Sonntag, 20. Oktober 2024

Honeckers letzte(n) Tage in Deutschland

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Wenn man als Tourist die „schönsten Schlösser Bayerns“ besichtigen will, bekommt man dann „Bayerns schönsten Schlösser“ zu sehen oder „Bayerns schönste Schlösser“? Werden im Radio „Madonnas größte Erfolge“ gespielt oder „Madonnas größten Erfolge“? Alles eine Frage der Beugung!

Unlängst stellte mir eine Leserin über Facebook eine interessante Frage. Sie war auf der Internetseite der ARD über eine Ankündigung gestolpert, in der es hieß: „In seiner packenden Dokumentation ,Der Sturz‘ untersucht Eric Friedler Honeckers letzte Tage in Deutschland.“ Die Leserin wollte nun von mir wissen, ob es nicht „Honeckers letzten Tage“ gewesen seien – mit einem „n“ am Ende.

Das brachte mich ins Grübeln. Denn die Frage zu beantworten, war eine Sache. Die Antwort plausibel zu begründen, eine andere. Ersetzt man „Honeckers“ nämlich durch das Pronomen „seine“, dann heißt es „seine letzten Tage“. Warum dann also nicht auch „Honeckers letzten Tage“? Um das zu verstehen, muss man etwas tiefer im Erdreich der Grammatik graben.

Das Wort „letzte“, um das es hier geht, ist ein Eigenschaftswort (Adjektiv), und weil es vor einem Hauptwort („Tage“) steht, ist es außerdem ein Attribut. Adjektivattribute sind Eigenschaftswörter, die Hauptwörtern vorangestellt sind, so wie „blond“ in „blondes Haar“ oder „kanadisch“ in „kanadischer Honig“. Zwar können auch Hauptwörter Attribute sein, so wie „Amerika“ in „Amerikas Präsidenten“ oder „Lübeck“ in „Lübecker Marzipan“, doch um die geht es hier nicht. Hier geht es um Adjektivattribute.

Wie ein Adjektivattribut gebeugt wird, hängt zunächst vom Hauptwort ab, vor dem es steht. Das ist konsequent: Da es die Aufgabe von Attributen ist, Hauptwörter zu beschreiben, müssen sie sich auch nach diesen richten. Und da es beim Hauptwort einerseits auf das Geschlecht (Genus) ankommt, andererseits auf Einzahl oder Mehrzahl (Numerus) und schließlich auf den jeweiligen Fall (Kasus), richtet sich auch die Endung des Attributs nach diesen drei Kategorien.

Als wäre das nicht schon kompliziert genug, wird die Endung des Attributs noch von einer vierten Sache bestimmt: dem Deklinationstyp. Da gibt es einen starken Typ, einen schwachen und einen gemischten. Welcher Typ gefragt ist, hängt davon ab, was vor dem Attribut steht.

„Guter Rat ist teuer“, heißt es. Das Hauptwort „Rat“ ist männlich, steht hier in der Einzahl und im ersten Fall, und das Attribut „gut“ wird entsprechend zu „guter“. Das ist die starke Deklination. Bei der starken Deklination lässt sich das Geschlecht an der Endung des Attributs ablesen: „-er“ ist männlich (wie das männliche Pronomen „er“), „-es“ ist sächlich (wie das sächliche Pronomen „es“): „Neues Spiel, neues Glück.“

Steht vor dem Attribut aber ein Geschlechtswort (Artikel), hat dies Konsequenzen für die Endung: Aus „guter Rat“ wird „der gute Rat“ – das Attribut hat das männliche „r“ am Ende eingebüßt. Das ist die schwache Deklination. Sie wird deshalb „schwach“ genannt, weil sie keine geschlechtsspezifischen Endungen hat. Die Aufgabe der Geschlechtsmarkierung hat sie an den Artikel abgetreten. Und so genügt es nach sprachlicher Logik auch: Wenn „der“, „die“ oder „das“ davorsteht, braucht das Attribut nicht zusätzlich noch durch seine Endung anzuzeigen, mit welchem Geschlecht man es zu tun hat.

Und dann gibt es noch die gemischte Deklination. Sie steht hinter unbestimmtem Artikel („ein“, „eine“, „ein“), und weil dieser unbestimmte Artikel nicht immer eine klare Geschlechtszuweisung zulässt (denn „ein“ kann sowohl männlich als auch sächlich sein), ist die gemischte Deklination teils schwach und teils stark.

Die schwache und die gemischte Deklination kommen nur zum Einsatz, wenn vor dem Attribut ein Geschlechtswort steht. Oder ein besitzanzeigendes Fürwort (Possessivpronomen) wie „mein“, „dein“ und „sein“. Das ist der Fall bei „die letzten Tage“ und bei „seine letzten Tage“, aber nicht bei „Honeckers letzte Tage“, denn „Honecker“ ist weder ein Artikel noch ein Pronomen. „Honecker“ ist ein Name. Und hinter Namen sieht die Grammatik starke Beugung vor.

Die besten Weine Frankreichs sind „Frankreichs beste Weine“, die gesammelten Werke Loriots sind „Loriots gesammelte Werke“, und die vielen Facebook-Freunde der Kanzlerin sind „Merkels viele Facebook-Freunde“.

Und so fasst man die letzten Tage Honeckers in Deutschland unter der Überschrift „Honeckers letzte Tage in Deutschland“ zusammen, sowohl im Nominativ als auch im Akkusativ, wenn es heißt: „Friedler untersucht Honeckers letzte Tage in Deutschland.“

Stark gebeugt wird auch hinter Hauptwörtern: Das Andersen-Märchen vom leichtgläubigen Herrscher, der auf zwei raffinierte Betrüger hereinfällt, heißt „Des Kaisers neue Kleider“ und nicht „Des Kaisers neuen Kleider“. Und damit haben wir der Grammatik unergründliche Tiefen genug durchgraben.

Vergangene Nacht hatte ich einen Traum. Ich saß in einer Gefängniszelle, meine Hände waren gefesselt, und es sah nicht gut aus für mich. Ein Mann mit schütterem Haar und einer dicken Hornbrille betrat den Raum. „Noch irgendwelche letzte Worte?“, fragte er mich in heiserem Tonfall. „Letzten!“, stieß ich hervor. „Das Attribut wird schwach gebeugt!“ – „Schwäche können wir uns nicht leisten!“, krächzte der Mann mit der dicken Brille zurück. Ich entgegnete trotzig: „Sie haben den Willen der Menschen nicht beugen können, und Sie können auch grammatisch nicht richtig beugen! Sie werden nicht weit kommen!“ – „Und ob!“, ereiferte sich der Mann, „ich habe schließlich noch Margots sämtlichen Devisen!“ – „Sämtliche!“, stellte ich klar und fügte erklärend hinzu: „Hinter Margot wird stark gebeugt!“ – „Ich denke ja nicht dran!“, zeterte der Mann und wirkte sehr aufgebracht: „Margot beuge ich mich kein bisschen mehr! Die Zeiten sind endgültig vorbei!“

(c) Bastian Sick 2012

Tabelle: Beugung von Adjektivattributen

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Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod, Folge 5“ erschienen.

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