Samstag, 19. Oktober 2024

Rede für Joachim Gauck

Dass ich heute Abend hier stehen und zu Ihnen sprechen darf, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist eine große Ehre für mich. Denn es geht schließlich um nicht weniger als das höchste Amt im Staate. Und außerdem geht es dabei um einen Mann, der mir – wie Ihnen allen – am Herzen liegt. Und von dem ich überzeugt bin, dass er einen guten Hausherrn auf Schloss Bellevue abgeben wird. Auf Schloss Bellevue oder im Schloss Bellevue? Die Berliner nehmen es ja mit den Präpositionen sehr genau! Das glauben Sie mir nicht? Ich werden Ihnen ein Beispiel geben:

2008 gastierte ich mit meinem Bühnenprogramm über die Fallstricke der deutschen Sprache mehrmals in der Hauptstadt. An einem Abend war ich spät dran, und so sprang ich in ein Taxi und erklärte dem Fahrer, dass ich so schnell wie möglich ins Schiller-Theater müsse. „Wohin wollense?“, fragte er mich. „Bitte fahren Sie mich ins Schiller-Theater!“, wiederholte ich. Da wandte er sich zu mir um und sagte: „Det jeht nich, juter Mann. Ick kann Ihnen höchstens nachm Schiller-Theater fahren. Ins Theater müssen Se denn schon selba lof’n.“ Au weia, dachte ich, der Abend fängt ja gut an!

Dass man gerade mich als einen Fürsprecher für Joachim Gauck eingeladen hat (wo er wirklich jeden anderen hätte haben können, vom Hirschhausen bis zu Horst Schlämmer), das werte ich als ein Zeichen dafür, dass unser Kandidat der Sprache – und dem korrekten Umgang mit derselben – einen besonderen Stellenwert beimisst. Und das ist in der heutigen Zeit alles andere als selbstverständlich.

Doch im Falle von Joachim Gauck beruht die Wertschätzung auf Gegenseitigkeit, denn unsere Sprache misst ihm genauso einen besonderen Stellenwert bei wie er ihr; das können Sie nachschlagen, denn sein Name steht – als Teil einer Zusammensetzung mit dem Wort „Behörde“ – im Duden. Allein dafür gebührt ihm mein tief empfundener Respekt.

Sprache und Politik gehören untrennbar zusammen, das war schon in der Antike so, als die Rhetorik zur Kunstform entwickelt wurde. Und das ist auch heute noch so, zum Wohle für die einen, denen das Reden und Formulieren liegt, zum Leidwesen für die anderen, denen das Reden schwerfällt, die erst einmal etwas tun, dann darüber reden und zuletzt gezwungen sind, darüber nachzudenken.

Politik und Sprache haben vieles gemeinsam: Sie stecken voller Tücken. Schon das kleinste Komma kann zum Fallstrick werden. Davon weiß ich ein Lied zu singen. Als Junge schrieb ich einer Tante eine Karte, mit der ich sie für ihre Selbstlosigkeit loben wollte:

„Du denkst immer an dich selbst zuletzt.“ Durch einen harmlosen Tintenklecks hatte sich dann aber ein unbeabsichtigtes Komma auf die Karte gemogelt. Meine Tante las: „Du denkst immer an dich, selbst zuletzt.“ Sie hat mir das jahrelang nachgetragen.

Politik und Sprache haben vieles gemeinsam: Sie brauchen Regeln. Ohne Regeln funktioniert kein System. Eine dieser Regeln lautet: Auch die Kleinen müssen zu ihrem Recht kommen! Das gilt für unsere Gesellschaft genauso wie für unsere Grammatik, zum Beispiel für kleine Wörter wie „für“, „zu“ und „als“. Sie mögen unscheinbar sein, können aber zu Problemen werden, wenn sie falsch behandelt werden – was häufig in Zusammenhang mit einer Kandidatur geschieht. So war vor einigen Jahren, als zuletzt nach Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten gesucht wurde, in den Zeitungen zu lesen: „Soll Joschka Fischer sich als Bundespräsident bewerben?“ Darauf konnte es freilich nur eine korrekte Antwort geben: Erst mal soll er Präsident werden, dann sieht man weiter, wofür er sonst noch so alles taugt.

