Frage eines Lesers aus Trebbin (Brandenburg): Sehr geehrter Zwiebelfisch, der „Spiegel“ (Nr. 44/2015) titelte auf Seite 58: „Der Bundesnachrichtendienst bespitzelte Papst Johannes XXIII. – vor allem wegen dessen Reformeifers“.
Ist das korrekt? Müsste es nicht „… wegen dessen Reformeifer“ heißen – also zwar Genitiv nach „wegen“, aber ohne Genitiv-s am Ende von „Reformeifer“?
Mir käme übrigens auch „…wegen seinem Reformeifer“ richtig vor; immerhin scheint es dem Dativ hinter „wegen“ mittlerweile Duden-offiziell erlaubt, dem Genitiv sein Tod zu sein.
Hätte der „Spiegel“ nicht „wegen dessen“ geschrieben, sondern „wegen seines“, wäre klar, dass der „Reformeifer“ ein Genitiv-s bekommt: „wegen seines Reformeifers“. Warum klingt das Genitiv-s nur nach „dessen“ falsch, nach „seines“ aber nicht?
Antwort des Zwiebelfischs: Verehrter Leser, eines derart reizvollen Themas, voll des Nachrichtendienstes, des Papstes und des Reformeifers, nehme ich mich natürlich mit Freuden an. Nicht zuletzt wegen „wegen“, meiner Lieblingspräposition. Es stimmt zwar, dass man hinter „wegen“ auch den Dativ verwenden kann. Das konnte man übrigens schon immer – in den dialektgeprägten Umgangssprachen. Viele meinen, dass „wegen dem“ inzwischen zum guten Ton gehöre, aber da scheiden sich die Geister. Der Genitiv ist nach wie vor Kennzeichen einer gebildeten Sprache, derer sich Medien wie der „Spiegel“, die „FAZ“ und die „Tagesschau“ verpflichtet fühlen. Daher wird man dort auch weiterhin am Genitiv hinter „wegen“ festhalten.
Nun hat sich der „Spiegel“ in Ihrem Beispiel dazu entschlossen, nicht „wegen seines“, sondern „wegen dessen“ zu schreiben. Dies geschah, um eine Verwechslung beim Bezug auszuschließen, denn „Reformeifer“ sollte man nicht dem Bundesnachrichtendienst unterstellen können. Daran gibt es nichts auszusetzen; die Verwendung von „dessen“ ist hier völlig legitim. Aber was ist mit der Genitiv-Endung? Ist die hier richtig, oder ist sie fehl am Platz?
Ich habe versucht, mich dem Phänomen googelnderweise zu nähern. Da die Kombination aus „wegen dessen“ und „Reformeifer“ nicht sehr häufig vorkommt, habe ich es mit anderen Wörtern probiert, zum Beispiel mit dem Wort „Ruf“.
Googelt man „wegen dessen Ruf“ und „wegen dessen Rufs“, so erhält man knapp 30 Treffer für „wegen dessen Ruf“ und nur vier für „wegen dessen Rufs“ (plus zwei weitere für „wegen dessen Rufes“).
Ist die Genitiv-Markierung hier also falsch? Die Mehrheit scheint hinter „dessen“ die Beugungsendung für entbehrlich zu halten. Aber ist das richtig? Denn die Mehrheit muss nicht immer automatisch richtig liegen. Im nächsten Schritt habe ich den Duden zu Rate gezogen.
In Band 9 („Richtiges und gutes Deutsch“) ist zum Demonstrativpronomen „deren“ und „dessen“ Folgendes vermerkt:
Da deren und dessen attributive Genitive sind, haben sie keinen Einfluss auf die Deklination nachfolgender Wortgruppen. Ein nachfolgendes Adjektiv oder Partizip muss daher stark gebeugt werden:
Ich sprach mit Margot und deren nettem (nicht: netten) Mann.
Vor dem Denkmal und dessen mit Figuren verziertem (nicht: verzierten) Sockel …
Weiter heißt es im Duden:
Auch ein nachfolgendes Genitivattribut wird durch deren oder dessen nicht beeinflusst; es muss seine Beugungsendung behalten:
Er freute sich über die Auszeichnung seines Bruders und dessen Schulfreundes (nicht: Schulfreund)
Dies würde für Ihr Beispiel bedeuten, dass „wegen dessen Reformeifers“ mit Genitiv-s korrekt ist.
Und alle die 30 gegoogelten „wegen dessen Ruf“ sind somit falsch, während die wenigen, die so mutig waren, „wegen dessen Ruf(e)s“ zu schreiben, richtig liegen. Die Mehrheit hatte also nicht recht.
Dass hinter „wegen dessen …“ tatsächlich eine Genitiv-Markierung erforderlich ist, kann man sich am besten klarmachen, indem man die Reihenfolge der Wörter vertauscht und „dessen“ voranstellt: „dessen … wegen“
Ließe man nun das Genitiv-„s“ jeweils weg, käme uns das nicht richtig vor:
dessen Geld wegen, dessen Eifer wegen, dessen Fehler wegen …
Durch die Umstellung wird klar, dass es „dessen Geldes“, „dessen Eifers“ und „dessen Fehlers“ heißen muss.
Fazit: Der SPIEGEL hat korrekt gebeugt. (Was mich nicht überrascht, denn die haben nach wie vor eine gute Schlussredaktion, die solche Zweifelsfälle sehr gründlich prüft.)
Zuletzt sei mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass „deren“ und „dessen“ unveränderlich sind. Sie können nicht im Dativ zu „derem“ und „dessem“ werden. Die Formen „wegen dessem Geld“ oder „wegen dessem Fehler“ sind nicht als „neudeutsch“ oder „umgangssprachlich“ zu rechtfertigen, sondern schlicht falsch, auch wenn sie in der Behördensprache immer wieder vorkommen: