Hat jemand schon mal die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass das Verhältnis zwischen Deutschland und den USA vor allem deshalb so angespannt ist, weil wir die Amerikaner einfach nicht richtig verstehen? Nicht immer hapert’s mit der Diplomatie, manchmal hapert’s einfach nur mit der Übersetzung.
Im vergangenen Monat geisterte die Aussage George W. Bushs durch den deutschen Blätterwald, der Uno solle beim Wiederaufbau des Irak „eine vitale Rolle“ zukommen. Immer und immer wieder war das zu hören, in den Fernsehnachrichten, im Radio, jeder plapperte es nach, die mysteriöse Kunde verbreitete sich über sämtliche Kanäle und Vertriebswege. „A vital role“ hatte der amerikanische Präsident der Uno anlässlich eines Treffens mit seinem britischen Waffenbruder Tony Blair in Nordirland Anfang April versprochen. Seitdem ergingen sich Kommentatoren aller Nachrichtenredaktionen der Bundesrepublik in Mutmaßungen darüber, was man unter einer „vitalen Rolle“ zu verstehen habe. Vital, das wissen wir aus der Doppelherz-Werbung, heißt so viel wie „munter“, „lebenskräftig“ und „unternehmungsfreudig“. So und nicht anders steht es auch im Fremdwörterbuch aus dem Duden-Verlag.
Was um alles in der Welt mag Bush aber mit einer „munteren Rolle“ für die Uno gemeint haben? Das klingt nach einem diplomatischen Trick. Unternehmensfreudig hört sich noch sonderbarer an – da schöpft man doch sofort Verdacht: Wiener Kongress, ick hör dir tanzen! Bush will die Uno-Vertreter im Irak auf Ausflugstouren schicken und mit einem bunten Unterhaltungsprogramm ablenken, während er still und heimlich eine neue Weltordnung etabliert. Drinnen wiegen sich die Vereinten Nationen im vitalen Dreivierteltakt, während draußen Lastwagenkolonnen die irakischen Ölreserven abtransportieren!
Da will uns doch jemand verschaukeln, das habe ich mir schon gleich gedacht, als ich das erste Mal von „präemptiver Außenpolitik“ und von „imbettierten Journalisten“ hörte. Und nun also noch eine vitale Rolle – das könnte ihm so passen, diesem texanischen Imperialisten! Nein, damit wird sich die Uno nicht zufrieden geben, nicht solange die Schröder-Administration noch ein Wörtchen mitzureden hat! Deutschland fordert nicht mehr und nicht weniger als eine maßgebliche Rolle für die Uno, und wenn Sie das nicht akzeptieren, Mister President, dann bleibt das deutsch-amerikanische Verhältnis eben weiter so, wie es ist, nämlich frosty!
Ist doch wahr, wie soll man nach all dem bösen Blut, das es gab, mit dem Amerikaner je wieder warm werden, wenn er der Uno nicht mal beim Wiederaufbau des Irak eine tragende Rolle zubilligen will? Ehe wir die amerikanische Botschaft dicht machen und das diplomatische Corps ausweisen, schlagen wir aber doch noch mal im Englisch-Wörterbuch nach. Nur zur Sicherheit. Deutsche Gründlichkeit eben. Da steht unter dem Stichwort „vital“: hochwichtig, entscheidend, maßgeblich, wesentlich, grundlegend. Na bitte, Mister President, warum denn nicht gleich so?
Zwiebelfisch
1) der -> Ukelei
2) Buchdruckersprache: ein im Satz erscheinender Buchstabe einer anderen Schrift; auch durcheinander geworfene Buchstaben verschiedener Schrifttypen.
3) Sprachpflegerische Kolumne in SPIEGEL ONLINE
(c) Bastian Sick 2003
Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ erschienen.