Ein guter Rat aus alten Zeiten lautet: Fang nicht zu viel auf einmal an, versuche lieber, in einer Sache wirklich gut zu sein. Dies scheint in der Geschäftswelt von heute niemanden mehr zu interessieren. Warum etwas Gutes bieten, wenn man immer noch mehr bieten kann? Egal, womit man handelt: Das gewisse Mehr darf dabei nicht fehlen!
Eines Sonntagnachmittags durfte ich auf Felix, den Sohn meiner Freundin Alexandra, aufpassen. Felix war gerade neun Jahre alt geworden und lernte begeistert seine ersten englischen Wörter. Seine Mutter hatte uns eine Disney-DVD bereitgelegt, und so machten wir es uns auf dem Sofa gemütlich. Bevor der Film startete, erschien zunächst das Logo, begleitet von einer Feenstaub versprühenden Elfe und einem dreiteiligen Motto. „Muuwies, Mädschick …“, las Felix, und da er nicht weiterkam, ergänzte ich: „and more“. Woraufhin er wissen wollte: „Was ist moar?“ – „Das ist Englisch und heißt mehr!“, erklärte ich. „Filme, Magie und mehr wird uns hier versprochen. Was aber nicht heißen soll, dass der DVD noch ein Extra beiliegen würde wie zum Beispiel eine Tafel Schokolade.“
Während des Films saß Felix wie gebannt vor dem Bildschirm, auch ich selbst war gefesselt, Walt Disneys Magie wirkte auf uns beide gleichermaßen. Es bedurfte keines „and more“, um diesen Sonntagnachmittag noch verzauberter werden zu lassen.
In der geschäftigen Welt des Handels und der Dienstleistungen hingegen scheint heute niemand auf den Zusatz „und mehr“ verzichten zu wollen. Seit in den neunziger Jahren das Vielfliegerprogramm „Miles & More“ vom Boden abhob, fand die Masche Tausende Nachahmer. Modeboutiquen beschränken sich nicht mehr nur auf Mode, sondern verkaufen „Mode und mehr“. Friseure waschen und schneiden „Haare und mehr“, und emsige Kosmetikerinnen lackieren „Nägel und mehr“, manche sogar auf Englisch: „Nails and More“.
Reiseveranstalter locken mit „Afrika und mehr“, wobei die meisten Reisewilligen ja schon mit Afrika oder weniger zufrieden wären. Eine Fachmesse in Nordrhein-Westfalen nennt sich „Wäsche und mehr“ und erweckt mit dem „und mehr“ bei einigen Besuchern möglicherweise falsche erotische Erwartungen. Ein medizinisches Internetforum hat die Adresse www.schilddruese-und-mehr.de. Des Weiteren gibt es einen Reinigungsdienst, der sich „Putzen und mehr“ nennt, einen Partyservice namens „Essen und mehr“ und eine Imbissbude, die „Pommes & mehr“ heißt. Ein bisschen „mehr“ muss heute sein! Ohne „mehr“ am Leibe steht man als Geschäftsinhaber geradezu nackt da.
Was aber ist das Plus beim „und mehr“? Worin besteht der tatsächliche Zusatznutzen? Braucht der Kunde überhaupt ein „und mehr“?
Wenn ich auf dem Weg zu einer Freundin noch rasch einen Strauß Blumen besorgen will, interessiert es mich nicht, ob der Laden, der sich „Blumen & mehr“ nennt, außer Blumen noch etwas anderes führt. Was hab ich von dem „& mehr“, wenn die entscheidende Ware, nämlich rote Rosen, ausverkauft ist? An einen Keine-Rosen-mehr-da-Strauß hänge ich jedenfalls auch keinen „und mehr“-Artikel.
Vielleicht diente das „und mehr“ anfänglich mal der Aufwertung. Inzwischen aber, so scheint es, dient es häufiger als Ausrede dafür, kein wirklicher Spezialist zu sein. Von einem Verkäufer, der neben Elektronik noch so viel „mehr“ zu bieten hat, darf schließlich niemand verlangen, dass er sich mit Technik auskennt. Wenn’s der falsche Adapter war, den er Ihnen verkauft hat, dann war das nicht seine, sondern Ihre Schuld. Hätten Sie stattdessen mal lieber was aus der gut sortierten „und mehr“-Abteilung gekauft!
Wenn eine Fleischerei „Fleischwaren, Würstchen & mehr“ anpreist, dann will ich als Verbraucher gar nicht wissen, was mit „und mehr“ gemeint ist. Die Dreiergruppe beschreibt doch offensichtlich eine Abwärtskurve: Würstchen stehen qualitativ hinter Fleischwaren. Was also kann danach noch kommen? Knochen und Innereien?
Ein Fachgeschäft in Fulda führt laut Eigenwerbung „Hörgeräte und mehr“, und hier bekommt man als Kunde für das „und mehr“ die Erklärung gleich mitgeliefert. In der Unterzeile nämlich heißt es: „Wer besser hört, hat mehr vom Leben“. Das ist ebenso richtig wie lustig, somit also lustig und mehr.
Da wir ja alle gern mit Worten spielen, war es unvermeidlich, dass Geschäftstreibende in Küstennähe das trockene „und mehr“ aufgriffen und in ein feuchtes „und Meer“ verwandelten. So inserieren zahlreiche Pensionen an Nord- und Ostseeküste heute mit „Urlaub und Meer“. Ein Fischgerichtehersteller hat sich „Lachs und Meer“ als Markennamen registrieren lassen, und ein Café auf dem Darß verspricht gar „Meer und mehr“. Da kennt die Witzigkeit kein Halten mehr.
In den seltensten Fällen bedeutet ein Mehr an Worten auch ein Mehr an Qualität. Nicht zu Unrecht lautet eine bekannte Redensart: Weniger ist mehr! Und damit soll es an dieser Stelle auch genug sein. Es gibt schließlich noch mehr, über das sich zu schreiben lohnt! Ich empfehle Ihnen daher schon heute mein nächstes Buch mit dem Titel: „Dativ, Genitiv & mehr“.
(c) Bastian Sick 2012
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Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod, Folge 5“ erschienen.