„Fahrstuhl momentan außer Betrieb“, steht in großen Lettern auf einem Zettel, den jemand an die Aufzugstür geklebt hat. Und etwas kleiner darunter: „Wir bitten um Ihr Verständnis.“ – Verständnis? Würde man ja gerne aufbringen, sogar hier und jetzt im Parkhaus des Einkaufszentrums, mit all den schweren Tüten in der Hand, wenn man nur wüsste, wofür!
„Dieser Artikel ist nicht mehr lieferbar. Wir bitten um Verständnis“, erscheint auf der Angebotsseite eines Internet-Händlers. Das ist bedauerlich. Ganz offensichtlich ist aber auch eine zweite Sache nicht lieferbar, nämlich eine Verständnis schaffende Erklärung.
„Es können Wartezeiten von bis zu 45 Minuten entstehen“, säuselt die Lautsprecherdurchsage im Freizeitpark. „Wir bitten um Ihr Verständnis.“ Jetzt reicht’s! Schluss, aus, genug! Man möge mich um Pardon bitten, um Verzeihung, um Vergebung für dieses hochgradig unprofessionelle Management, das es nicht schafft, den Besucherandrang vor der Wildwasserbahn in einer Zeit zu bewältigen, die ungeduldig herumhüpfenden Kindern und vor allem den zunehmend entnervten Erwachsenen gerade noch zuzumuten ist. Sprich: in 45 Sekunden.
Ganz besonders lästig sind auch immer diese stark verrauschten Durchsagen im Feierabendverkehr, die wie folgt beginnen: „Sehr geehrte Fahrgäste! Hier spricht die Leitstelle der U-Bahn“, und die regelmäßig mit der Beschwörungsformel enden: „Für eventuell entstehende Unannehmlichkeiten bitten wir um Ihr Verständnis.“ Die erste Unannehmlichkeit war schon mal diese schwer verständliche Ansage, und Verständnis habe ich dafür nicht im Geringsten.
Die Bitte um Einsicht hat sich in den letzten Jahren zu einer wahren Volksseuche entwickelt. Allenthalben wird man um Verständnis angebettelt. Defekte Aufzüge, kaputte Automaten, Vorstellung fällt aus, heute keine Sprechstunde. Ohne Angabe von Gründen, aber immer: Wir bitten um Verständnis.
Noch dreister wird’s, wenn das Verständnis ungefragt vorausgesetzt wird. So ist es inzwischen gängige Praxis, nach kilometerlangen Baustellen – auch solchen, auf denen keinerlei Bautätigkeit festzustellen ist – den aus dem Stau kommenden Autofahrer mit Schildern zu verabschieden, auf denen ihm für sein Verständnis gedankt wird. Nach zehn Kilometern im zähfließenden Verkehr, eingezwängt zwischen Brummis, Wohnmobilen und Reisebussen, wirkt das „Danke für Ihr Verständnis“ nur noch abgeschmackt, fast schon hämisch.
Früher sagte man noch: „Es tut uns Leid“ oder „Wir bitten um Entschuldigung“. Da wusste man noch, was sich gehört. Und stand zu seinen Fehlern. Wer nicht liefern konnte oder eine Leistung versprach, die er nicht erbringen konnte, wand sich in Demut und wartete – auch ungefragt – gleich mit einem Dutzend glaubwürdiger und unglaubwürdiger Erklärungen für sein Missgeschick auf. Heute ist es der Kunde, der sich in Demut üben muss. Wer einen öffentlichen Service in Anspruch zu nehmen gewillt ist, sollte sichergehen, dass er nicht nur Kleingeld, sondern auch immer ein wenig Verständnis im Portemonnaie hat. Man kann nie wissen, wofür.
(c) Bastian Sick 2003
Wofür man noch alles Verständnis aufbringen kann, sehen Sie hier im Fotoalbum!
Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ erschienen.