Wie man auf „bild.de“ erfahren konnte, ist eine Frau auf einem Parkplatz in Tampa (Florida) aus einem fahrenden Auto überfallen worden. Einer der Räuber versuchte ihr im Vorbeifahren die Handtasche zu entreißen. Doch sie hielt diese mit beiden Händen fest umklammert, sodass sie vom Auto zu Boden geworfen und einige Meter „mitgeschliffen“ wurde. So las und hörte man es im Beitrag auf „bild.de“.
Die Frau ist zu bedauern. Die hier getroffene Wortwahl auch. Das Verb „schleifen“ gibt es in verschiedenen Bedeutungen und mit verschiedenen Zeitformen. Wenn es „schärfen“, „glätten“ bedeutet, dann wird „schleifen“ in der Vergangenheit zu „schliff“ und als Perfektpartizip zu „geschliffen“:
Der Metzger wetzte die Messer und schliff die Klingen.
Das Holz muss vor dem Lackieren geschliffen werden.
Brillanten sind geschliffene Diamanten.
Wenn „schleifen“ allerdings „hinter sich herziehen“, „über den Boden wuchten“ bedeutet, wird es regelmäßig gebeugt:
Er schleifte die betrunkene Braut ins Bett.
Der Mörder hatte die Leiche ans Ufer geschleift.
Die Frau wurde vom Auto mitgeschleift.
Es gibt „schleifen“ sogar noch in einer dritten Bedeutung: als „dem Erdboden gleichmachen“. So wurden früher nach siegreichen Angriffen die Burgwälle, Türme und Stadtmauern des Feindes abgetragen und eingeebnet, um ihn dauerhaft schutzlos zu machen. Dieses „Schleifen“ wird ebenfalls regelmäßig gebildet:
Man schleifte die Mauern.
Die Befestigung wurde geschleift.
Doch zurück zum Schauplatz des Verbrechens: Wenngleich die Frau nicht einer Mauer gleich bis auf die Grundfesten niedergerissen wurde, so wurde sie doch geschleift – über den Boden nämlich – und nicht „geschliffen“. Wäre sie tatsächlich „geschliffen“ worden, dann müsste der Parkplatz ein Exerziergelände sein. In der Armee werden Soldaten „geschliffen“ – was sie nicht zwangsläufig zu Brillanten werden lässt.
Auf der Flucht der Räuber könnte sich folgendes Paradoxon ergeben: Angenommen, das Auto rast durch einen Haufen Glasscherben, dann werden diese Scherben dabei sowohl geschliffen als auch geschleift; einerseits vom Gummi der Reifen abgeschmirgelt, andererseits an den Reifen haftend über den Boden bewegt.
Die Verwechslung in oben zitiertem Artikel dürfte allerdings nur die wenigsten erstaunen, denn dem Boulevardjournalismus geht es bekanntermaßen nicht um eine geschliffene Sprache, sondern um die Sensation. Die Sprache wird dabei als notwendiges Übel mitgeschleift.
(c) Bastian Sick 2012
Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod, Folge 5“ erschienen.
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