche unterteilt.
Das fängt beim Arbeitsbereich an, geht über den Freizeitbereich bis in den privaten Bereich und macht selbst vor dem Intimbereich nicht Halt. Bereichseinheiten, wohin das Auge blickt. Es scheint, als habe der Drang der Ehrgeizigen nach einem Posten als Bereichsleiter seinen massiven Niederschlag in der Sprache gefunden.
Man hört es ständig und überall, das modische Anhängsel „-bereich“. Klagte man früher noch über Schmerzen in der Schulter, so jammern Patienten heute beim Arzt über Schmerzen im Schulterbereich. Masseure kneten im Nackenbereich, Männer verlieren Haare im Kopfbereich und Sportler haben keine Knieverletzungen mehr, sondern Verletzungen im Kniebereich. Deutschland ist in ständiger Bereichschaft.
Längst haben Hotels und Urlaubsresorts entdeckt, dass sie ihre Attraktivität um ein Vielfaches steigern können, wenn sie sich in Bereiche unterteilen. So wimmelt es in den einschlägigen Prospekten von Hinweisen wie: „In unserem Poolbereich haben Sie die Möglichkeit, sich mit Erfrischungsgetränken zu versorgen.“ Und: „Genießen Sie die umfangreiche Auswahl im Barbereich.“ Wer außerdem einen Hometrainer, ein paar Hanteln, eine beheizte Holzkabine und ein Sprudelbecken zu bieten hat, der bewirbt seinen „modernen Fitnessbereich“, den „großzügigen Saunabereich“ und den „exklusiven Wellnessbereich“. Mit seiner Bereichseinteilung kommt jeder Hotelier groß raus.
Da will natürlich niemand im bereichslosen Schatten bleiben. Wenn sich Hotels und Restaurants mit Foyerbereichen und Barbereichen brüsten, dann verweist das kleine Stehcafé am Eck nicht minder bedeutsam auf seinen „Verzehrbereich“.
Besonders reich an Bereichen ist der Sportbereich. Da wird zunächst einmal grundsätzlich zwischen Spielerbereich und Zuschauerbereich unterschieden. Fußballfelder, traditionell durch eine Mittellinie in zwei überschaubare Hälften geteilt, sind mittlerweile von Dutzenden variabler Bereichslinien durchzogen. Das geht vom Angriffsbereich über den Mittelfeldbereich und den Abwehrbereich bis hin zum Torwartbereich. Selbst der Schiedsrichter hat seinen Schiedsrichterbereich, und wer eine Mannschaft trainiert, der arbeitet selbstverständlich im Trainerbereich.
Und als wäre das alles noch nicht genug, breitet sich der Bereichswahn unaufhaltsam von der räumlichen in die zeitliche Dimension aus. Auch die Zeit ist inzwischen in Bereiche unterteilt:
Eine Computerschule bietet „Kurse für Frauen im Morgenbereich“ an, ein Gymnasium verspricht „eine Erweiterung des Freizeitangebots im Mittagsbereich“, und immer mehr Menschen verabreden sich zu gemeinsamen Unternehmungen „im Abendbereich“.
Wo unbedarfte Gemüter noch von „Tag“ und „Nacht“ sprechen, sind Hobby-Astronomen längst dazu übergegangen, zwischen Tag- und Nachtbereich zu unterscheiden. Der IT-Bereich und der Physik-Bereich kommen ohne die Einteilung in Stunden- und Minutenbereiche nicht mehr aus, und der Banken- und Wirtschaftsbereich beobachtet die Entwicklung von Kursen und Wertpapieren im Monats- und Jahresbereich.
Ein Kollege berichtete mir von einem Erlebnis in einem Sportfachgeschäft. Auf der Suche nach Treckingsandalen wandte er sich an eine Verkäuferin, die ihm höflich, aber bestimmt zu verstehen gab: „Diesen Artikel führen wir nur im Sommerbereich.“
Ob die explosionsartige Vermehrung der Bereiche tatsächlich eine Bereicherung der Sprache bedeutet, darf an dieser Stelle bezweifelt werden. Letztlich handelt es sich um nichts anderes als einen überflüssigen Appendix, der Eleganz oder Bedeutung vortäuschen soll, wo in Wirklichkeit die gewohnte Banalität herrscht. Das Harnlassen wird jedenfalls nicht zu einem höheren Erlebnis, wenn man statt einer Toilette den Toilettenbereich aufsucht.
(c) Bastian Sick 2004
Fotoalbum: Man trifft sich im Abendbereich
Lassen Sie sich diese Kolumne von Bastian Sick vorlesen: Live-Lesung auf Schloss Ippenburg
Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ erschienen.