Es gibt Dinge, die gibt’s einfach nicht. Zum Beispiel Verbformen, die völlig sonderbar klingen. Man meint, sich verhören zu haben, und muss erkennen: Man hat richtig gehört! Da ist von Kindern die Rede, die genaschen haben, und von Häusern, die angemalen worden sind. Unsere Sprache wird täglich neu gestalten.
Ich wollte es ja erst nicht wahrhaben: Da schrieb mir ein verzweifelter Leser und flehte mich auf Knien an, ich möge doch dringend mal etwas über die korrekte Bildung des Perfektpartizips von „schalten“ schreiben. Immer häufiger höre er Menschen sagen, ein Gerät sei „ausgeschalten“ oder ein Motor „eingeschalten“. Dabei heiße es doch „ausgeschaltet“ und „eingeschaltet“! Wie sei es möglich, lamentierte der Leser, dass hier plötzlich falsche Formen auftauchen, die dann auch noch eine so rasante Verbreitung finden?
Ich habe die Anfrage, wie ich es mit allen Zuschriften mache, ausgedruckt und abgeheftet, und zwar unter dem Stichwort „Perfekt, pervertiertes“. Eine interessante Beobachtung, dachte ich mir, aber doch wohl eher eine kuriose Ausnahmeerscheinung. Da ich selbst bis zu diesem Zeitpunkt noch nie gehört hatte, dass jemand „geschalten“ statt „geschaltet“ sagt, sah ich keinen dringenden Handlungsbedarf. Bis ich Anfang des Jahres in den Urlaub nach Südtirol reiste, um mich ein paar Tage in einem sogenannten Wellness-Hotel zu erholen. Auf meine Frage, ob man die Sauna schon benutzen könne, erwiderte die Empfangsdame an der Therme in tadellosem Hochdeutsch und mit einem bezaubernden Lächeln: „Aber selbstverständlich, die Sauna ist angeschalten!“ Ich war wie vom Donner gerührt.
Zitternd gab ich die Perfektform „geschalten“ in Google ein. Ich wollte doch mal sehen, wie es tatsächlich um die Verbreitung dieses absonderlichen Partizips steht. Und tatsächlich: 66.000 Fundstellen! Da konnte es wenig trösten, dass über der Trefferliste die automatisch erstellte Korrekturanfrage erschien: „Meinten Sie ,geschaltet‘?“
Wenn Fernsehkonsumenten sich plötzlich fragen, ob irgendjemand „das Programm umgeschalten hat“, und wenn immer neue Parks und Einkaufszentren von namhaften Architekten „gestalten“ werden, so liegt dies möglicherweise an der Ähnlichkeit der Verben „schalten“ und „gestalten“ mit dem Verb „halten“. Letzteres wird im Perfekt bekanntlich zu „hat gehalten“, und nicht zu „hat gehaltet“. Aber bei „halten“ handelt es sich um ein unregelmäßiges Verb, das im Präteritum seinen Hauptklang verändert: aus „halt“ wird „hielt“. Schalten hingegen ist ein regelmäßiges Verb, das seinen Hauptklang behält. Und weil es im Präteritum nicht zu „schielt“ wird, wird es im Perfekt auch nicht zu „geschalten“, sondern zu „geschaltet“. Eigentlich ganz einfach.
Im buchstäblichen Sinne gespalten sind die Meinungen über die korrekte Bildung des Perfektpartizips von „spalten“. Obwohl es sich – auf den ersten Blick – um ein regelmäßiges Verb zu handeln scheint (ich spalte, ich spaltete, nicht etwa: ich spielt oder gar ich spolt), existiert die Perfektform „gespalten“. „Gespaltet“ gibt es gleichwohl, doch das ist inzwischen viel seltener zu hören: „Ich habe das Holz gespaltet“; „Die einen hatten sich von den anderen abgespaltet.“ Gerade als Adjektiv verwendet man fast ausschließlich die Form „gespalten“: „Wir haben ein gespaltenes Verhältnis“; „Der weiße Mann spricht mit gespaltener Zunge.“ Offenbar gibt es nicht nur regelmäßige und unregelmäßige Verben, sondern auch noch regelmäßig-unregelmäßige Verben. Nun ja, warum auch nicht: Sprache ist wie Botanik. Es gibt wunderschöne Blüten und jede Menge Unkraut. Und ab und zu zwittert es halt im deutschen Verbenwald.
Meine Recherchen ergaben, dass die ungewöhnlichen Formen „ausgeschalten“ und „eingeschalten“ für bestimmte Regionen durchaus typisch sind. Weite Teile des deutschsprachigen Südens gehören dazu, über Österreich bis Südtirol. Die freundliche Dame in dem Südtiroler Hotel hatte demnach keinen grammatischen Blackout, so wie man es von Viva-Moderatoren gewohnt ist, sondern benutzte ein regionaltypisches Partizip.
