Samstag, 26. Oktober 2024

Im Zweifelsfall für den Präsidenten

„Schon gehört? Wir haben einen neuen Präsident!“, ruft mir meine Nachbarin Frau Jackmann freudig im Treppenhaus entgegen. „-ten!“ erwidere ich nicht minder gut gelaunt. Auf ihren fragenden Blick hin vervollständige ich meine Antwort: „Wir haben einen neuen Präsidenten. Der Präsident beugt sich im Akkusativ zum Präsidenten!“ Frau Jackmann kontert mit einem Schmunzeln: „Das mag vielleicht für den Neuen gelten, aber bestimmt nicht für Trump. Der will sich nämlich nicht beugen lassen, schon gar nicht vom Akkusativ!“ – „Ja, er hat deutlich erklärt, dass er die Wahl anfechten wird. Aber für ihn gelten dieselben Regeln wie für alle anderen.“

Und die Regel, mit der wir es hier zu tun haben, betrifft die Deklination von Hauptwörtern. Dabei wird nicht nur zwischen männlichem, weiblichem und sächlichem Geschlecht unterschieden, sondern auch zwischen starker und schwacher Deklination. Starke männliche und sächliche Hauptwörter erkennt man daran, dass sie im Genitiv ein „s“ bekommen. Die schwachen bekommen ein „en“, und das nicht nur im Genitiv, sondern auch im Dativ und im Akkusativ. Ironischerweise gehört ausgerechnet das Wort „Präsident“ zur Gruppe der schwachen männlichen Hauptwörter. Genauso wie der Student, der Astronaut und der Praktikant, die im Falles eines zweiten, dritten oder vierten Falles zum Studenten, Astronauten und Praktikanten werden.

Zu dieser Gruppe, die man fachsprachlich auch als „N-Deklination“ bezeichnet, gehören neben zahlreichen Personenbezeichnungen auch einige Tiere. Ein berühmtes Beispiel ist der Bär, der, korrekt gebeugt, zum Bären wird. Manch einer mag sich vielleicht noch an Bruno erinnern, der im Jahr 2006 mehrmals die deutsche Grenze überschritt und von der Politik als „Problembär“ eingestuft wurde. Der damalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber sprach von ihm gern als „dem Problembär“, was man wohl mit bairischem Dialekt erklären kann, der es mit der Beugung ohnehin nicht so genau nimmt. Außerdem wollte Stoiber sicherlich niemandem einen Bären aufbinden, schon gar nicht einen Problembären. Bruno wurde damals übrigens von Jägern erschossen. Der Bär war tot, das Problem mit der Beugung aber blieb.        

Die Neigung, bei schwach gebeugten männlichen Hauptwörtern die Endungen im Dativ und im Akkusativ einfach unter den Tisch fallen zu lassen, ist allerdings nicht regional beschränkt. Sätze wie „Dem Patient geht’s gut“ und „Stimmen Sie für unseren Kandidat“ sind überall zu hören. Die Unterlassung der Deklination ist umgangssprachlich weit verbreitet, standardsprachlich jedoch gilt sie als falsch. In den Nachrichten sollte daher stets darauf geachtet werden, aus einer Mücke keinen Elefant zu machen, sondern – wenn schon – einen Elefanten. Und aus einem Präsidenten keinen Präsident. Das wäre sonst ein unglücklicher Präsidentsfall.  

„Das mit dem Präsidenten werde ich mir merken“, sagt Frau Jackmann. „Wenn ich schon neben einem Autoren wohne …“ – „Neben einem Autor“, verbessere ich erneut. „Der Autor ist ein starkes Hauptwort.“* – „Ach ne“, sagt Frau Jackmann verblüfft. „Der Präsident ist schwach, aber Sie als Autor sind stark? Na, dann können Sie mir gleich mal helfen, die Einkäufe raufzutragen!“  

© Bastian Sick 2020

* Das Wort »Autor« gehört streng genommen zur gemischten Deklination, die gibt es neben starker und schwacher Deklination nämlich auch noch, aber damit wollte ich meine Nachbarin nicht verwirren.


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5 Kommentare

  1. In letzter Zeit ist mir in der Berichterstattung auf häufiger der Begriff Präsidentenwahl aufgefallen. Dabei wird ja nicht zwingend nur ein männlicher Präsident gewählt.
    Mir erscheint Präsidentschaftswahl eine geeignetere Formulierung zu sein, weil es sich auf das Amt und nicht die einzelne Person bezieht.

    • Hallo, Jonas,
      Kommentare wie der von Ihnen freuen mich besonders, weil sie zeigen, wie wir mit konsequentem Hinterfragen von alltäglichem Sprachgebrauch und etwas Nachdenken über das inhaltlich Gemeinte zu einer sinnvollen Anwendung unserer Muttersprache gelangen können. „Präsidentschaftswahl“ ist zwar noch immer nicht geschlechtsneutral (enthält den nur männlichen Wortbestandteil Präsident), aber wir können ja auch ein wenig weiterspielen mit der Sprache. Was bedeutet „Präsident“? Laut woxikon.de ein Staatsoberhaupt (sächlich; Quelle: https://synonyme.woxikon.de/synonyme/pr%C3%A4sident.php); wie wäre es mit „Staatsleitungswahl“ (nicht „~wahlen“, denn es ist jeweils nur eine Wahl)? Allerdings ist „Präsident“ in vielen Staaten ein feststehender Begriff/Titel/Eigenname, was der Phantasie und den Wort- bzw. Sprachspielen Grenzen setzt. Vielleicht haben ja andere Interessierte hier im Forum noch weitere Ideen dazu. Was meinen Sie dazu, Herr Sick?
      Viele Grüße von
      Uli Wer

  2. Durch einen Freund wurde ich auf Ihre Kolumne aufmerksam und bin total begeistert. Ich kann nur sagen, Sie schreiben großartig! Ich werde alles sehr aufmerksam und gespannt verfolgen.

  3. Hat sich da etwa der Fehlerteufel eingeschlichen?

    „Genauso wie der Student, der Astronaut und der Praktikant, die im Falles eines zweiten, dritten oder vierten Falles zum Studenten, Astronauten und Praktikanten werden.“

    Muss das nicht heissen: „… die im Falle eines zweiten, …“ ??

    PS: Ich habe keine deutsche Tastatur und muss daher Schweizer Rechtschreibung anwenden

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