Eine Passauer Schulleiterin hat an ihrer Schule ein Verbot für die Grußwörter „hallo“ und „tschüs“ erlassen. Ob das den Schülern hilft, sich besser in der Welt zurechtzufinden? Und sind diese Wörter wirklich so unangemessen, wie die bayerische Pädagogin glaubt?
Es war eine seltsam unzeitgemäße Meldung, die uns an diesem Montag erreichte: Eine Schulleiterin im bayerischen Passau hatte an ihrer Schule ein Verbot für die Grußwörter „Hallo“ und „Tschüs“ erlassen. Sie empfinde diese als respektlos, gab sie als Begründung an. Außerdem sei gerade das norddeutsche „Tschüs“ alles andere als bayerisch. Daher habe sie ihre Schule zur „hallo- und tschüs-freien Zone“ erklärt. Wer sich nicht mit „Grüß Gott!“ anfreunden könne, der solle „Guten Tag“ und „Auf Wiedersehen“ sagen.
Einerseits war diese Nachricht erfreulich, denn wenn die Passauer keine größeren Sorgen hatten als ein respektlos erscheinendes „Hallo“ oder „Tschüs“, dann schien es ihnen beneidenswert gut zu gehen. In anderen Gegenden Deutschlands, gerade in urbanen Ballungsräumen, sind manche Lehrer schon froh, wenn ihre Schüler sie überhaupt eines Grußes würdigen, und sei es nur „Tach!“, „Na!“ oder „Bis denne!“. Aber von derartigen sozialen Zuständen, womöglich mit einer deftigen Migrationsproblematik gewürzt, ist man in Passau zum Glück (noch) weit entfernt. Selig sind die Randgemeinden!
Es ist auch nichts dagegen zu sagen, dass eine Schulleiterin sich bemüht, ihren Schülern gute Umgangsformen zu vermitteln. Respekt ist eine wertvolle Tugend und sollte, genau wie Rücksichtnahme, Fairness und Umweltbewusstsein, im Schulunterricht regelmäßig thematisiert werden.
Doch die Frage ist, ob der Weg über ein Verbot der richtige ist. Man kann sich Wörter verbitten, die beleidigend sind. Verbale Grobheiten und Gemeinheiten kann man untersagen. Im Falle der Passauer Rektorin ging es aber nicht um vorsätzliche Beleidigungen oder Grobheiten, sondern lediglich um eine gefühlte Respektsverletzung und um veränderte Sprachgewohnheiten.
Denn objektiv gesehen sind „hallo“ und „tschüs“ nicht Ausdruck mangelnden Respekts. Sie sind vielleicht nicht in jeder Situation die erste Wahl. In bestimmten Zusammenhängen empfiehlt sich der Zugriff auf ein anderes sprachliches Register. Vorausgesetzt, man verfügt über die Fähigkeit, verschiedene Register zu bedienen.
Jemanden in Köln, Berlin oder München auf der Straße mit „Hallo!“ anzurufen, ist nicht ungehörig, selbst wenn es sich um einen Fremden handelt. Freilich ist „hallo“ eine ungezierte Form der Anrede, eher bodenständig als elegant, aber nicht unschicklich. Selbst von Damen des Adels wurde ich schon mit „Hallo, Herr Sick!“ begrüßt, ohne dass es mir unangemessen erschienen wäre. So mancher Pastor beginnt seine Predigt mit den Worten „Hallo, liebe Gemeinde“, ohne dass er deswegen mit Steinen aus der Kirche gejagt würde. Dass „hallo“ so populär wurde, ist dem Telefon zu verdanken. Der Ursprung des Wortes ist nicht eindeutig geklärt: Sprachforscher nehmen an, es komme vom Ruf „Hol über!“, mit dem in früheren Zeiten der Fährmann herbeigerufen wurde. „Hol über!“ wurde zunächst zu „holla“ (wie heute noch in „Holla, die Waldfee!“), später dann, unter dem Einfluss des Englischen, zu „hallo“. Parallel zu unserem „holla“ hatte sich nämlich in England im 16. Jahrhundert der Gruß „hello“ entwickelt. Die Franzosen machten daraus „allô“ und die Spanier „hola“. Mit der Verbreitung des Fernsprechwesens im 19. und 20. Jahrhundert trat das praktische „Hello/Hallo/Allô/Hola“ seinen Siegeszug um die ganze Welt an. Der Erfinder des Telefons, Graham Bell, hatte sich noch für „ahoy“ als telefonische Begrüßung ausgesprochen, doch Thomas Edison, der die Erfindung weiterentwickelte, setzte „hallo“ durch. Dank des Telefons ist „hallo“ auch im Deutschen in den allgemeinen Sprachgebrauch eingesickert.