Viele Journalisten bekommen das kleine Wörtchen „als“ immer wieder in den falschen Hals. Wer „als“ irgendjemand etwas tut, der ist dieser jemand bereits. Wer als Pirat zum Karneval geht, der ist bereits verkleidet. Wer „als Verlobte grüßen“ lässt, der ist bereits verlobt. Wer als Präsident für ein (weiteres) Amt kandidiert, der ist offenbar nicht ausgelastet.

Diese Erkenntnis will sich aber nicht durchsetzen. So war am 15. Juni dieses Jahres auf SPIEGEL ONLINE prompt zu lesen: „Joachim Gaucks Kandidatur als Bundespräsident hat so viel Begeisterung entfacht, dass er selbst erschrickt.“ Ich erschrak indessen darüber, dass meine Kollegen offenbar an der „Als“-heimer-Krankheit leiden. Die Presse darf über mich schreiben, ich hätte mich als Unterstützer des Präsidentschaftskandidaten um Kopf und Kragen geredet. Sie darf aber nicht schreiben, dass ich Joachim Gaucks Kandidatur alsBundespräsident unterstütze. Damit würde sie nämlich plötzlich mich zum Präsidenten machen! Joachim Gaucks Kandidatur zumBundespräsidenten oder für das Amt des Präsidenten kann ich indessen nur begrüßen.

Der Teufel steckt im Detail. Bisweilen kann schon ein kleines Reflexivpronomen zu schwerwiegenden Missverständnissen führen, so wie im Bundestagswahlkampf des Jahres 2002. Nach dem Fernsehduell zwischen dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder und seinem Herausforderer Edmund Stoiber wurde im Radio berichtet: „Beide Kandidaten halten sich für unfähig, Deutschland zu regieren.“ Da fragte man sich natürlich, wen man denn überhaupt noch wählen soll, wenn selbst die beiden Spitzenkandidaten zugeben, dass sie unfähig sind. Das war freilich nicht gemeint, und die Verwirrung hätte vermieden werden können, wenn der Radiosprecher gesagt hätte: „Beide Kandidaten halteneinander für unfähig.“ Ein wenig mehr an „einander“ denken statt an „sich“, das täte der Sprache ebensogut wie der Gesellschaft.

Wie schnell man sich sprachlich in die Nessel setzen kann, mussten auch gutgläubige Angestellte des Landes Baden-Württemberg erfahren, die in Zusammenarbeit mit der Organisation „Brot für die Welt“ ein Plakat drucken ließen, auf dem eine Afrikanerin zu sehen ist, die ein riesiges Bündel Mais auf dem Rücken trägt. Oben auf dem Plakat steht: „Es ist genug für alle da“. Und unter dem Bild der Frau steht der irritierende Hinweis: „Baden hilft“. Nicht jedem ist sofort klar, dass das Land Baden gemeint ist.

Und das ausgerechnet in Zeiten, wo doch jedermann peinlichst darauf bedacht ist, nicht gegen die „Political Correctness“, kurz PC, zu verstoßen. Und wenn ich sage, „jedermann“, dann habe ich bereits gegen die PC verstoßen, denn „jede Frau“ ist natürlich ebenso gemeint. Ständig läuft man Gefahr, etwas Falsches zu sagen, zumal vieles, was noch vor wenigen Jahrzehnten gang und gäbe war, heutzutage als unangemessen gilt: Einst selbstverständliche Wörter wie Putzfrau, Altersheim, Gastarbeiter, Zigeuner und Zwerg sind inzwischen von der „political correctness“ kassiert worden. Anstelle von „Zwerg“ benutzt man heute besser den Ausdruck „kleinwüchsiger Mensch“. (So lautet die politisch korrekte Adaption des Grimmschen Märchens „Schneewittchen und die sieben kleinwüchsigen Männer“.) Der Gastarbeiter ist heute ein Arbeitnehmer mit Migrationshintergrund, das Altersheim eine Seniorenresidenz und die Putzfrau ist eine Raumpflegerin – wenn nicht gar eine Reinigungsfachkraft.

Das ist der Sprachwandel. Auch der Negerkuss ist heute kein solcher  mehr, sondern ein Schokokuss oder – Sie werden’s kaum glauben, aber ich hab’s recherchiert – ein Schaumzapfen! Im Bayerischen Wald pflegt man noch „Bumskopf“ dazu zu sagen, was ich persönlich für sehr anschaulich halte, und die Österreicher nennen es „Schwedenbombe“. Dagegen hat seltsamerweise noch niemand protestiert, nicht einmal der österreichische Betriebsrat von Ikea.

