Heißt man jemanden „willkommen“ oder „Willkommen“? Wünscht man „frohe Ostern“ oder „Frohe Ostern“? Und viel Glück im „neuen Jahr“ oder im „Neuen Jahr“? Um das Groß oder Klein in Grußformeln ranken sich viele Fragen und zahlreiche Irrtümer.
Eines Morgens kurz vor Silvester hing im Treppenhaus ein farbenfroher Aushang der Hausverwaltung, auf dem stand: „Wir wünschen allen Hausbewohnern ein Frohes Neues Jahr!“ Dabei blieb es nicht lange. Bis zum Nachmittag hatte jemand das große „F“ durchgestrichen und ein kleines „f“ darübergeschrieben. „Das kann ja nur einer gewesen sein!“, stellte meine Nachbarin Frau Jackmann fest und zwinkerte mir zu. Doch ich musste sie enttäuschen: „Ich war’s nicht! Wenn ich auch noch anfange, die Mitteilungen unserer Hausverwaltung zu korrigieren, komme ich zu gar nichts mehr. Außerdem hätte ich dann auch noch das große ,N‘ durch ein kleines ersetzen müssen. Wenn schon, denn schon!“ Frau Jackmann sah mich ungläubig an: „Das ,N‘ von ,Neues Jahr‘? Das soll verkehrt sein? Aber das ist doch ein Name!“
Mit dieser Annahme ist Frau Jackmann nicht allein. Viele Menschen halten das „neue Jahr“ für einen feststehenden Begriff und schreiben „neu“ daher groß: „Alles Gute im Neuen Jahr!“ liest man auf zahllosen Weihnachtskarten. Das neue Jahr ist aber kein feststehender Begriff, sondern eine ganz gewöhnliche Fügung aus einem Eigenschaftswort und einem Hauptwort. Anders als das „Neue Testament“ und die „Neue Welt“. Diese sind feststehende Begriffe und werden orthografisch wie Namen behandelt. (Vorausgesetzt, mit der Neuen Welt ist Amerika gemeint und nicht irgendeine „schöne neue Welt“, wie sie zum Beispiel von Aldous Huxley beschrieben wurde.) Auch das „Neue Forum“, der „Neue Markt“ und die „Neue Deutsche Welle“ sind feststehende Begriffe, die für etwas stehen, das klar definiert ist. Wie aber sollte man das „neue Jahr“ klar definieren können, wenn es doch alle Jahre wieder ein anderes ist?
Jemandem ein „frohes neues Jahr“ zu wünschen, ist grammatisch nichts anderes, als einen „schönen guten Tag“ zu wünschen oder „viele liebe Grüße“ zu versenden. In keinem der drei Fälle handelt es sich um einen feststehenden Begriff. Trotzdem findet man zahlreiche Beispiele, die fälschlicherweise einen „schönen Guten Tag!“ wünschen oder mit „vielen Lieben Grüßen“ schließen.
„Frohe Ostern!“ ist zwar eine gebräuchliche Formel, aber das heißt noch lange nicht, dass „froh“ und „Ostern“ zusammen einen Namen ergeben, der großgeschrieben werden muss. Wenn „froh“ und „Ostern“ innerhalb eines Satzes erscheinen, gelten für „froh“ dieselben Regeln wie für jedes andere Adjektiv auch, und dazu gehört die Kleinschreibung: „Ich wünsche euch frohe Ostern!“
Auch wenn es dank E-Mail, Chat und SMS seit Jahren einen starken Trend zur Kleinschreibung gibt, so findet man andererseits immer wieder großgeschriebene Wörter, die sich die Großschreibung gar nicht verdient haben. Es besteht offensichtlich eine tiefe Verunsicherung darüber, wann etwas großgeschrieben wird und wann nicht. Auf unzähligen Schildern, Tafeln und Transparenten werden Reisende und Kunden mit den Worten „Herzlich Willkommen“ begrüßt. Das sieht schön aus, ist aber orthografisch nicht einwandfrei; denn „willkommen“ ist hier kein Hauptwort, sondern ein Adjektiv, auf Deutsch auch Eigenschaftswort oder Wiewort genannt. „Herzlich willkommen“ ist die Verkürzung von „Ich heiße dich herzlich willkommen!“ oder „Du bist mir herzlich willkommen“. Da „willkommen“ in diesen Sätzen mit „wie“ erfragt wird, kann es nur ein Wiewort sein und muss folglich kleingeschrieben werden.
