Sonntag, 20. Oktober 2024

Wenn dasselbe und das Gleiche nicht dasselbe sind

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Kömödien-Klassiker »Und täglich grüßt das Murmeltier« (USA 1993) : Wieder und wieder der gleiche Tag, aber nie derselbe.

Viele Menschen gebrauchen dasselbe und das Gleiche als Synonyme, das heißt als Wörter mit gleicher Bedeutung. Einige andere Menschen aber sind sich sicher, dass dasselbe und das Gleiche nicht dasselbe sind. Doch worin besteht der Unterschied genau? Ein Kapitel zu einer ewig gleichen Frage, die doch nie dieselbe ist.

Meine Freundin Sibylle wollte von mir wissen, ob man eigentlich jedes Jahr am selben Tag Geburtstag habe – oder am gleichen Tag? Das Datum bleibe ja immer gleich, jedenfalls der Kalendertag; der Wochentag hingegen sei selten an zwei Jahren in Folge derselbe. Sei es falsch zu behaupten, man habe jedes Jahr am selben Tag Geburtstag? Oder sei das Jacke wie Hose?

Ich überlegte kurz und erwiderte: »Kennst du den Film ›Und täglich grüßt das Murmeltier‹? Darin durchlebt der in einer Zeitschleife gefangene Protagonist – dargestellt von Bill Murray – wieder und wieder den gleichen Tag. Es ist aber nie derselbe. Denn jedes Mal verläuft der Tag anders. Dein Geburtstag findet jedes Jahr am gleichen Tag statt, immer im gleichen Monat. Doch jeder Geburtstag ist anders, daher ist es nie derselbe Tag. Derselbe Tag kann sich nicht wiederholen.« Sibylle dachte nach. »Und wie ist das mit dir und der Kanzlerin?«, fragte sie dann. »Ihr habt doch am selben Tag Geburtstag, seid aber nicht gleich alt. Ist es dann falsch zu sagen, ihr wurdet am selben Tag geboren?« – »Streng genommen ja«, erwiderte ich. »Wir wurden zwar beide an einem 17. Juli geboren, feiern also jedes Jahr am selben Tag Geburtstag, wurden aber nicht am selben Tag geboren. Sonst wären wir gleich alt – oder genauso alt wie die italienische Sängerin Milva, die ebenfalls am 17.7. Geburtstag hat. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob man behaupten kann, wir seien am gleichen Tag geboren worden. Denn an meinem 17.7. war es sonnig und heiß, und an Angela Merkels 17.7. war es um einige Grade kühler, und es goss wie aus Kübeln.«

Niemand nimmt es mit der Unterscheidung zwischen »dasselbe« oder »das Gleiche« genauer als mein Freund Henry. Er pflegt es so zu erklären:

»Ob in einem bestimmten Zusammenhang ›dasselbe‹ oder ›das Gleiche‹ gefragt ist, kannst du dir am besten mit dem Zahnbürsten-Vergleich verdeutlichen: Du und ich benutzen seit Jahren die gleiche Zahnbürste. Aber selbstverständlich niemals dieselbe! Unsere Zahnbürsten gleichen sich, weil sie vom selben Hersteller stammen, es sind aber zwei unterschiedliche. Wenn von ›derselben‹ Zahnbürste die Rede ist, dann ist nur eine einzige Zahnbürste im Spiel. Bei ›der gleichen Zahnbürste‹ sind es zwei. Um es auf eine einfache Formel zu bringen: Zwei Dinge, die das Gleiche sind, sind einander zum Verwechseln ähnlich. Zwei Dinge, die dasselbe sind, sind identisch und somit in Wahrheit ein Ding. Daher heißt es auch oft: Das ist ein und dasselbe!«

»Das mit der Zahnbürste leuchtet mir ein«, sagte Sibylle. »Aber ist es auch falsch zu sagen, ihr benutzt dasselbe Modell?« Eine verzwickte Frage! Auf die Suche nach einer eindeutigen Definition des Unterschieds zwischen demselben und dem Gleichen – sofern es eine solche überhaupt gibt – zogen Henry und ich verschiedene Wörterbücher zu Rat. Im Wörterbuch von Lutz Mackensen (1991) stießen wir auf folgenden knappen Eintrag: »dasselbe: kein anderes«

