Der Deutsche an sich hat eine unerklärliche Vorliebe für Häkchen. Aus lauter Begeisterung setzt er sie auch gerne dort, wo sie nichts zu suchen haben. Falsche Kommas, sind an der Tagesordnung. Auch vor Apostroph’en ist niemand mehr sicher. Aber es kommt noch dicker: Jetzt hat den Deutschen die „Anführungswut“ gepackt – und es gibt „kein Entrinnen“ mehr!
Als ich kürzlich am Bahnhof vorbeiging, fiel mein Blick auf ein Schild, das an einer Mauer angebracht war:
Ich blieb ruckartig stehen, wandte den Kopf und sah mir das Schild noch einmal ganz genau an. Ich hatte mich nicht getäuscht, dort stand tatsächlich „Hier bitte keine Fahrräder abstellen“ – und zwar genau so, wie Sie es hier sehen: mit An- und Abführungszeichen. Es handelte sich demnach offenbar um ein Zitat, denn Zitate werden in Anführungszeichen wiedergegeben. Also suchte ich nach einer Quellenangabe, nach dem Namen des Urhebers, doch da stand nichts weiter. Irgendwer musste diesen Spruch aber geprägt haben. Vielleicht war er zu unbedeutend, um auf dem Schild erwähnt zu werden? Aber warum wurde er dann überhaupt zitiert? Die Sache ließ sich leider nicht mehr aufklären.
Ein paar Tage später entdeckte ich in einem Kaufhaus ein Schild, auf dem folgender Hinweis stand: Gerne packen wir Ihre „gekauften Artikel“ in unserer Geschenkabteilung ein. Auf ein solches Schild muss man zweimal schauen; denn die An- und Abführungszeichen rund um die „gekauften Artikel“ haben eine irritierende Wirkung. So wie ein Augenzwinkern. Wenn ich mir bei der Kleideranprobe einen Pullover überziehe, der mir ein paar Nummern zu groß ist, und der Verkäufer sagt: „Das macht nichts, da wachsen Sie noch rein!“, und dabei zuckt er heftig mit dem linken Auge, dann weiß ich: Das war nicht so gemeint, das war nur kleines Späßchen. Genauso fühlte ich mich von den Gänsefüßchen bei den „gekauften Artikeln“ angezwinkert. So als wollte das Schild mir sagen: „Na, alter Langfinger, haste wieder was mitgehen lassen?“ Möglicherweise sollte dieses Schild gar kein Hinweis auf den Verpackungsservice sein, sondern war am Ende ein äußerst subtiles Mittel zur Verhütung von Ladendiebstählen!
Das Erlebnis im Kaufhaus erinnerte mich an eine Beobachtung, von der Freunde mir berichtetet hatten. Auf irgendeinem Flughafen war ihnen ein Schild aufgefallen, das folgende Aufschrift trug: Bitte lassen Sie Ihr „Gepäck“ nicht unbeaufsichtigt! Die Häkchen vor und hinter dem Wort Gepäck verliehen dem Ganzen einen geradezu empörend arroganten Unterton. Meine Freunde lasen unwillkürlich zwischen den Zeilen heraus: „Ihre schäbigen Koffer verdienen zwar kaum die Bezeichnung Gepäck, aber lassen Sie sie trotzdem nicht unbeaufsichtigt.“
Die Mode des gedankenlosen Setzens von Anführungszeichen greift immer wilder um sich. Dabei wird der gewünschte Effekt, nämlich Betonung, längst nicht immer erreicht. Oft ist eher das Gegenteil der Fall, und die Empfehlung schlägt in Abschreckung um. Wenn ich im Schwimmbad eines Hotels den Hinweis lese:
dann frage ich mich doch unweigerlich, was ich vom Frischegrad dieser Handtücher zu halten habe – und benutze lieber mein gebrauchtes.
Geradezu beängstigend wird es, wenn ich an Bord eines Flugzeugs in einem Prospekt lesen muss: Wir wünschen Ihnen einen „guten Flug“. Für mich liest sich das nämlich so: „Hallo, lieber Fluggast, Sie wissen ja, der Ruf unserer Gesellschaft ist nicht gerade der Beste, also erwarten Sie nicht zu viel. Beschwerden bitte direkt in die dafür vorgesehene Spucktüte! Und jetzt heißt es: Anschnallen und beten!“
Anführungszeichen, umgangssprachlich auch Gänsefüßchen genannt, erfüllen vier unterschiedliche Funktionen.
Erstens dienen sie der Ein- und Ausleitung direkter Rede:
•„Das hätten wir geschafft!“, rief er.
• „Ich heiße Sabine“, sagte Sabine, „und wie heißt du?“
Zweitens dienen Anführungszeichen dazu, Zitate kenntlich zu machen:
• Der Ausspruch „Erlaubt ist, was gefällt“ stammt von Goethe.
• In der Bibel steht: „Du sollst nicht töten.“
Drittens dienen Anführungszeichen der Hervorhebung einzelner Wörter oder Wortgruppen:
• Das Wort „Standard“ schreibt sich am Ende mit „d“.
• Unter dem Stichwort „Liebe“ findet man mehr als tausend Einträge.
