„Ich brauch mal deinen Rat“, sagte meine Freundin Sibylle kürzlich. „Ich schreibe gerade Weihnachtskarten, und da heißt es … “ – „Wie bitte?“, unterbrach ich sie. „Du schreibst jetzt schon Weihnachtskarten? Im Hochsommer?“ – „Warum nicht? Ich schreibe auf Vorrat! Im Dezember hab ich genug anderes zu tun. Also, ist der Satz so in Ordnung: Ich schreibe dir von unter einem mit Kugeln und Lametta behangenen Weihnachtsbaum … Kann man das sagen: von unter?“ – „Besonders elegant ist es nicht, und gelogen noch dazu.“ – „Das weiß ja keiner außer dir“, meinte Sibylle. „Auf jeden Fall ist der Weihnachtsbaum nicht mit Kugeln und Lametta behangen, sondern behängt“, stellte ich richtig.
„Ist das nicht egal?“, fragte Sibylle. „Geht nicht beides?“ – „Nein, in diesem Falle nicht“, erwiderte ich. Und da Sibylle mich nun mal um Rat gebeten hatte, holte ich zu einer längeren Erklärung über das Verb „hängen“ aus. Zunächst müsse man wissen, dass es in doppelter Ausführung existiert – als transitives Verb und als intransitives. Was das denn nun wieder bedeuten solle, wollte Sibylle wissen.
Transitive Verben seien Verben, die ein Objekt haben können, erklärte ich. Da hängt jemand (Subjekt) etwas (Objekt) irgendwohin. Intransitive Verben haben kein Objekt. Da hängt man nicht etwas irgendwohin, sondern man hängt selbst.
Nehmen wir zum Beispiel die Wäsche. Wenn ich die Wäsche auf die Leine hänge, ist das transitiv. Ist die Wäsche dann aufgehängt, dann hängt sie vor sich hin – das ist intransitiv. Das transitive „hängen“ wird regelmäßig gebildet: Ich hänge die Wäsche auf, ich hängte die Wäsche auf, ich habe die Wäsche aufgehängt.
Das intransitive „hängen“ wird hingegen unregelmäßig gebildet: Die Wäsche hängt auf der Leine, die Wäsche hing auf der Leine, die Wäsche hat auf der Leine gehangen.
Und damit kommen wir zum Weihnachtsbaum und seinem Schmuck: Der Baum ist mit Kugeln behängt, denn jemand hat die Kugeln ganz transitiv an den Baum gehängt. Genauer gesagt: Er hat den Baum mit Kugeln behängt – und das Verb „behängen“ existiert allein als transitives Verb. Ein intransitives „behängen“ gibt es nicht. Folglich gibt es auch die Form „behangen“ nicht.
„Aber was da am Weihnachtsbaum hängt“, wandte Sibylle ein, „das nennt man doch Weihnachtsbaumbehang und nicht Weihnachtsbaumbehänge! Höchstens vielleicht Weihnachtsbaum-ge-hänge …“
Behang und Gehänge seien abgeleitete Hauptwörter, erklärte ich, wir seien ja aber bei den Verben. „Also gut“, fasste Sibylle zusammen, „dann ist der Weihnachtsbaum ein behängter und kein behangener. Trotz seines Behangs.“ – „Genauso ist es“, erwiderte ich. Sibylle kramte kurz in ihrer Tasche. „Hier, bitte“, sagte sie dann, „du bekommst deine Weihnachtskarte schon jetzt!“ – „Wieso das?“, fragte ich erstaunt. Sibylle lachte: „Wenn du sie jetzt transitiv an deinen Kühlschrank hängst, hat sie ausreichend Zeit, intransitiv abzuhängen, und ist Weihnachten dann richtig gut abgehangen!“
Für Edith
Dass es kein intransitives behängen gibt, stimmt sicherlich, aber das ist kein Grund, deswegen nicht – natürlich transitiv – sagen zu können: ich habe den Baum mit Lametta behangen. Also: Ich behänge ihn – ich behing ihn – ich habe ihn behangen. Letztlich ist es dann doch ein behangener Baum. Auch wenn ein paar Norddeutsche(?) unter sich ausgemacht haben, dass man das transitive behängen nur noch schwach konjugieren soll, glaube ich nicht, dass ich mich als Süddeutscher daran halten muss – zumal die starke Konjugation ja wohl auch die „älteren Rechte“ besitzt. Und solange noch Deutsche leben, deren Muttersprachgefühl hier die starke Konjugation vorzieht, hat m. E. niemand (und auch der Dudenverlag nicht) das Recht, diesen deutschen Sprachgebrauch rechthaberisch als „falsch“ abzuklassifizieren. Vielleicht werfen Sie ja mal auch einen Blick auf den Wikipedia-Artikel über den „Behangenen Mürbling“?