Die Erklärung mithilfe des Gegenteils war sehr geschickt und erschien mir plausibel. Schwieriger wurde es mit dem daneben stehenden Beispielsatz: »Er hat dasselbe Einkommen wie du.« Henry war damit nicht einverstanden. »Ich hätte hier eher vom ›gleichen Einkommen‹ gesprochen«, sagte er, »weil es gleich groß ist. ›Dasselbe‹ Einkommen kann nicht zweimal ausgezahlt werden. Das wäre Betrug – oder Zauberei!«

Im Synonymwörterbuch aus dem Bertelsmann-Verlag von 1998 fand sich unter dem Stichwort »gleich«: »übereinstimmend, identisch, eins, einerlei, äquivalent«, was Henry erst recht missfiel. »Zwei gleiche Schuhe können niemals identisch sein«, widersprach er. »Identisch bezeichnet immer nur eine Sache oder ein Wesen, niemals zwei gleiche. Jede Identität gibt es nur einmal, selbst eineiige Zwillinge haben verschiedene Identitäten.«

Unter dem Stichwort »dasselbe« erklärte dasselbe Wörterbuch, dass dafür umgangssprachlich auch »das Gleiche« verwendet werden könne. Diese Feststellung empfand Henry freilich als ungenügend, denn »umgangssprachlich« könne man schließlich alles sagen. Das Prädikat »umgangssprachlich« sage noch lange nichts über den Standard aus.

Als Nächstes nahmen wir uns den »Wahrig« (8. Auflage, 2006) vor. Dort heißt es unter »der, die, das Gleiche«: »Gegenstand, der ebenso aussieht (wie ein anderer), aber nicht ein u. derselbe ist«. Und unter »dasselbe«: »1. genau das, eben das 2. <umg. oft fälschl. für> das Gleiche«.

»Umgangssprachlich oft fälschlich«, wiederholte Henry und folgerte: »Der Wahrig nimmt die Gleichsetzung von »dasselbe« und »das Gleiche« offenbar nicht so gelassen hin wie der Bertelsmann.« – »Dann lass uns schauen, was Herr Konrad dazu schreibt«, sagte ich und griff nach dem 10. Band aus der Duden-Reihe, dem »Bedeutungswörterbuch«. Dort erfuhren wir zunächst: »Das Demonstrativpronomen derselbe, dieselbe, dasselbe kennzeichnet ebenso wie der/die/das gleiche eine Übereinstimmung, eine Gleichheit, die Identität.« Henry kräuselte die Stirn: »Für den Duden ist natürlich mal wieder alles ein Quark.« – »Nicht so schnell, junger Mann«, unterbrach ich, »es geht noch weiter!« Und ich las: »Es gibt aber nicht nur eine Identität des Wesens oder Dings, sondern auch eine Identität der Art oder Gattung.« – »Aha«, machte Henry, »jetzt wird die Sache richtig spannend, um nicht zu sagen: kompliziert.« Es folgten drei Beispielsätze:

Ich möchte denselben/den gleichen Wein wie der Herr am Fenster.
Er hat denselben/den gleichen Vornamen wie sein Vater.
Sie trafen sich heute um dieselbe/die gleiche Uhrzeit wie gestern.

In diesen Fällen ist es nach Auskunft des Dudens offenbar ebenso richtig, »der-, die-, dasselbe« zu gebrauchen wie »der/die/das gleiche«. Ein  Bedeutungsunterschied scheint hier nicht zu bestehen.

