Sonntag, 20. Oktober 2024

Das Wörtchen „als“ im falschen Hals

Es ist klein und unscheinbar – und dabei doch so ungemein praktisch und wichtig. Das kleine Wörtchen „als“ erfüllt in unserer Sprache viele wichtige Funktionen. Leider wird es im Sprachalltag nicht besonders gut behandelt. Entweder fehlt es, wo es vonnöten wäre, oder es steht dort, wo es gar nicht hingehört.

„Als dein Freund kann ich’s dir ja sagen“, sagt Henry zu mir, „deine Kochkenntnisse verdienten mal eine kleine Auffrischung.“ Den zweiten Teil des Satzes habe ich gar nicht mehr wahrgenommen, weil schon der erste Teil meine gesamte Aufmerksamkeit absorbierte. „Als dein Freund“, hat Henry gesagt. Völlig zu Recht, und grammatisch tadellos. Das Wörtchen „als“ steht hier nämlich für die (sehr viel umständlichere und daher nicht unbedingt zu empfehlende) Formulierung „…in meiner Eigenschaft als“.

Wenn ich mich „als Freund“ um jemanden bemühe, dann heißt das nicht, dass ich sein Freund werden will, sondern dass ich bereits sein Freund bin. Diese Feinheit scheint aber nicht jedem bewusst zu sein. Erst kürzlich las ich wieder eine Meldung, in der es um die Neubesetzung des Postens des Weltbankpräsidenten ging. „Die Kandidatur von US-Vizeverteidigungsminister Paul Wolfowitz als Präsident der Weltbank hat in Europa heftige Kritik ausgelöst“, hieß es da. Wer aber „als Präsident“ kandidiert, der ist bereits Präsident.

In den USA kann sich derzeit nur George W. Bush als Präsident für den Chefposten der Weltbank bewerben. Ob das Protokoll das zulässt, weiß ich nicht, aber wenigstens lässt es die Grammatik zu. Im Falle Paul Wolfowitz’ lässt sie es nicht zu. Der kann bestenfalls (in seiner bisherigen Funktion) als stellvertretender Verteidigungsminister der USA für einen möglicherweise einträglicheren Posten kandidieren. „Als“ bezieht sich auf das, was er ist, und nicht auf das, was er werden will. So wie sich Henry als mein Freund offenbar um den Abwasch bewirbt, wenn er glaubt, ungestraft an meinen Kochkünste herumnörgeln zu können.

Man bewirbt sich für ein Amt oder um eine Stelle, aber wer sich als jemand bewirbt, der ist dieser jemand bereits. Wer „als Pirat“ oder „als Prinzessin“ zum Karneval geht, der hat die Kostümierung schon vorher angelegt. Und wer seine Freunde und Bekannte per Anzeige „als Verlobte grüßen“ lässt, der ist bereits verlobt und gibt nicht erst mittels dieser Anzeige seine Verlobungsabsicht bekannt.

Die Frage „Soll Joschka Fischer sich als Bundespräsident bewerben?“ muss folglich so beantwortet werden: Erst mal soll er Präsident werden, dann sieht man weiter, wofür er noch so alles taugt. Viele Journalisten bekommen das kleine Wörtchen „als“ immer wieder in den falschen Hals. Zwar kann man als Sieger aus einem Wettkampf hervorgehen, doch wird man nicht als Sieger gekürt, sondern zum Sieger.

Andererseits ist es falsch, wenn man sagt: „Dich hätte gern zum Vorgesetzten!“ Hier muss es richtig heißen: „Dich hätte ich gern als Vorgesetzten!“. Zwischen „als“ und „zum“ besteht ständige Verwechslungsgefahr. Dabei bedeuten sie keinesfalls dasselbe. „Als“ steht vor dem, was ist, „zum“ (oder „zur“) steht vor dem, was sein wird. Am deutlichsten offenbart sich der Unterschied anhand des folgenden Beispiels:

Als Minister taugte er nicht = Er war Minister und versagte kläglich im Amt.

Zum Minister taugte er nicht = Er sollte besser nicht Minister werden.

Die Konjunktion „als“ ist noch in anderer Hinsicht phänomenal. Hinter bestimmten Verben (als da zum Beispiel wären „erklären“, „ansehen“, „betrachten“ und „erachten“) steht sie in einer interessanten Konkurrenz zum Wörtchen „für“, die eine etwas genauere Betrachtung verdient.

Warum heißt es „jemanden als vermisst“ melden, aber „jemanden für tot erklären“? Warum nicht „für vermisst“ oder „als tot“? In der Wahl des jeweiligen Bindewörtchens offenbart sich ein Bedeutungsunterschied. Wenn ich Henry „für“ verrückt erkläre, so spiegelt das meine Meinung wider und beruht nicht unbedingt auf Tatsachen. Wenn er hingegen meine Kochkünste „als“ unzureichend erklärt, so hört sich das wie das unumstößliche Ergebnis einer Prüfungskommission an. Im Wörtchen „für“ schwingt also eine gewisse Subjektivität mit, während „als“ den Anschein von Objektivität hat. Wer „für tot erklärt“ wird, der gilt als tot, ohne dass man es beweisen kann. Wer „als vermisst gemeldet“ wird, der wird tatsächlich vermisst. Wenn eine Unterschrift „als echt anzusehen“ ist, dann gibt es keine Zweifel an ihrer Authentizität. Wird sie hingegen „für echt angesehen“, dann wird sie nur für echt gehalten, kann aber dennoch gefälscht sein.

Als Adolf Hitler 1936 die Olympischen Spiele in Berlin eröffnete, erklärte er sie nicht „für eröffnet“, sondern „als eröffnet“. Hitler hat es bekanntermaßen mit Gesetzen und Regeln nicht sehr genau genommen, auf seinem Weg an die Macht und in den Untergang hat er sich über die meisten Gebote (zum Beispiel die der Vernunft und der Menschlichkeit) auf grausige Weise hinweggesetzt. In diesem Fall aber nahm er es zumindest mit der Grammatik sehr genau. Denn die Erklärung gab keine subjektive Einschätzung wieder, sondern schuf eine für alle Beteiligten verbindliche Tatsache. Man kann nun darüber streiten, ob die Formulierung „Hiermit erkläre ich das Büffet für eröffnet“ nicht korrekterweise heißen müsse „Hiermit erkläre ich das Büffet als eröffnet“. Ich rate dringend davon, deswegen einen Streit vom Zaun zu brechen. Das könnte die Partystimmung vermiesen. Vor allem rate ich davon ab, sich in dieser Frage auf Adolf Hitler zu berufen. Das könnte noch viel mehr vermiesen als nur eine Party.

Geduldig hat sich Henry während des Geschirrspülens meine Ausführungen über „als“ und „für“ angehört. Schließlich legt er den Putzschwamm zur Seite und sagt: „Hiermit erkläre ich dich für unverbesserlich und den Abwasch als beendet!“

(c) Bastian Sick 2005


Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod, Folge 2“ erschienen.

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