So neunmalklug ist dann wohl auch nur wieder ein Süddeutscher, der obendrein auch noch aus Bayern kommt … (?)
Schlimmer noch: aus Bayerisch-Schwaben! 😉 Für Norddeutsche: Das ist die Gegend vom Schloß Neuschwanstein bis zum Nördlinger Ries. Seien wir doch froh, dass an mehreren Stellen des deutschen Sprachraums noch Menschen existieren, die ihr ererbtes Sprachgefühl bewahrt haben, das auch unabhängig von der Meinung der Dudenredaktion funktioniert. Daher gibt es eben auch keinen „Behängten Mürbling“, sorry … 😉
Hallo algoviano (und natürlich Karl Kroll),
ich hatte auch mal einen Kollegen, der die Erbschaft seines Sprachgefühls lieber hätte ausschlagen sollen:
„Hast Du schon mal erlebt, dass Lotus Notes (unser E-Mail-Programm) sich aufgehangen hat?“
„Aufgehangen nicht – aufgehängt ist schon vorgekommen.“
„Ist doch sch….egal.“
Ihr kluger Kommentar an anderer Stelle (es ging da um Vögel: „Wird denn in Norddeutschland überhaupt nicht mehr Deutsch unterrichtet?“) lässt die Hoffnung, dass die obigen Kommentare nur Ausrutscher sind.
Mit freundlichen Grüßen
Werner Glanert
Zitat: Ein intransitives „behängen“ gibt es nicht. Folglich gibt es auch die Form „behangen“ nicht.
Als ich damals diese unzulässige Schlussfolgerung von Bastian Sick las, fühlte ich mich provoziert. Denn natürlich gibt es ein transitives „behängen“ und ob das Partizip dazu „behängt“ oder „behangen“ heißt, ist eine ganz andere Frage. Die Formulierung „gibt es nicht“ empfinde ich als arrogant, wenn es korrekterweise heißen müsste „ist veraltet“ oder so etwas. Das hat den Ton meines Kommentars stark beeinflusst. Werde versuchen, in Zukunft in solchen Fällen mehr zu spotten als zu „schimpfen“ 😉
Sehr geehrter Herr Sick
Heute, beim Besuch Ihrer Homepage, sah ich zu meiner Freude, dass Sie sich des Verbs „hängen“ angenommen haben. Da ich oft sowohl die öffentlich rechtlichen wie auch private deutsche Fernsehsendungen anschaue, ist mir aufgefallen, dass Moderatoren das Verb nach meiner Meinung falsch gebrauchen. Sie berichten zum Beispiel: „Es wurden Suchplakate aufgehangen.“ Oder: „Auch ich habe zu Hause eine Menge Bilder aufgehangen.“
Es gäbe noch mehr Beispiele, aber es ist ja immer derselbe Fehler, wenn es denn einer ist! Ich habe meine Bilder „aufgehängt“ und diese Form des besagten Verbs habe ich meinen Schülern beigebracht. Ich hoffe doch sehr, dass ich da nichts Falsches gelehrt habe.