In Anführungszeichen stehen Namen von Zeitungen, Zeitschriften, Buchtiteln, Kinofilmen, Fernsehsendungen, Musikstücken, Kunstobjekten und Bühnenwerken, um dem Leser zu signalisieren: „Achtung, dies ist ein Name!“ Mozarts „Figaro“ ist eben nicht der Mann, der Mozart die Haare frisierte, sondern eine Mozartoper. Und wenn man liest: Er sah jeden Montag als erstes in den „Spiegel“, dann weiß man, dass damit nicht der Badezimmerspiegel, sondern das Nachrichtenmagazin gemeint ist. Ich komme übrigens jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit am „Atlantik“ vorbei. Stünden die Anführungszeichen nicht da, so könnte man jetzt denken, ich wohnte am Meer. Das „Atlantik“ ist aber ein Hotel. Auch Namen von Hotels, Schiffen und Gaststätten können in Anführungszeichen stehen.
Viertens dienen Anführungszeichen dazu, um Ironie, eine Wortspielerei oder eine Distanzierung kenntlich zu machen. Letzteres ist zum Beispiel häufig bei der Verwendung von Begriffen der Fall, die historisch belastet sind oder einen ethisch verwerflichen Vorgang in schönfärberischer Weise beschreiben, so wie das Wort „Säuberung“, das in Wahrheit oft eine zutiefst schmutzige, wenn nicht gar blutige Angelegenheit bedeutet. Die „Bild“-Zeitung hat die Abkürzung DDR stets in Anführungszeichen gesetzt, um deutlich zu machen, dass sie die DDR nicht anerkannte.
Anführungszeichen weisen auf das anders Gemeinte hin, sie dienen der Hervorhebung, aber nicht der Betonung. Wer ein einzelnes Wort mit typografischen Mitteln stärker betonen will, dem stehen dafür zahlreiche andere Möglichkeiten zur Verfügung. Innerhalb eines Textes kann man das Wort unterstreichen, man kann es fetten,
g e s p e r r t schreiben oder kursiv setzen. Auf Einladungen, in Prospekten oder Schildern kann man außerdem entweder eine andere Farbe oder Schriftart verwenden oder das Wort einfach größer schreiben. Es gibt viele geeignete Mittel und Wege, ein Wort zu betonen. Die Verwendung von „Anführungszeichen“ gehört nicht dazu.
Eine Betonung soll ja erreichen, dass einem das Wort in seiner primären Bedeutung sofort ins Auge springt. Anführungszeichen aber lenken die Aufmerksamkeit von der primären Bedeutung auf eine übertragene Bedeutung. Sie sind ein typografisches Augenzwinkern. Wer den Autor dieses Buches als einen Mann für alle Fälle bezeichnet und das Wort „Fälle“ dabei in Anführungszeichen setzt, macht damit klar, dass es sich um ein Wortspiel handelt und mit den Fällen keine Gelegenheiten, sondern Nominativ, Genitiv, Dativ und Akkusativ gemeint sind.
Anführungszeichen stehen also immer dann, wenn etwas nicht in seiner wörtlichen Bedeutung gemeint ist. Was aber könnte mit einem Schnitzel „Wiener Art“ anderes gemeint sein als ein Schnitzel Wiener Art? Wo verbirgt sich das Wortspiel in der Aussage Unsere Pizza ist garantiert „ofenfrisch“? Was ist so eindeutig zweideutig an jenem Lokal, das als Der älteste “Gasthof“ Rügens ausgewiesen wird? Wovon distanzieren sich die Betreiber des Einkaufszentrums, das Nur „2 Minuten Fußweg“ vom Bahnhof gelegen sein soll? Und was verbirgt sich tatsächlich hinter der Tür, durch die Leckeres aus unserer „Küche“ getragen wird? Ist es als ein Indiz für gestiegenen Marihuanakonsum zu werten, wenn Kantinen darauf hinweisen, dass „Rauchen“ nicht gestattet sei?
Die Anführungswut ist kaum noch aufzuhalten. Im Supermarkt werden Orangen als „Orangen“ angeboten (sind es in Wahrheit mutierte Clementinen?), und der Elektrohändler hat ein Schild ins Fenster gehängt, auf dem herabgesetzte DVD-Geräte als „Neuware“ angepriesen werden. So ein Schelm!
Nichts bringt den Unsinn mit den Anführungszeichen besser auf den Punkt als jene Zeichnung des Karikaturisten Martin Perscheid, auf der ein Mann vor einem Schild mit der Aufschrift „Frische Brötchen“ steht und verwundert ob der An- und Abführungszeichen denkt: „Ein Apostroph reicht jetzt wohl nicht mehr.“
(c) Bastian Sick 2005
Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod, Folge 2“ erschienen.
Weitere Beispiele im Fotoalbum: In „Gänsefüßchen“
Zu dem Thema habe ich meine ganz eigene Theorie. Die Häkchenliebe der Deutschen scheint nur ein heimlicher Neid auf Franzosen, Tschechen und viele andere Völker zu sein, die ihre Texte mit Myriaden kleiner Dékôzeîçhèn zu verzieren pflegen. So was haben wir im Deutschen nicht, und so entsteht Neid, manchmal gar Haksucht.
Was wir hingegen haben, sind schöne Pünktchen in Hülle ünd … Entschuldigung: und Fülle. – Haben Sie irgendwo mal einen Deutschen gesehen, der seinen Text mit Tonnen überflüssiger Punkte überlädt? Eben! Haben wir gar nicht nötig.
Daher mein Tipp: Fühlen Sie sich als deutscher Muttersprachler hakentechnisch diskriminiert, quasi abgehakt, dann machen Sie mal ’nen Punkt. Denn Haken könn‘ Se haken!