Die Geschichte des Wortes „tschüs“ ist ähnlich international: Es kommt vom spanischen „adiós“ („Geh mit Gott!“) und wurde von den Seefahrern zunächst in die spanischen Niederlande gebracht, wo es sich zu „atjüs“ entwickelte. Von dort gelangte es als atschüs und tschüs nach Norddeutschland. Die Schwaben indes übernahmen das französische „adieu“ und machten daraus „ade“. Die Bayern pflegten ihr zünftiges oberdeutsches „Pfiati!“ oder „Pfiagod!“ („Behüte dich Gott!“), und in Österreich sagt man noch heute beim Abschied leise „Servus“.
Dass „tschüs“ manchem dialektverhafteten Bayern fremd erscheint, ist daher verständlich. Der Mensch mag, was er gewohnt ist, und was ihm fremd ist, das lehnt er meistens erst einmal ab. Doch ein Verbot führt in die falsche Richtung. Zudem ruft die Begründung, „tschüs“ sei „unbayerisch“, unangenehme Erinnerungen wach an Zeiten, in denen alles verboten wurde, was „undeutsch“ war.
Anstelle eines unproduktiven Verbotes sollte man besser eine produktive Unterrichtseinheit zum Thema Grußformeln ansetzen. Den Schülern sollten alle Möglichkeiten der Begrüßung und Verabschiedung vorgestellt und die Vielfalt der regionalen und sozialen Unterschiede aufgezeigt werden; man sollte sie lehren, die Nuancen zu erkennen – ein „Hallo“ klingt beispielsweise schon ganz anders, wenn ihm ein „Frau Lehrerin!“ angehängt wird. Anschließend könnte man die Schüler einen Aufsatz schreiben lassen mit dem Thema „Was ich wem zur Begrüßung sage und warum“. Das dürfte sich förderlicher auf die Sprachkompetenz der Schüler auswirken als ein Verbot. Denn nicht durch Verbote, sondern allein durch Aufklärung und Bildungsarbeit erzieht man mündige, verantwortungsbewusste Bürger.
Einen Tag nach Bekanntwerden des Passauer Schildbürgerstreichs gastierte ich mit meinem Bühnenprogramm im Münchner Prinzregententheater. In Anspielung auf die Zeitungsberichte bat ich das Münchner Publikum um Entschuldigung, falls ich bei der Verabschiedung nicht die richtigen Worte fände. Ich sei nun mal ein Hanseat, und als solcher ginge mir ein „Tschüs“ wie selbstverständlich über die Lippen. Doch weder wollte ich ihre Gefühle verletzen noch ihre Ohren beleidigen, daher sei ich gerne bereit, mich den bayerischen Gepflogenheiten anzupassen und mich mit „Servus“ oder „Pfiagod“ zu verabschieden. Daraufhin brachen die Münchner in schallendes Gelächter aus. Beim anschließenden Signieren erfuhr ich den Grund: „Hier sagt niemand mehr Servus oder Pfiagod“, erklärte man mir, „in München sagt man ,Ciao‘!“
Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod, Folge 5“ erschienen.
Lieber francophiler Bastian,
gerade die Bayern sollten aber das „tschüs“ besser akzeptieren. Als ansonsten den französischen Überbleibseln nicht abgeneigtes Völkchen (verdeutscht z.B. Potschamperl, Trottoahr, Pissoar, Paraplü, Schwollischeh, Porträt, Plümoh, Schääsn, Schääslong, Schosseh, Bagasch, Blamasch, malad, marod, …) müsste ihnen doch einfallen, dass sie zu früheren Zeiten selber zum Abschied „jusque-là“, also „bis dann“ gesagt hatten. Daher, so sagte mir mal eine Schweizer Deutschlehrerin, käme dieser Ausdruck. Klingt für mich logischer und ohne Umwege über ein verkorkstes „adios“, hä oder?