Eine Lehrerin für Deutsch als Fremdsprache schrieb mir, es treibe sie jedes Mal „in den Wahnsinn“, wenn sie ihren ausländischen Schülern die Deklination von Adjektiven erklären solle. Schlimm genug, dass es im Deutschen drei grammatische Geschlechter gebe. Darüber hinaus hätte man es noch mit drei Formen der Beugung zu tun: einer starken, einer schwachen und einer gemischten. Als Muttersprachlerin wisse sie natürlich intuitiv, wann welche Form verlangt sei. Doch damit es auch ihre Schüler verstehen können, würde sie ihnen gern erklären können, warum es diese unterschiedlichen Formen der Beugung gibt und nach welchem Prinzip sie gebraucht werden. Wie solle man Deutschlernenden verständlich machen, dass es zwar „ein schwieriger deutscher Satz“ heißt, aber nicht „der schwieriger deutscher Satz“?
Ich antwortete ihr, es gebe eine gute Nachricht und eine schlechte. Die gute: Adjektive an sich werden im Deutschen gar nicht gebeugt, solange sie als Adjektive gebraucht werden:
Der Mantel ist alt. Die Jacke ist alt. Das Haus ist alt.
Drei verschiedene Geschlechter, und doch heißt das Adjektiv jedes Mal unverändert „alt“. In den romanischen Sprachen sieht die Sache ganz anders aus, da wird bei allen Adjektiven ausnahmslos zwischen männlicher und weiblicher Form unterschieden. Auf Französisch lauteten die Beispiele:
Le manteau est vieux. La veste est vieille. La maison est vieille.
In dieser Hinsicht ist das Deutsche tatsächlich einfacher. Das war die gute Nachricht. Und damit zur schlechten. Denn das war es mit „einfach“. Wenn das Adjektiv nämlich vor das Hauptwort wandert und damit zum Adjektivattribut wird, wird es auch im Deutschen gebeugt, und zwar nach allen Regeln der Kunst:
ein alter Mantel, eine alte Jacke, ein altes Haus
Es geht also um Adjektivattribute. Und um die Frage, wann sie hinten auf „er“, „e“, „es“ oder „en“ enden.
Das hängt davon ab, was ihnen vorausgeht. Ist es ein bestimmter Artikel (der, die, das), dann werden die Adjektivattribute schwach gebeugt, und schwach heißt: man sieht ihnen das Geschlecht nicht an. Im Nominativ enden daher alle „geschlechtsneutral“ auf „-e“, in Genitiv und Dativ auf „-en“. Im Akkusativ enden männliche Adjektivattribute auf „-en“ und weibliche und sächliche auf „-e“.
Tabelle 1: schwache Beugung
Numerus/
Genus |
Nominativ
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Genitiv (hinter „trotz“, „wegen“)
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Dativ (hinter „mit“, „bei“)
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Akkusativ (hinter „für“, „über“)
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Singular männlich
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der alte Mantel
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des alten Mantels
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dem alten Mantel
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den alten Mantel
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Singular weiblich
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die alte Jacke
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der alten Jacke
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der alten Jacke
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die alte Jacke
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Singular sächlich
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das alte Haus
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des alten Hauses
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dem alten Haus
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das alte Haus
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Plural
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die alten Mäntel, Jacken, Häuser
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der alten Mäntel, Jacken, Häuser
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den alten Mänteln, Jacken, Häusern
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die alten Mäntel, Jacken, Häuser
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Geht den Adjektivattributen kein Artikel voraus, sondern ein Name oder ein Hauptwort, dann werden sie stark gebeugt. Denn ohne einen Artikel, der das Geschlecht angibt, müssen die Adjektivattribute die Aufgabe der Geschlechtsmarkierung übernehmen. Irgendwer muss es schließlich tun. Also werden sie nun so gebeugt, dass man ihnen das Geschlecht an der Endung ansehen kann: männlich erkennt man am „er“, weiblich am „e“ und sächlich am „es“. So wird „alt“ je nach grammatischem Geschlecht zu „alter“, „alte“ oder „altes“:
Tabelle 2: starke Beugung
Numerus/
Genus |
Nominativ
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Genitiv (hinter „trotz“, „wegen“)
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Dativ (hinter „mit“, „bei“)
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Akkusativ (hinter „für“, „über“)
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Singular männlich
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Opas alter Mantel
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Opas alten Mantels