In einigen Gegenden soll man angeblich auch statt „Wir haben gebadet“ sagen können: „Wir haben gebaden.“ Im Badischen zum Beispiel. Nun, das ist ja auch nicht verwunderlich. Wer aus Baden-Baden kommt, dem kommt das „gebaden“ ganz automatisch über die Lippen. Wollte man ihn korrigieren, könnte er womöglich erwidern: „Wieso? Isch wohn doch schließlich net in Badet-Badet!“
Und im Aachener Dom werden die Hände zum Gebet nicht nur gefaltet, sondern auch „gefalten“. Auch in Sachsen sind Formen wie „gemalen“ und „gebaden“ bekannt. Ich müsste mal meine Freundin Moni fragen. Die wohnt in Chemnitz und spricht Sächsisch erster Güte. Moni würde vermutlich sagen: „Mir ham gebaden.“
Bei Moni lasse ich das selbstverständlich durchgehen, denn Sächsisch ist nun mal Sächsisch, und das ist nicht ganz dasselbe wie Hochdeutsch. Man findet die Form „gebaden“ aber auch in hochdeutschen Zusammenhängen, in Internetforen zum Beispiel. Da fragt ein gewisser Michael, ob Meerschweinchen eigentlich schwimmen können, und eine Melanie antwortet ihm: „Nein, Meerschweinchen dürfen nicht gebaden werden, die können sich eine Lungenentzündung holen und eine Erkältung!“
Die Perfektform „gebaden“ würde freilich voraussetzen, dass „baden“ zur Gruppe der sogenannten starken, besser gesagt: unregelmäßigen Verben zählt. So wie „laden“, das im Präteritum zu „lud“ wurde und dann im Perfekt zu „geladen“. Aber „baden“ wird im Präteritum nicht zu „bud“, sondern zu „badete“, wird also ganz regelmäßig gebildet – und muss im Perfekt daher auch „gebadet“ heißen. Melanies Antwort war also grammatisch nicht ganz einwandfrei, trotzdem sei ihr von Herzen gedankt, denn vermutlich hat sie damit mehreren Meerschweinchen das Leben gerettet.
Sehr ans Herz zu legen ist in diesem Zusammenhang die Internet-Seite der „Gesellschaft zur Stärkung der Verben“, auf der sich eine drollige Liste mit (wohlgemerkt!) ausgedachten Ableitungen befindet. Die Grundannahme lautet: Was wäre, wenn es im Deutschen nur starke (also unregelmäßige) Verben gäbe? Wie hörte sich das an? Und so tummeln sich auf der Liste so herrliche Formen wie „bescheren, beschor, beschoren“, „herrschen, harrsch, gehorrschen“ und „schimpfen, schampf, geschompfen“. Mein Favorit ist „faulenzen“, das im Präteritum zu „lonz faul“ und im Perfekt zu „faulgelonzen“ wird.
Unsere Sprache hat bekanntermaßen kein in Beton gegossenes, unveränderliches Fundament. Vielmehr gleicht sie einem Sumpf, einem Treibsand oder einem mit Tiefen und Untiefen gesegneten See, der von einer Eisschicht bedeckt ist, die wir „Standarddeutsch“ nennen. Wie dünn diese Eisschicht ist, erfuhr ich erst kürzlich wieder, als ich mit einem alten Bekannten telefonierte. Auf meine harmlose Frage „Und, wie läuft’s so bei euch beiden?“ antwortete er: „Danke, kann nicht klagen, wir sind ganz gut ins neue Jahr gestarten!“ Nachdem ich aufgelegt hatte, setzte ich mich an meinen Schreibtisch. Was tat ich dann? Ach ja, ich habe den Monitor eingeschalten und den Computer gestarten, um eine Geschichte zu schreiben über seltsame Arten und noch seltsamere Unarten des Perfekts.
Regelmäßige und unregelmäßige Verben auf -alten/-elten | ||
Infinitiv | Präteritum | Perfekt |
erkalten | die Lava erkaltete | die Lava ist erkaltet |
falten | ich faltete | ich habe gefaltet |
gestalten | ich gestaltete | ich habe gestaltet |
schalten | ich schaltete | ich habe geschaltet |
verwalten | ich verwaltete | ich habe verwaltet |
zelten | wir zelteten | wir haben gezeltet |
spalten | ich spaltete | ich habe gespaltet/gespalten |
gelten | das galt | das hat gegolten |
halten | ich hielt | ich habe gehalten |
schelten | ich schalt | ich habe gescholten |
(c) Bastian Sick 2005
Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod, Folge 2“ erschienen.
Erst neulich habe ich gehört, dass jemand sagte: „Ich habe die Anfrage abgehoften“.