In der Schweiz sagt man nach wie vor „Mohrenkopf“ und denkt sich nichts dabei, denn man braucht schließlich nicht auch noch politisch korrekt zu sein, wenn man schon neutral ist. In der Mensa der Uni Hamburg wird die besagte Leckerei als „Afroeuropäisches Schaumtörtchen“ feilgeboten.

Wie erfrischend unverkrampft ging es da vorgestern zu, als ich bei einer zünftigen Geburtstagsfeier in ländlicher Umgebung Zeuge einer Unterhaltung zwischen Fußballlaien wurde. Während des Essens lief der Fernseher, denn einige der Gäste wollten das Spiel Deutschland-Ghana nicht verpassen. „Das verstehe ich nicht“, rief der 70-jährige Jubilar, der Mühe hatte, die Mannschaften auseinanderzuhalten, „wer sind denn nun wir?“ – „Wir sind die mit den schwarzen Trikots, und die mit den weißen sind die Ghanesen“, erklärte ein Gast. – „Was denn“, staunte der Jubilar, „die Schwatten sind die Weißen und die Weißen sind schwatt?“ – „Genau“, erwiderte der andere und fügte hinzu: „Bis auf Cacau, der ist ganz und gar schwarz, außen wie innen!“

Als Junge war ich ein Befürworter der Monarchie. In meinem Jugendzimmer hing sogar mal ein Bild von Kaiser Wilhelm, das ich auf einem Flohmarkt gekauft hatte. Bis meine Schwester mir irgendwann das Buch „Der Untertan“ von Heinrich Mann zu lesen gab. Danach habe ich das Bild abgehängt und trat den Jungsozialisten bei.

Aller Läuterung zum Trotz schaue ich noch heute bisweilen neidvoll zu unseren Nachbarn in den Niederlanden oder Schweden. Den Glamour-Faktor, den die uns in Sachen Staatsspitze voraushaben, kann kein Bundespräsident wettmachen. Gegen Königin Beatrixens Hüte und Kleider ist jeder Mann chancenlos, von der atombombensicheren Frisur ganz zu schweigen.

Joachim Gauck kann diesem Amt dafür etwas anderes geben, denn er hat etwas mitzubringen, das mindestens ebenso viel wert ist wie königlicher Glamour, und das sind: Integrität und Würde.

Würde ist für unser höchstes Staatsamt vielleicht die bedeutendste Referenz und die schönste Zier. Und zur Integrität kommt auch noch die Integration, denn sein jahrelanger Beitrag zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte schuf eine wesentliche Voraussetzung für die Integration der ostdeutschen Bundesländer.

Während Menschen wie Joachim Gauck integrieren, gibt es andere, die lieber intrigieren. Dass dazwischen ein feiner Unterschied besteht, weiß inzwischen auch Lothar Matthäus, der mal über seinen Verein gesagt hat: „Wir sind eine gut intregierte Truppe“. Richtig musste es natürlich heißen: eine intrigante Truppe.

Sollten die Wahlmänner und -frauen in der anstehenden Wahl tatsächlich ihrem Gewissen, ihrem Herzen, ihrem Verstand folgen und sich nicht von Fraktionszwängen und politisch-taktischem Kalkül fernsteuern lassen, dann wird Joachim Gauck der nächste Bundespräsident Deutschlands.

Wenn der andere das Rennen macht, dann kann ich mir für die nächsten fünf, schlimmstenfalls sogar zehn Jahre eine Einladung insSchloss Bellevue genauso abschminken wie eine Einladung aufsSchloss Bellevue.

Aber irgendetwas sagt mir, dass es dazu nicht kommen wird. In mir schlägt nämlich nicht nur ein Herz für die deutsche Sprache, in mir lebt auch ein unerschütterlicher Glaube an das Gute. Und das Gute – oder der Gute, der sind in diesem Film zweifellos Sie, verehrter Joachim Gauck, und ich bin sicher, dass man von Ihnen dereinst ohne Punkt und vor allem ohne Komma behaupten wird: Er dachte immer an sich selbst zuletzt.

Lieber Joachim Gauck, ich wünsche Ihnen die Anerkennung, die Sie verdient haben, und ich wünsche mir für unser höchstes Staatsamt den Mann, den es verdient hat. Möge Ihr Name künftig nicht allein im Duden zu finden sein, sondern auch auf dem Klingelschild der Adresse Spreeweg Nr. 1.

Sehen Sie hier einen Ausschnitt der Rede auf YouTube

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