„Klimakonferenz droht, im Chaos zu versinken“, titelte ein Online-Magazin im Dezember 2011. Das war einerseits erschreckend, andererseits ein willkommener Anlass, darauf hinzuweisen, dass das Verb „drohen“ unterschiedliche Bedeutungen mit jeweils unterschiedlichen Konsequenzen für die Zeichensetzung hat.
„Abendrot, Schönwetterbot‘ – Morgenrot, schlecht Wetter droht.“ Diese gereimte Bauernregel habe ich schon als Kind gelernt – und auch, dass das Wort „drohen“ verschiedene Bedeutungen haben kann. Nicht immer musste es dabei gleich um etwas so Schlimmes wie Fernsehverbot oder Taschengeldentzug gehen.
Zum einen gibt es „drohen“ in der Bedeutung „bevorstehen“, „heraufziehen“, „im Verzug sein“. Dieses „drohen“ ist unpersönlich, es ist nicht an Menschen, sondern an Ereignisse geknüpft:
Gefahr droht!
Am Wochenende drohen Hagelschauer.
Uns allen droht das baldige Ende!
Zum anderen kann „drohen“ sehr persönlich sein: Jemand droht einem anderen damit, etwas Bestimmtes zu tun oder zu unterlassen. In diesem Fall bedeutet „drohen“ so viel wie „eine Drohung aussprechen“, „ankündigen“, „einschüchtern“. Der Inhalt der Drohung befindet sich meistens in einem abhängigen Infinitivsatz, der durch ein Komma abgetrennt wird:
Er droht ihr, das Haushaltsgeld zu kürzen.
Die Kanzlerin drohte, sich nicht zur Wiederwahl zu stellen.
Dieses „drohen“ lässt sich immer daran erkennen, dass man ein „damit“ einfügen könnte:
Er droht ihr damit, das Haushaltsgeld zu kürzen.
Die Kanzlerin drohte damit, sich nicht zur Wiederwahl zu stellen.
Neben „bevorstehen“ und „androhen“ hat „drohen“ aber noch eine dritte Bedeutung, nämlich „Gefahr laufen“ oder „in Gefahr sein“. In diesem Fall, der dem ersten „drohen“ sehr ähnlich ist, wird keine Drohung ausgesprochen, sondern eine Bedrohung aufgezeigt. Damit die Bedrohung nicht mit einer Drohung verwechselt werden kann, folgt ihr kein Komma:
Der Gesetzentwurf droht am Widerstand der Opposition zu scheitern.
Die Regierung droht in der Gunst der Wähler zu sinken.
Hier lässt sich auch kein rückbezügliches „damit“ einfügen. So wäre es jedenfalls nicht sinnvoll:
Der Gesetzentwurf droht damit, am Widerstand der Opposition zu scheitern.
Die Regierung droht damit, in der Gunst der Wähler zu sinken.
Dieses dritte „drohen“ war zweifellos gemeint, als über den Uno-Gipfel in Durban geschrieben wurde: „Klimakonferenz droht, im Chaos zu versinken“. Denn die Konferenz drohte nicht irgendjemandem mit irgendetwas, sondern wurde ihrerseits bedroht, und zwar vom Chaos, genauer gesagt dem Darin-Versinken. Folglich war das Komma hinter „droht“ überflüssig. Einigen Lesern drohte daraufhin bestimmt der Kragen zu platzen, und ich kann mir vorstellen, dass das E-Mail-Postfach der Redaktion überzulaufen drohte. In einer korrigierten Fassung konnte man wenig später dann lesen: „Klimakonferenz droht im Chaos zu versinken“.
Dieses dritte „drohen“ hat nicht nur eine andere Bedeutung, sondern auch eine andere grammatische Funktion: Es nimmt die Rolle eines Hilfsverbs ein. Weil es aber hauptberuflich ein Vollverb ist und die Rolle als Hilfsverb nur nebenbei übernimmt, spricht man hier von einem „unechten Hilfsverb“. Es gibt mehrere solcher unechten Hilfsverben, zum Beispiel „pflegen“, „scheinen“ und „versprechen“:
Er pflegte seinen Tee mit Milch zu trinken.
Die Veranstaltung schien gut besucht zu sein.
Der Artikel versprach ein Knüller zu werden. (Aber: Der Redakteur versprach, einen Knüller zu schreiben.)
Auch in diesen Fällen steht kein Komma, da die Infinitivgruppen (Tee zu trinken, gut besucht zu sein, ein Knüller zu werden) unmittelbar vom Verb abhängig sind und nicht den Wert eines Satzes haben. Wem das zu abstrakt erscheint, für den ließe sich das Droh-Verhalten auf eine Bauernregel bringen:
Wenn jemand dir mit etwas droht,
tut Komma not.
Wo etwas zu passieren droht,
herrscht Kommaverbot!
(c) Bastian Sick 2011
Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod, Folge 5“ erschienen.
ich bin allerdings der Meinung, dass es das „dritte drohen“ in der Form eigentlich nicht gibt, es hat sich nach und nach in die Sprache eingeschlichen. Der Satz „Der Gesetzentwurf droht am Widerstand der Opposition zu scheitern“ müsste eigentlich heißen: „Dem Gesetzentwurf droht das Scheitern am Widerstand der Opposition.“
Das klingt zwar gestelzt und müsste in dem Fall sowieso anders formuliert werden ohne zu viele Nomen, aber so wäre es korrekt. „Drohen“ ist immer etwas, was einem passiert, also „IHM“ droht was. Das andere ist nur neumodisches Bla bla wie so oft. Das Wort drohen ist allzu beliebt in der Zeitungssprache, weil es so schön dramatisch klingt. Genauso kann man sagen „Der Gesetzentwurf wird wohl am Widerstand der Opposition scheitern“ oder „Der Gesetzentwurf scheitert vermutlich am Widerstand der Opposition“.