»Die Beispiele mit dem Vornamen und der Uhrzeit sehe ich ja noch ein«, sagte Henry, »aber bei dem Wein dreht sich mir der Magen um. Denselben Wein kann man nur einmal trinken!« – »Das siehst du zu eng«, widersprach ich, »mit Wein ist hier die Sorte gemeint, nicht nur das bisschen, was der Herr am Fenster in seinem Glas hat. Das ist es, was der Duden mit ›Identität der Art‹ meint.« – » Und woher soll man wissen, welche jeweils gemeint ist – die Identität der Art oder die des Dings… bums?«, fragte Henry. »Der Duden schreibt, das ergebe sich im Allgemeinen aus dem Zusammenhang.« – »Womit wir so schlau wären als wie zuvor«, schloss Henry, »denn bekanntlich ergeben sich auch Missverständnisse immer aus irgendeinem Zusammenhang.«

Fazit: Es kommt nicht nur darauf an, was man unter „demselben“ und „dem Gleichen“ versteht, sondern auch, wie man die Sache, um die es dabei geht, definiert: als Einzelstück oder als Oberbegriff. Und da sind wir wieder bei den Zahnbürsten und Sibylles Frage, ob wir dasselbe Modell benutzen: Wenn man unter »Modell« ein Einzelstück versteht, dann benutzen wir lediglich das gleiche. Wenn mit »Modell« aber die Vorlage gemeint ist, nach der all die vielen gleichen Zahnbürsten angefertigt wurden – dann kann man sehr wohl vom »selben« Modell sprechen.

Während ich die Wörterbücher zurück ins Regal stellte, sagte Henry: »Dazu fällt mir gerade ein Witz ein! Sagt der Gast im Restaurant: Herr Ober, ich möchte bitte denselben Wein wie der Herr am Fenster.

Ober: Meinen Sie die Identität des Dings oder die Identität der Art?

Gast: Äh … wie bitte?

Ober: Wenn Sie die Identität der Art meinen, bringe ich Ihnen eine Flasche vom gleichen Wein. Von mir aus auch vom selben, das ist in diesem Falle egal. Wenn Sie allerdings die Identität des Dings meinen, muss ich den Herrn am Fenster fragen, ob er bereit ist, sich für Sie den Magen auspumpen zu lassen.

Gast: Ich glaube, ich hätte doch lieber nur einfach ein Wasser.«

 


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13 Kommentare

  1. Ich sage mir immer: „Zwei Eier können sich gleichen, aber nie selben“. Das hilft mir, zu merken, dass es bei „gleich“ um unterschiedliche Dinge geht, bei „selbe“ nur um eines.

  2. Ich bin, nach Lektüre dieses Artikels, ja sehr zufrieden, daß ich offenbar (von meinem Vater insbesondere) genau das Richtige hierzu gelernt habe!

    Selbst in einem Geburtstagsfest-Video ist diese Feinsinnigkeit festgehalten…
    Mein Vater sagte, als er den Sekt köpfte, zu unserer Bekannten dort: „Das ist doch derselbe Sekt, den du uns schon mal mitgebracht hattest, oder?“ Sie korrigierte grinsend: „Der gleiche, ja.“ Mein Vater: „Dieselbe SORTE meinte ich!“ Und schmunzelte zurück.

    Und somit hat dazu der „Wahrig“ von 2006 die klarste und schlüssigste Unterscheidung zwischen dasselbe und das Gleiche festgehalten!

    Es wäre schade, wenn diese wunderbare Differenzierung in der Sprache verwässert würde bzw. verloren ginge!

  3. Ich hatte schon geahnt, dass es mit dasselbe und das gleiche eine schwierige Sache ist. In Sachen Wein muss ich aber dem Ober recht geben, derselbe Wein ist richtig, denn, egal wo er sich befindet, im Glas, Flasche oder Fass, es ist derselbe Wein.

  4. Jürgen Hahnemann

    6. März 2015? Das hab ich doch schon vor zig Jahren gelesen – auf „Spiegel Online“ oder wo auch immer.

    • Brigitte Hahnel

      Sie meinten vermutlich den Abc-Eintrag. Der stammt aus dem Jahr 2004 und ist allen Lesern des ersten „Dativ“-Bandes natürlich bekannt. Diese Kolumne hier ist aber tatsächlich neu – sie ist ausführlicher als der Abc-Eintrag (https://bastiansick.de/abc/) und bringt weiterführende Aspekte zur Sprache. Das Ganze verpackt in eine amüsante Henry-Sibylle-Geschichte, wie „Zwiebelfisch“-Leserinnen wie ich sie so lieben!

