Mittwoch, 27. März 2024

Das Elend mit dem Binde-Strich

„Herr Doktor, mir geht es gar nicht gut“, jammerte das Strich-Männchen. „Ich habe Verdauungs-Probleme, Magen-Schmerzen und Kopf-Weh. Hinzu kommen Vitamin-Mangel, Schlaf-Defizit und Arbeits-Stress.“ Der Arzt nickte mitleidig und notierte dann: „Schwerer Fall von Koppelitis!“

Eines der besonderen Merkmale der deutschen Sprache ist die Befähigung, durch Zusammensetzung von Wörtern neue Begriffe entstehen zu lassen. Aus Sport und Platz wird Sportplatz, aus Dampf und Schiff wird Dampfschiff, aus Auto und Bahn wird Autobahn. Dies gilt nicht nur für zwei Wortteile, sondern für beliebig viele: Sportplatztribüne, Dampfschifffahrtsgesellschaft, Autobahnraststättenbetreiber. Irgendwann droht so ein Wort allerdings unleserlich zu werden, und für diesen Fall empfiehlt sich dann die Verwendung eines Bindestrichs: Sportplatztribünen-Hinterausgang, Dampfschifffahrtsgesellschafts-Vizechef, Autobahnraststättenbetreiber-Ehepaar.

Die Lesbarkeit sollte neben der Verständlichkeit stets oberste Maxime beim Schreiben sein. Eine Wortkette aus mehr als 30 Buchstaben erweist sich für das lesende Auge bisweilen als Stolperstein und führt zu Irritationen. Ein sinnvoll gesetzter Bindestrich kann Abhilfe schaffen und den Lesefluss glätten. So weit – so gut.

Manche Menschen halten den Bindestrich allerdings für die coolste Sache seit Seligsprechung des Apostrophs in „Hertha’s Bierstübchen“. Sie setzen ihn geradezu verschwenderisch, bei jeder sich bietenden Gelegenheit. „Sieht irgendwie besser aus“, lautet eine der häufigsten Begründungen. So entstehen zerrupfte Gebilde wie Atom-Krieg, Jahrhundert-Flut, Gedenk-Veranstaltung und Ausnahme-Zustand: Wortzusammensetzungen, die nur noch Wort-Zusammensetzungen sind. Selbst Miniwörter werden noch zu Mini-Wörtern zerbindestricht: Partei-Tag, Spar-Plan, Golf-Platz, Seh-Test. Der Bindestrich wird dabei seinem Namen immer weniger gerecht; denn er trennt mehr, als dass er bindet. Deshalb heißt er in der Druckersprache wohl auch Divis.

Wie in vielen anderen Bereichen hat die Rechtschreibreform auch in puncto Bindestrich die Regeln gelockert. Durften ehedem nur Zusammensetzungen aus mindestens vier Wortgliedern gekoppelt werden, so kann inzwischen auch bei drei oder nur zwei Wortgliedern ein Divis eingefräst werden, sofern dies der Lesbarkeit dient. Koppelungen in Wörtern wie Umsatzsteuer-Tabelle und Lotto-Annahmestelle sind erlaubt. Dennoch ist die Rechtschreibreform keine Rechtschreib-Reform.

Wer darin ein Signal zum vollständigen Verzicht auf Zusammenschreibung zu erkennen glaubte, hat das Regelwerk gründlich missverstanden. Was wiederum nichts Außergewöhnliches ist, denn wer könnte schon von sich behaupten, die Rechtschreibreform verstanden zu haben?

Natürlich gibt es nach wie vor bestimmte Fälle, in denen der Bindestrich angebracht ist. Die berühmte Tee-Ernte, die als Teeernte aussieht, als wäre die „e“-Taste verklemmt, ist so einer; die Schwimm-Meisterschaft ein weiterer. Grundsätzlich gilt: Ein Bindestrich ist immer dort willkommen, wo es gilt, ein Missverständnis zu vermeiden oder einen Bestandteil hervorzuheben; er dient also dem Ziel, Klarheit zu schaffen.

Allein: Wie Sätze im Sinne des Klaren schaffen, wo Bindestrichlücken in Scharen klaffen?

Sind Wörter wie „Atomwaffenarsenal“, „Uranmunition“ und „Verkehrschaos“ zu komplex, um zusammengeschrieben zu werden? Ist der durchschnittlich geübte Leser mit dem Wort „Antiterrorkomitee“ bereits überfordert? Kann unser Gehirn nur ein „Anti-Terror-Komitee“ erfassen und verstehen? Manche Textschreiber muten ihren Lesern statt Kraftnahrung nur Bröckchen-Kost zu. Doch vielleicht unterschätzen sie sie. Zu welch erstaunlichen Leistungen unser Hirn imstande ist, beweist jener Text, der unlängst in mehreren Varianten im Internet kursierte:

Gmäeß eneir Sutide eneir elgnihcesn Uvinisterät ist es nchit witihcg, in wlecehr Rneflogheie die Bstachuebn in eneim Wrot snid, das ezniige, was wcthiig ist, ist dsas der estre und der leztte Bstabchue an der ritihcegn Pstoiion sehten. Der Rset knan ttoaelr Bsinöldn sien, todzterm knan man ihn onhe Pemoblre lseen. Das legit daarn, dsas wir nihct jeedn Bstachuebn enzelin leesn, snderon das Wrot als Gnaezs.