Etwas anderes ist es, wenn man jemandem „ein herzliches Willkommen“ bereitet; dann ist die Großschreibung angebracht, denn „das Willkommen“ ist ein Hauptwort. Als solches tritt „willkommen“ aber nur selten in Erscheinung. Meistens wird es als Adjektiv gebraucht. Dass es dabei so oft für ein Hauptwort gehalten wird, liegt möglicherweise an der Ähnlichkeit zu Grußformeln wie „Guten Morgen“ und „Auf Wiedersehen“, die wirklich ein Hauptwort enthalten.
Wenn auf „herzlich“ verzichtet wird und „willkommen“ an den Satzanfang rückt, dann wird es freilich auch als Wiewort großgeschrieben.
Der aus dem Englischen übernommene Modernismus „Willkommen zurück!“ („Welcome back!“) schreibt sich zwar mit großem „Willkommen“, aber nicht mit großem „Zurück“, es sei denn, „Zurück“ ist der Name eines Menschen, den man mit ausgelassenem Komma begrüßt. Das Gleiche gilt auch für „Willkommen daheim“ und „Willkommen zuhause“.
Viele Händler meinen, Eigenschaftswörter großschreiben zu müssen, um sie besonders hervorzuheben: „Ständig Neue Angebote“, „Nur Feinste Qualität“, „Kostet nichts Extra“ oder „Heute Geschlossen!“. Wenn ein Wort betont werden soll, kann man es unterstreichen, in Fettschrift oder Kursivschrift setzen oder in VERSALIEN schreiben. Plötzliche Großschreibung, Wo Kleinschreibung erwartet Wird, schafft Keine Betonung, Sondern Verwirrung.
Auch das kleine Wörtchen „bitte“ bereitet Probleme. Einerseits beim Aussprechen, das vielen einfach nicht gelingen will. Andererseits beim Schreiben: „Hier Bitte Münzen einwerfen“ steht auf einem Automaten oder „Affen Bitte nicht füttern“ an einem Tiergehege. Dabei ist „bitte“ ein Adverb und als solches bitte nur dann großzuschreiben, wenn es am Satzanfang steht. Danke!
Beim „bitte“-Schwesterwort „danke“ ging die Verwirrung so weit, dass die Rechtschreibreformer beschlossen, die Großschreibung für zulässig zu erklären. Nicht beim Verb „danken“ („Ich Danke dir“ ist nach wie vor falsch), sondern beim Adverb „danke“: „Ich möchte dir Danke sagen“. Das ist heute erlaubt, sogar empfohlen. Die klassische Schreibweise „Ich möchte dir danke sagen“ ist nur noch zweite Wahl. Als ich meine Freundin Sibylle einmal per SMS fragte, ob ich sie ins Kino einladen dürfe, schrieb sie neuorthografisch korrekt, doch in der für sie typischen verdrehten Weise zurück: „Da sage ich nicht Danke!“
In der nächsten Rechtschreibreform wird dann vielleicht „Herzlich Willkommen“ für korrekt erklärt und „Neues Jahr“ zum Namen ernannt. Das möchte ich aber „Bitte“ nicht mehr erleben müssen!
Groß-und-klein-Verwirrung: Beispielbilder
Hier können Sie das Gelernte gleich im Quiz überprüfen!
(c) 2012 Bastian Sick
Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod, Folge 5“ erschienen.