Donnerstag, 18. April 2024

Heute schon gegronsen?

Das Perfekt hat seine Prinzipien. Genauer gesagt: seine Partizipien. Doch die sind alles andere als eindeutig. Warum sind sagenumwobene Schätze nicht einfach sagenumwebt? Warum hat die Erde gebebt und nicht geboben? Was wäre, wenn alle Verben unregelmäßig wären?

Beim Umgang mit unregelmäßigen Verben geraten wir Deutschen regelmäßig ins Schleudern. Ich selbst kann mich da nicht ausnehmen. Anlässlich des rustikalen Tollwood-Festivals in München habe ich zum ersten Mal in meinem Leben eine Kuh gemolken. Das war neu und aufregend für mich — und offenbar auch verwirrend, denn in einem anschließenden Interview verstieg ich mich zu der Behauptung, ich hätte die Kuh „gemelkt“. Zum Glück hat die Zeitung das nicht gedrucken.

Die Unterscheidung zwischen regelmäßigen und unregelmäßigen Verben macht einem das Erlernen der deutschen Sprache nicht gerade leichter. Die regelmäßigen zeichnen sich dadurch aus, dass sie ihren Hauptklang in allen Zeitformen behalten: ich lache, ich lachte, ich habe gelacht — immer ein „a“. Er siegt, er siegte, er hat gesiegt — immer ein „ie“. Sie kreischen vor Vergnügen, sie kreischten vor Vergnügen, sie haben vor Vergnügen … ja, meine Freundin Sibylle hätte jetzt „vor Vergnügen gekrischen“, aber erstens ist Sibylle in sprachlicher Hinsicht eine Ausnahmeerscheinung, und zweitens ist kreischen ein regelmäßiges Verb. Das Ei von „kreischen“ bleibt auch im Perfekt ein Ei.

Die unregelmäßigen Verben dagegen verändern ihren Klang. So wie bei „denken“ zum  Beispiel: Ich denke, ich dachte, ich habe … ja, das hab ich mir natürlich gleich gedacht, dass die Schwaben an dieser Stelle „I han mir denkt“ murmeln.

Eine Leserin wollte von mir wissen, warum sie denn immer so komisch angeguckt würde, wenn sie sagt, sie habe beim Abbiegen „geblunken“. Ob das womöglich nicht richtig sei. Also, um eines klarzustellen: Selbstverständlich ist es richtig, beim Abbiegen zu blinken. Man sollte den Blinker sogar schon betätigen, bevor man abbiegt, um seine Absicht anzuzeigen. Mit einem nachträglichen Blinken ist niemandem gedient, daher ist die Frage, wie „blinken“ im Perfekt heißt, eigentlich zweitrangig.

Wer beim Abbiegen allerdings weder geblinkt noch geblunken hat, darf sich auch nicht wundern, wenn er von einem anderen Fahrzeug gestriffen wird.

Es gibt Verben, bei denen ist man sich nie wirklich sicher. Wie lautet das Perfekt von „niesen“? Geniest, genießt, geniesen — oder gar genossen? Manch einer mag das Niesen genießen, der kann von sich behaupten, er habe es genossen, geniest zu haben. Und in Ostdeutschland konnte man noch bis 1989 die Frage hören: „Wer von euch hat geniest, Genossen?“

Werden elektronische Informationen versendet oder versandt? Im Zweifelsfall ist beides möglich. Ich habe oft das Gefühl, das vieles von dem, was tagtäglich so versendet wird, am Ende irgendwo versandet. Für manch einen hat die Sonne nicht geschienen, sondern gescheint. Schließlich hat der Himmel ja auch nicht gewienen, sondern geweint.

Warum muss es überhaupt zwei Arten von Verben geben? Wäre es nicht viel leichter, wenn alle regelmäßig wären?

Ich breche, ich brechte, ich habe gebrecht — das wäre doch viel leichter zu lernen und zu behalten! Dann würde im Deutschen nicht mehr so viel „radegebrochen“.

Allerdings wäre es auch langweiliger. Viel interessanter wäre es doch, wenn alle Verben gleichermaßen unregelmäßig wären!

Noch aus seligen Schulzeiten kenne ich die Frage: „Selbst gekauft oder geschonken gekrochen?“ Man machte sich einen Spaß daraus, Partizipien zu vertauschen und neue Ableitungen zu bilden. Gekrochen ist ja richtig, das kommt von „kriechen“, man kriecht etwas zum Geburtstag — aber „schenken, schank, geschonken“ — das ist doch um einiges  klangvoller als „schenken, schenkte, geschenkt“. Wenn man sich an diesen Gedanken erst einmal gewohnen hat, dann kann man viel Spaß mit den Verben haben!

Der Löwe brüllt, die Löwin broll, das ganze Rudel hat gebrollen.

Der Lehrer grinst, die Schüler gransen, die ganze Klasse hat gegronsen.

Das klingt doch total verschärft — um nicht zu sagen verschorfen!

Ein Charakter mit Ecken und Kanten, der im Präsens aneckt, der ak in der Vergangenheit an und hat im Perfekt angeocken. Und der Kerl, der sich völlig verausgabt hatte, der war am Ende total abgeschloffen.

Stellen Sie sich vor, Sie verabreden sich mit einer attraktiven Frau, Sie haben womöglich Karten für ein Konzert oder fürs Theater, und da steht die Schöne vor Ihnen, und Sie sagen: „Toll siehst du aus!“, und sie erwidert: „Das will ich auch hoffen, ich hab mich schließlich stundenlang aufgebrolzen!“ Brezeln, bralz, gebrolzen — darin steckt doch geradezu Musik!

Selbst das Furzen wird zu einem musikalischen Forzato, wenn man es unregelmäßig konjugiert: Er furzt, er forz, er hat geforzen. Darauf können Sie einen lassen!

Irgendwann sind die Rosen dann verwolken, der letzte Hotelgast ist abgerissen und unsere Träume sind geplotzen.

Und wenn Sie sich jetzt fragen: Was hat der Autor mit dieser Geschichte überhaupt bezwacken, dann haben Sie gut zugehoren und das Prinzip verstunden. Für Ihre Aufmerksamkeit sei Ihnen von Herzen gedonken!

(c) Bastian Sick 2008


Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod, Folge 4“ erschienen.

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