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei der Suche nach sprachlichen Seltsamkeiten und grüsse Sie freundlich
Lieber Herr Sick,
durch den Wiederabdruck Ihres schönen Textes in den Sprachnachrichten des Vereins deutsche Sprache bin ich nochmals darauf gestoßen. Sie schreiben u.a.: „Transitive Verben sind Verben, die ein Objekt haben können“. Das gilt aber lt. Duden-Grammatik nur für Verben mit Objekt im Akkusativ; nur von solchen Verben lässt sich ein Passiv bilden. Die wenigen passivbildenden Verben mit Genitivobjekt sind also keine transitive Verben.
Ferner gibt es weitere derartige Verben:
drängen/dringen (trans./intrans. – schwach/stark: drängte, gedrängt – drang, gedrungen)
erschrecken (trans./intrans. – schwach/stark: erschreckte, erschreckt – erschrak, erschrocken)
(er)tränken/(er)trinken (trans./intrans. – schwach/stark: ertränkte, ertränkt – ertrank, ertrunken)
setzen (nur trans. – schwach: setzte, gesetzt)
sitzen (nur intrans. – stark: saß, gesessen)
legen (nur trans. – schwach: legte, gelegt)
liegen (nur intrans. – stark: lag, gelegen)
stecken (trans./intr. – schwach/stark; steckte, gesteckt – stak, gesteckt)
wägen (nur trans. – schwach oder stark: wägte, gewägt – wog, gewogen)
wiegen (trans./intrans. schwach/stark; wiegte, gewiegt – wog, gewogen)
((v)er)löschen (trans./intrans. schwach/stark: [(v)erlischst, (v)erlisch!] löschte, gelöscht – losch, erloschen)
scheren (trans. stark, reflexiv schwach: er schor das Schaf – ich scherte mich um nichts mehr)
senden (stark; im Sinne von „ausstrahlen“ nur schwach: sandte, gesandt – sendete, gesendet)
stieben (stark oder schwach: stiebte, gestiebt – stob, gestoben)
saugen (stark; nur bei Mit-einem-(Staub)sauger-Saugen schwach: sog, gesogen – saugte, gesaugt)
schaffen (trans. stark + schwach): schuf, geschaffen – schaffte, geschafft: Gott schuf Himmel + Erde. – Er schaffte seine Arbeit nicht.
Viele Grüße Ihr V. Morstadt
Nun habe ich mich gar nicht mit transitiven und intransitiven Verben beschäftigt. Werde ich auch nicht tun: Das Grammatik-Buch bleibt im Regal. Ich bleibe bei meinem Sprachgefühl, und ich bleibe mir sicher, damit die jeweils richtige Entscheidung beim Deklinieren zu treffen. – Nein, so einfach – oder schwer, je nach Richtung der Betrachtung – ist es nicht! Wer, nämlich, vor dem Inbetriebsetzen des Sprechorgans bedenkt, was er/sie sagen möchte, der/die wird vermutlich – gleich mir – die richtige Entscheidung in der Grammatik treffen. Es ist nur scheinbar eine intuitive Entscheidung. Die weitergehende und nun schon angeklungene Frage, die sich stellt, wenn einem/einer das mangelhafte Benutzen der zutreffenden Grammatik bei Vertretern der Jounalistengilde in allen möglichen Medien aufstößt, ist eben vielleicht weniger die nach dem Verstehen der Grammatik als vielmehr die nach dem Benutzen des Verstandes… (War das nun verständlich?)
Seit wann steht ein Komma in dem Satz „Besonders elegant ist es nicht, und gelogen noch dazu.“?
Zu meiner Schulzeit galt dies als Fehler, da wurden nur zwei mit „und“ verbundene komplette Hauptsätze durch den Beistrich geteilt; ich hätte in Ihrem Satz an Stelle des Kommas zur Betonung den Gedankenstrich gewählt. Falls der Duden diese Regel nun aufgeweicht hat, wundert mich das nicht: Diese „Instanz“ legalisiert ja jeden Mist, wenn er nur lange genug von einer sich immer weniger in deutscher Grammatik und Rechtschreibung auskennenden Menge benutzt wird.