    • Juergen Hahnemann

      Nein, ich meine den Artikel oben – und mich zu erinnern, dass ich das im Zusammenhang mit Murmeltier und Zahnbürste schon einmal gelesen habe. Auch Henry und Sibylle werden älter …

  5. Severin, Frank J.

    Sehr geehrter Herr Sick, bravo und danke zu diesem Beitrag. Wenn das Volk vielfach umgangssprachlich nur noch grunzt (Feststellung englischer Sprachforscher), sollten doch mindestens die Medien aus ihrer Vorbildfunktion heraus auf die korrekte Anwendung achten. Aber weit gefehlt, es vergeht kein Tag, an dem nicht im Verlauf irgendeines Beitrags die Regeln verletzt werden. Ich habe mir diesbezüglich schon fast die Finger wund geschrieben. Obwohl dort vom Autor/Texter über Regie, Ton- und Schnittleute viele Menschen mit einem Beitrag beschäftigt sind, bemerkt niemand die häufigen Fehler. Da das aber bei synchronisierten Spielfilmproduktionen relativ selten vorkommt, glaube ich, dass dort wohl die wahren Profis arbeiten. Dagegen glänzt das Fernsehen in dieser negativen „Disziplin“ ungeschlagen, und überwiegend hört man dann junge/jüngere Stimmen. Wohl ein Ergebnis der verkorksten Schulpolitik der letzten Jahrzehnte.
    Herr Sick, es ist schön, dass es Menschen wie Sie gibt, die mit einem Schmunzeln mahnend den Zeigefinger heben.

    • Frank Severin, das war supergut von Ihnen hier gesagt; kann ich nur so unterschreiben, vor allem auch Ihren letzten Satz! 🙂
      Auch im täglichen Online-Umgang (in Kommentaren, Foren und Chatrooms) „grunzen“ die Leute vielfach nur noch in Stümmelsprache vor sich hin; da rollen sich einem teilweise die Zehennägel zurück…!! :O
      Und wenn man DANN mal wagt, etwas zu korrigieren/richtigzustellen, dann geht der Shitstorm los gegen „diese Bevormundung“ und „Sprach-Nazi-tum“…
      Gut, wenn es dann Menschen gibt wie hier, Bastian Sick, die die deutsche Sprache mit Humor und Augenzwinkern ein wenig vor der Verstümmelung ihrerselbst bewahren können… 🙂

  6. Karin Wuertz-Schaefer

    Mein Vater meinte immer, wenn zwei das Gleiche tun, dann ist es immer noch nicht dasselbe. 🙂

  7. Anny- Christa Schilling

    Goethes Gedicht „Ein Gleiches“ 🙂

  8. Kommt etwas spät, aber bei einigen Dingen hab ich es noch nicht ganz verstanden …

    Habe ich denselben oder den gleichen Nachnamen wie meine Eltern?

    Habe ich denselben oder den gleichen Wunsch? (z.B.: Kinder zu bekommen, Auto kaufen …)

    Könnte mir jemand diese Fragen noch beantworten?
    Ich finde diesen Bericht so gut geschrieben und er hat mein Geburtstagsproblem gelöst! 😀 Danke dafür 😉

  9. „In deutschen Kliniken liegen derzeit doppelt so viele Coronapatienten wie zur selben Zeit im Vorjahr.“ (Zitat aus „spiegel.de-politik“, 24.7. 2022)
    Folge ich der Logik im obigen Artikel, könnte sie korrekt sein („Oberbegriff“). Meiner Meinung nach ist sie aber nicht korrekt, denn es handelt sich nicht um dieselbe Zeit, sondern die gleiche.

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