Obwohl Journalisten sich nur ungern dem Vorwurf aussetzen, unzeitgemäß zu sein, ziehen viele von ihnen beharrlich einen Marketenderkarren voll Gerümpel hinter sich her. Darauf befinden sich alte Hüte, Kappen, Fahnen, Hörner, Nähkästchen und jede Menge geplatzter Kragen. Wer ihnen den Krempel abkaufen soll? Die Leser natürlich.
Wer regelmäßig die Zeitungen studiert, der stößt immer wieder auf bedauernswerte Kreaturen, die von irgendjemandem „im Regen stehen gelassen“ wurden. Mal sind es die Ärzte, die von der Gesundheitsministerin im Regen stehen gelassen wurden, dann wieder die Arbeitnehmer, die von den Gewerkschaften im Regen stehen gelassen wurden, und immer wieder werden Fußballspieler von ihren Clubs und Bürgermeister von ihrer Partei im Regen stehen gelassen. Kein Wunder, dass es heißt, in Deutschland regne es andauernd, wenn schon die Nachrichten derart triefend daherkommen.
Wie schnell der Regen in Hagel übergehen kann, zeigt sich immer wieder, wenn Kritik ins Spiel kommt. Kritik, Proteste, Absagen und Parteiaustritte gibt es offenbar nur in Form von Hagel. Dabei ist manche Kritik so dürftig, dass sie allenfalls zu einem leichten Nieseln im Stande wäre. Die Behauptung, es hagele Kritik, wird aber automatisch erhoben, sobald irgendwo mehr als zwei Gegenstimmen gezählt werden.
Vor Regen schützt ein Schirm, gegen Hagel hilft eine feste Kopfbedeckung. Und weil es in Stadien so oft hagelt (Proteste, Buhrufe, Pfiffe), gehört neben dicken Socken und Reklametrikot auch eine Kappe zur Standardausrüstung eines Fußballspielers. Wie oft liest man, dass ein Torwart oder ein Mannschaftskapitän etwas „auf seine Kappe“ nehmen musste.
Wem alles zu viel wird, dem platzt zwangsläufig der Kragen: „Dem Polizeihauptmeister platzte der Kragen, als er sich den rostigen Ford-Transit ansah.“ Bei einer Uniform mag das noch angehen, aber wie viel Wut gehört dazu, einen Rollkragen zum Platzen zu bringen? Oder einen labberigen T-Shirt-Kragen? Schließlich platzen nicht nur Hemdträgern die Kragen. Auch „Ulla Schmidt platzt der Kragen“, wusste eine Zeitung unlängst zu berichten. Wenn der Ministerin aber der Hals schwillt, platzt erst mal die Perlenkette. In deutschen Zeitungen hört man ständig irgendwelche Kragen platzen, manchmal sind es gleich mehrere auf einmal, wenn es zum Beispiel heißt: „Den Gladbach-Fans platzte der Kragen.“ An jenem Tag waren mehrere Tausend Gladbach-Fans im Stadion. Welch ein Knall muss das gewesen sein!
Das muss dann wieder irgendjemand auf seine Kappe nehmen, auch wenn er damit nichts am Hut hat, weil er sich etwas völlig anderes auf die Fahnen geschrieben hat, aber sonst hagelt es wieder Proteste und man lässt ihn am Ende womöglich im Regen stehen.
(c) Bastian Sick 2004
Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ erschienen.