Insbesondere denke ich hierbei auch an verbildete (mit ihren Englischkenntnissen kokettierende) Akademiker und die seuchenartige Verbreitung einer ständig wachsenden Zahl von Anglizismen, die durch maschinelle Wort-für-Wort-Übersetzung erzeugt wurden. Dieselben Personen schauen aber verächtlich auf einen herab, der etwa sagt: „Equal goes it loose!“ oder nach der Uhrzeit frägt mit „How much clock is it?“, obwohl das von ihnen selbst benutzte „Deutsch“ von vergleichbarer Qualität ist (z.B. „es macht Sinn“, „einmal mehr“, „zwischenzeitlich“, „zeitgleich“).
Sehr geehrter Herr Schug, lesen Sie dazu bitte die Kolumne https://bastiansick.de/kolumnen/zwiebelfisch/wer-sagt-vor-und-duerfe-nie-ein-komma-stehen/
Lieber Herr Sick,
da ich im öffentlichen Dienst tagtäglich mit sehr vielen Menschen unterschiedlicher Herkunft zu tun habe, möchte ich an dieser Stelle anmerken, wie sehr mir in den letzten Jahren aufgefallen ist, dass viele Menschen nicht mehr in der Lage sind, vollständige Sätze zu formulieren, geschweige denn, Sprache schriftlich einigermaßen verständlich niederzuschreiben.
Ein immenser Verfall an Sprach- und Schriftkultur befällt unser Land, den ich nicht auf die Flüchtlingspolitik zurückführe.
Ich für meinen Teil schätze Ihre Arbeit sehr, denn Sie behandeln diese Thematik humorvoll und dennoch sehr informativ.
Wenn ich aber eines anmerken dürfte:
Meiner Meinung nach besteht die Hauptproblematik darin, dass die Menschen, die Sie eigentlich mit dieser Arbeit erreichen könnten, oft nichts mehr von dem verstehen, was beschrieben wird.
Das ist der Verfall des Verständnisses für die Sprache, die wir einmal lernten.
Heutzutage herrscht leider allgemein die ‚App‘ vor.
Autoassistenten in Benachrichtigungssystemen, unsinnige Rechtschreibkorrekturprogramme, Smartphones vor der Nase getragen vervollständigen Nachrichten nicht immer sinnvoll, führen aber des öfteren zu seltsamen Sprachauswüchsen und oft zu mangelndem Verständnis, auch nur die einfachsten Sätze verständlich in Schriftform ausdrücken zu können, da gerade junge Menschen sich immer häufiger auf die Technik verlassen.
Selbst in den Medien erfährt man dieses Phänomen inzwischen häufiger.
Neulich hörte ich auf einem Nachrichtensender den Kommentator sagen:
„An dieser Brücke werden immer wieder Schuhe aufgehangen“.
Das ist die kommende Generation, gegen sie ist kein Kraut gewachsen.
Albert Einstein sagte ja einmal: „Ich bin nicht sicher, mit welchen Waffen der dritte Weltkrieg ausgetragen wird, aber im vierten Weltkrieg werden sie mit Stöcken und Steinen kämpfen.“
Dass wir uns bis dahin möglicherweise nicht mehr intelligent kommunikativ verständigen können, konnte Einstein ja damals noch nicht erahnen.
Möglicherweise ändert sich die Art der Kommunikation auch im Lauf der kommenden Zeit.
Ich persönlich denke, dass es irgendwann eine neue Art der Kommunikation geben wird, denn die Technik schreitet dahingehend immer schneller voran.
Sollte jedoch in Zukunft einmal der Strom ausfallen, dann könnte Albert Einstein möglicherweise mit seiner Prognose doch richtig gelegen haben…
Super, Frau Senger! Ich glaube, mit Ihrem Kommentar ist fast alles gesagt. Nur an einer Stelle möchte ich widersprechen: Das Problem betrifft nicht nur die kommende Generation, sondern definitiv auch Angehörige meiner Generation (mit 60 Jahren bin ich ein „alter Sack“; die in meinem Kommentar oben genannte Person war zu dem Zeitpunkt ca. 50).
Mit freundlichen Grüßen
Werner Glanert