Wenn Sie den Text trotz aller orthografischen Capriolen lesen konnten, dann ist Ihr Hirn auch in der Lage, mit einem Antiterrorkomitee fertig zu werden. Buchstäblich, nicht wörtlich.

Um es bildhaft auszudrücken: Wo ein Bindestrich steht, da holt das Auge gewissermaßen Luft. Um bei längeren Wortketten nicht aus der Puste zu kommen oder um ein Element besonders zu betonen, ist das Luftholen eine sinnvolle Sache. Doch in einem Text, in dem Auto-Bombe, Polizei-Einsatz, Verkehrs-Chaos und Rettungs-Maßnahmen gekoppelt stehen, fängt das Auge vom vielen Luftholen förmlich zu japsen an.

Besonders hässlich ist es, Wörter auseinanderzureißen, die über ein so genanntes Fugen-s verfügen. Denn dieses „s“ erfüllt ja bereits die Funktion eines Bindezeichens: Botschaftsgebäude, Regierungskurs, Entwicklungshilfe, Kriegsmaschinerie und Zeitungsente sind Zusammensetzungen, mit denen das Auge spielend fertig wird. Botschafts-Gebäude, Regierungs-Kurs, Entwicklungs-Hilfe, Kriegs-Maschinerie und Zeitungs-Ente erwecken den Eindruck, die deutsche Sprache gehe am Stock. Texte werden nicht lesbarer, sondern verkommen grafisch zu einer trostlosen Strich-Landschaft.

Manch einer meint vielleicht, dass Zusammensetzungen mit Namen grundsätzlich auseinander geschrieben werden. Doch das kann nur behaupten, wer beim Monopoly noch nie an der Goethestraße oder der Lessingstraße ein Hotel gebaut hat. Die fürs Deutsche so charakteristische Tendenz zur Zusammenschreibung nimmt auch Namen nicht aus. Verbindungen mit einem Personennamen oder einem geografischen Namen, die ihren Platz in der Geschichte gefunden haben, werden zusammengeschrieben: Bachkantate, Marshallplan, Adenauerzeit, Vietnamkrieg. Was jünger oder weniger bekannt ist, darf getrost noch gekoppelt werden: Webber-Musical, Hartz-Pläne, Kohl-Ära, Irak-Krieg. Die Zeit wird zeigen, ob diese Begriffe dauerhaft zusammenwachsen oder wieder in ihre Einzelteile zerfallen. Beim Irak-Krieg lässt sich schon heute eine starke Neigung zur Zusammenschreibung feststellen. In die Geschichtsbücher wird er wohl als Irakkrieg eingehen.

Wenn Vereine, Organisationen, Firmen und Marken im Spiel sind, dann ist zur Hervorhebung des Namens die Schreibung mit Bindestrich angebracht: Tempo-Taschentuch, Golf-Händler. Wenn aber kein Teil des Wortes hervorgehoben werden soll, besteht auch kein Grund, einen Bindestrich zu setzen. Bei Tempolimit oder Golfschläger ist das Divis schlichtweg überflüssig. Immer wieder appelliert irgendjemand an die Volksgesundheit, die Moral oder die Vernunft mit Aufrufen wie „Deutsche, treibt mehr Sport!“ oder „Deutsche, esst mehr Schweinefleisch!“ Der Bundesverband der Fachärzte gegen Bindestrichmissbrauch empfiehlt: „Deutsche, schreibt mehr zusammen!“

Bindestrich
Der Bindestrich (Divis), nicht zu verwechseln mit dem (längeren) Gedankenstrich, erfüllt die Funktion einer Lesehilfe. Bei Zusammensetzungen mit Fremdwörtern gilt: Der Bindestrich dient zur Hervorhebung des Unbekannten, Unerwarteten, Ungewöhnlichen. Für viele deutschsprachige Menschen sind Wörter wie Computer, Internet und online heute nichts Ungewöhnliches mehr, sodass sie in Zusammensetzungen wie Computerbranche, Internetfirma und Onlinedienste auf den Bindestrich verzichten. Dies entspricht durchaus dem Prinzip der deutschen Sprache: Wortzusammensetzungen, die sich bewährt haben, werden als ein Wort geschrieben. Zusammensetzungen mit Fachfremdwörtern, die noch keinen festen Platz im deutschen Wortschatz haben, dürfen/sollten gekoppelt werden: Remote-Rechner, Viren-Patch, Consulting-Unternehmen.

 

(c) Bastian Sick 2003

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Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ erschienen.

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2 Kommentare

  1. Hans-Jürgen Suß

    Zu der Problematik Bindestrich erinnere ich mich daran, dass wir im Osten Deutschlands nach der Wiedervereinigung mit vielen Bindestrich-Begriffen konfrontiert wurden. Ich will damit auf einen Unterschied hinweisen, den es damals gab. Auch kannten wir nicht, dass hinter nur einem Wort ein Punkt gesetzt werden kann bzw. wird. So etwas kannten wir nur aus der Literatur über unsere Vergangenheit oder von alten Beschriftungen. Werden solche ehemaligen Unterschiede auch vom Zwiebelfisch erfasst? Darüber gäbe es noch mehr zu berichten.

    Mit freundlichen Grüßen
    H.-J. Suß

  2. Ich hoffe, dass es in allem Schriftlichen bei der Kohl-Ära bleibt… Nicht, dass sonst noch Verwechslungen mit der Cholera auftreten!

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