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Opas altem Mantel
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Opas alten Mantel
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Singular weiblich
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Opas alte Jacke
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Opas alter Jacke
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Opas alter Jacke
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Opas alte Jacke
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Singular sächlich
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Opas altes Haus
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Opas alten Hauses
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Opas altem Haus
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Opas altes Haus
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Plural
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Opas alte Mäntel, Jacken, Häuser
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Opas alter Mäntel, Jacken, Häuser
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Opas alten Mänteln, Jacken, Häusern
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Opas alte Mäntel, Jacken, Häuser
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Geht den Adjektivattributen ein unbestimmter Artikel (ein, eine, ein) voraus, dann werden sie im Nominativ und Akkusativ stark gebeugt. Denn während „der“, „die“, „das“ das Geschlecht zweifelsfrei angeben, ist bei den unbestimmten Artikeln das Geschlecht nicht zweifelsfrei zu erkennen, jedenfalls nicht der Unterschied zwischen männlich und sächlich. (Weshalb sie eben „unbestimmte Artikel“ genannt werden.) Darum fällt es wiederum den Adjektivattributen zu, die Aufgabe der Geschlechtsmarkierung zu übernehmen.
Tabelle 3: gemischte Beugung
Numerus/
Genus |
Nominativ
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Genitiv (hinter „trotz“, „wegen“)
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Dativ (hinter „mit“, „bei“)
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Akkusativ (hinter „für“, „über“)
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Singular männlich
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ein alter Mantel
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eines alten Mantels
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einem alten Mantel
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einen alten Mantel
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Singular weiblich
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eine alte Jacke
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einer alten Jacke
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einer alten Jacke
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eine alte Jacke
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Singular sächlich
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ein altes Haus
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eines alten Hauses
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einem alten Haus
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ein altes Haus
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Plural
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alte Mäntel, Jacken, Häuser
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alter Mäntel, Jacken, Häuser
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alten Mänteln, Jacken, Häusern
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alte Mäntel, Jacken, Häuser
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Die Aufgabe der Markierung übernehmen sie aber nur im Nominativ und im Akkusativ. Im Genitiv und im Dativ verhalten sich die Adjektivattribute genauso wie hinter bestimmten Artikeln und werden schwach gebeugt (auf „-en“). Weil sie also zwischen starker und schwacher Beugung wechseln, spricht man hier von „gemischter Deklination“.
Es kommt also immer darauf an, was den Adjektivattributen vorausgeht. Handelt es sich bei den „Vorausgehern“ nicht um Artikel, sondern um Pronomen, so gilt:
Hinter Demonstrativpronomen (dieser, diese, dieses; jener, jene, jenes; derselbe, dieselbe, dasselbe etc.) werden Adjektivattribute wie hinter bestimmten Artikeln gebeugt (schwache Deklination, Tabelle 1).
Hinter Personalpronomen (mein, meine; dein, deine; sein, seine; ihr, ihre etc.) werden Adjektivattribute wie hinter unbestimmten Artikeln gebeugt (gemischte Deklination, Tabelle 3).
Etwas komplizierter wird es, wenn es sich bei den Vorausgehern um Mengenwörter handelt. Das sind Wörter wie „manche“, „etliche“ oder „einige“. Wie das im Plural aussieht, können Sie in dieser Kolumne nachlesen: Wie beugt man hinter „etliche“?
Um zu verstehen, wie es zu diesen drei Formen (stark, schwach und gemischt) gekommen ist, muss man wissen, dass Sprache immer zwei Gesetzen folgt, die sich allerdings widersprechen und sich daher oft gegenseitig blockieren:
1.) Sprache will so deutlich wie möglich, d. h. unmissverständlich sein.
2.) Sprache will so einfach wie möglich, d. h. gut zu sprechen und angenehm zu hören sein.
