Im Streit über die ewige Streiterei in politischen Leitartikeln und das nicht enden wollende Hickhack, Gezerre und Gerangel um alles und jeden zieht der Zwiebelfisch die Notbremse und empfiehlt eine radikale Streit-Diät. Ab sofort heißt es verschärft: diskutieren, debattieren, argumentieren und auseinander setzen.
Landauf, landab wird nur noch gestritten. In der Politik und überhaupt im ganzen öffentlichen Leben gibt es keine Diskurse und keinen Meinungsaustausch mehr, sondern nur noch Streit. Wer morgens auf dem Weg zur Arbeit am Zeitungskiosk vorbeikommt, der kann nur noch den Kopf einziehen. Von sämtlichen Titelblättern schreit es auf ihn ein: Streit hier, Streit dort, Streit überall und immerfort!
Eine Suche im digitalen Zeitungsarchiv nach dem Wort „Streit“ in Überschriften der letzten sechs Monate führt zu einer ungewöhnlichen Fehlermeldung: „Mehr als 1000 Dokumente gefunden. Bitte schränken Sie die Suche weiter ein.“ Auch in den letzten fünf, vier, drei Monaten gab es noch zu viel Streit. Erst eine Einschränkung auf die letzten vier Wochen liefert eine Textmenge, die das System bewältigen kann.
Die Liste der Streits ist endlos: Vom Kopftuchstreit über den Stasi-Aktenstreit bis hin zum Currywurststreit – es wird gestritten, was das Zeug hält. Zeter und Mordio, hochrote Köpfe, erhobene Fäuste, wütendes Gekläff. Den Zeitungen nach zu urteilen, muss unsere Republik zutiefst zerrüttet sein. Überall verlaufen unüberwindbare Gräben der Zwietracht und des Hasses. Kaum hebt jemand den Finger und meldet eine neue Idee an, schon entbrennt ein weiterer Streit. Und selbst im Sommerloch, da streiten sie noch.
Wie eine magische Beschwörungsformel liest man wieder und immer wieder die gleich gestrickte Einleitung: „Im Streit um die Steuerreform hat die CDU…“, „Im Streit um das Asylrecht hat die SPD…“, „Im Streit um den Einsatz deutscher Soldaten in Awacs-Flugzeugen hat Bundesverteidigungsminister Struck…“. Oder Sätze, die uns weismachen wollen, der Streit über dieses und jenes spitze sich zu, werde immer lauter, drohe gar zu eskalieren.
Streit sei für ihn ein Ausdruck des Versagens, ein eher destruktiver Zustand, wenn zivilisierte Diskussion gescheitert ist, schreibt Leser Dr. W. Das einzige prominente Gegenbeispiel der letzten Jahre sei die unselige „Antisemitismusdebatte“, aber vermutlich nur deswegen, weil „Antisemitismusstreit“ ein Spucke befördernder Zungenbrecher sei.
Möglicherweise ist aber das, was in den Schlagzeilen als Streit daherkommt, in Wahrheit oft nicht mehr als eine mittelprächtige Meinungsverschiedenheit. Und die Zeitungen machen einen handfesten Streit daraus, weil das Wort so schön kurz und griffig ist und eine verkaufssteigernde Signalwirkung hat. Vielleicht sind die Gräben in unserer Gesellschaft gar nicht so tief, sondern nur mit Druckerschwärze gefüllte Furchen. Sommerzeit, Diätzeit. Wie wäre es mit einer Streit-Diät? Meiden wir das strittige Wort und reden wir stattdessen mal wieder von Debatten, Diskussionen oder Kontroversen.
„Wenn Sie keinen Streit wollen“, sagt der Verkäufer vom Kiosk und lacht, „dann können Sie auch Krieg haben!“ Und er zeigt auf die Titelseiten seiner ausgelegten Zeitungen. „Torwart-Krieg“, steht auf der einen, „Zicken-Krieg“ verheißt die nächste. Das geht über „TV-Krieg“ bis zum „Renten-Krieg“. Für diejenigen, die gegen das Wort Streit bereits immun sind, muss es eben Krieg sein. Gerhard Schröder hockt im Kanzlerbunker, während die Opposition vorm Reichstag Panzer auffahren lässt. Ob das die Gespräche über die Reformen voranbringen wird?
Wer vom Streit partout nicht lassen mag, kann gerne darüber streiten, was korrekterweise nach dem Streit kommen sollte.
(c) Bastian Sick 2003
Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ erschienen.