Nach Gesetz 1 müsste jedes Adjektivattribut in jedem Kasus eine eindeutige Geschlechtsmarkierung haben:
der alter Mantel, das altes Haus, der schwieriger deutscher Satz
Das Gesetz 2 aber hat dafür gesorgt, dass die Geschlechtsmarkierung nur einmal erforderlich ist. Hinter „der“, „die“, „das“ ist jeweils klar, um welches Geschlecht es geht, darum kann man sich weitere Markierungen schenken. So haben es unsere Altvorderen vor vielen Jahrhunderten entschieden. Vielleicht aus Bequemlichkeit – oder weil man schon damals fand, doppelt sei übertrieben und folglich nicht schön. So kam es einerseits zur Entstehung der schwachen Beugung und andererseits zur gemischten; denn bei „einer alter Jacke“ oder „einem altem Haus“ hätte man jeweils eine doppelte Markierung gehabt, was man aber nicht wollte. Daher hat man in diesen Fällen der schwachen Beugung den Vorzug vor der starken gegeben.
Wenn die Grammatik uns immer wieder schwach werden lässt, so liegt es daran, dass sie selbst von Fall zu Fall schwach werden kann. Beim Unterrichten der starken, schwachen und gemischten Beugungen braucht man vor allem eines: starke Nerven.
„Denn während „der“, „die“, „das“ das Geschlecht zweifelsfrei angeben, ist bei den unbestimmten Artikeln das Geschlecht nicht zweifelsfrei zu erkennen, jedenfalls nicht der Unterschied zwischen männlich und sächlich. (Weshalb sie eben „unbestimmte Artikel“ genannt werden.) “
Bezieht sich nicht die Unterscheidung zwischen bestimmtem und unbestimmtem Artikel (die es ja auch etwa im Englischen gibt, wo der Artikel nicht das Geschlecht des Substantivs anzeigt) auf das Substantiv, das eben „bestimmt“ oder „unbestimmt“ sein kann? Beispiel: Der Mann trug einen Mantel. Im Flur hängte er den Mantel an einen Haken. Oder habe ich da etwas übersehen?
Liebe Frau Wolters, in der Regel beziehen sich „bestimmt“ und „unbestimmt“ auf die Identität des Hauptworts, hier also: ob es um „den bestimmten“ oder „irgendeinen unbestimmten“ Mantel geht. Mit dem Geschlecht des Hauptwort hat das nichts zu tun. Da beim unbestimmten Artikel aber auch das Geschlecht nicht eindeutig bestimmt ist, scheint die Bezeichnung „unbestimmt“ im doppelten Sinne zu gelten: auf die Identität bezogen und aufs Geschlecht. Vielleicht hätte ich einen Zwinker-Smiley dahintersetzen müssen, um die Ironie des Gedankens zu verdeutlichen.
Selten einen schwierigen Sachverhalt so gut und vor allem systematisch dargestellt und erklärt bekommen.
Das erinnert mich daran, dass mich ein (neuer) Gruß hier in Deutschland immer wieder verwundert.
Er ist aber nicht an eine Gegend gebunden, denn ich hörte ihn sowohl in Süd- als auch in Norddeutschland.
Ich höre:
„Auf Wiedersehen, schöner Tag“
Meinem Gefühl nach ist das nicht richtig. Ich würde sagen: „Auf Wiedersehen, einen schönen Tag noch“ oder Ähnliches.
Was meinen Sie?
Lieber Bastian Sick – super Artikel wieder!!
1000 Dank für diese Erhellung, v.a. diese Komplexität der Einfachheit 😉 auch anderen Sprach-Liebhassern nahezubringen… 🙂
Aber –
„Also werden sie nun so gebeugt, dass man kann ihnen das Geschlecht an der Endung ansehen: …“
Hier hat sich nur in diese Satzstellung ein kleines Fehlerteufelchen eingeschlichen!
LG
Elke
Danke für den Hinweis, liebe Elke! So was ja mal vorkommen kann 😉 Hab‘s inzwischen verbessert. Merci!
Und der Einwand von Martina? Den wollte ich auch gerade spontan machen … bestimmt ist eben einundderselbe und nicht einer von vielen (= unbestimmt) …
Super! Vielen Dank!
Auf so eine Erklärung warte ich schon lange.