Sonntag, 20. Oktober 2024

Nein, zweimal nein

Minus mal Minus ergibt Plus, so lehrt es die Mathematik. Nein mal Nein ergibt aber längst nicht immer Ja. Deshalb wird dringend davor gewarnt, den Sinn durch doppelte Verneinungen nicht ins Gegenteil zu verdrehen.

„Ich liebe die Sprache, weil sie logisch ist!“, schwärmte mir vor kurzem ein Linguistikstudent vor, und ich fragte mich, an welcher Universität er so etwas gelernt haben könnte. Da hätte ich nämlich auch gern studiert. Tatsache ist, dass Sprache und Logik zwei unterschiedliche Disziplinen sind. Wer Sprache ausschließlich mit logischen Kriterien zu erklären versucht, ist zum Scheitern verurteilt. (Zum Trost sei gesagt: Es scheitern auch genügend andere an ihr.) Letztens sah ich an einem Kiosk ein Schild mit der Aufschrift: „Keine Annahme von Leergut zu keiner Zeit.“ Für mich war klar: Der Kioskbesitzer hat die Schnauze voll, für die Dosensammler in seinem Viertel den Pfandautomaten zu spielen. Daher verweigert er die Leergutannahme, und zwar ausnahmslos. Ein Logiker indes könnte daraus schließen, dass Leergut hier zu jeder Zeit angenommen wird.

„Nanu, heute so schick in Schale?“, wundert sich meine Nachbarin Frau Jackmann, als sie mich aus meiner Wohnung kommen sieht. „Ich muss zu einem Fernsehauftritt“, sage ich, „es geht mal wieder um die Rettung der deutschen Sprache!“ – „Na, dann machen Sie mal bloß keinen falschen Fehler!“, sagt Frau Jackmann. Vor falschen Fehlern habe ich eigentlich keine Angst, eher vor echten.

Zu früheren Zeiten wurde das Prinzip der doppelten Verneinung in der deutschen Sprache noch häufig angewandt. Als der preußische Generalleutnant Blücher 1806 in meinem ostholsteinischen Heimatdorf Ratekau vor dem französischen Marschall Bernadotte kapitulierte, schrieb er unter die Urkunde: „Ich kapithullire, weil ich kein Brot und keine Muhnitsion nicht mehr habe.“ Weder die „Kapithullatsion“ noch die doppelte Verneinung wurden ihm als Fehler ausgelegt, denn Blücher wurde später sogar noch zum Generalfeldmarschall befördert und in den Fürstenstand erhoben.

Heute gilt die doppelte Verneinung, wenn nicht als falsch, so mindestens als komisch oder gespreizt. In vielen Dialekten aber erfreut sie sich nach wie vor großer Beliebtheit. Was dem Franzosen sein „ne … pas“, das ist dem Bayern sein „ka … net“. So heißt zum Beispiel „Das interessiert doch niemanden“ auf Bairisch: „Dös interessiert doch ka Sau net!“ Im Verneinen sind die Bayern übrigens Weltmeister, denn sie bringen es sogar auf eine fünffache Verneinung. Ein Leser berichtete mir von einer Unterhaltung mit einem bayerischen Bergbauern, der über die große Armut klagte, in der er aufgewachsen war: „Koana hot niamals net koa Geld net g’habt.“ Da war also definitiv nichts zu holen gewesen.

Aber nicht nur die mehrfache Verneinung hat es in sich. Schon ein einfaches „nicht“ kann uns schon Probleme bereiten – zum Beispiel in einem Nebensatz oder in einer Frage. Bei irgendeiner Gelegenheit frage ich meinen Freund Henry: „Du hast nicht zufällig 50 Cent klein?“, und er erwidert: „Ja!“ Erwartungsvoll blicke ich ihn an, aber Henry zuckt nur mit den Schultern. „Also, was ist denn jetzt“, frage ich, „hast du nun 50 Cent oder nicht?“ – „Ich habe keine 50 Cent“, erwidert Henry gelassen. „Und wieso sagst du dann erst Ja?“, schnaube ich entrüstet. „Du hast mich gefragt, ob ich nicht zufällig 50 Cent klein habe. Was der Zufall damit zu tun haben soll, lasse ich mal dahingestellt. Ich konnte diese Frage nur mit Ja beantworten, weil das Nicht-Haben zutrifft, da sich in meinen Taschen zurzeit keine 50-Cent-Münze befindet. Hätte ich die Frage mit Nein beantwortet, hieße das nach den Gesetzen der Logik, dass das Nicht-Haben unzutreffend ist, ich also sehr wohl 50 Cent bei mir habe. Dann hätte ich meinen besten Freund belogen!“ – „Dein bester Freund wird dich irgendwann zu einem Arzt schicken müssen“, stöhne ich, „jeder normale Mensch hätte in deiner Situation mit Nein geantwortet!“ – „Mag sein“, sagt Henry, „logisch gesehen hätte er aber Ja gemeint. Ich gehöre nun mal zu denen, die sagen, was sie meinen.“ – „Mit Logik kommt man hier nicht weiter. Die logische Antwort mag Ja lauten, doch die gefühlte Wahrheit lautet Nein!“, erwidere ich. Henry zieht erstaunt die rechte Augenbraue hoch: „Gefühlte Wahrheit? Sind das die Kriterien eines Sprachpflegers? In einem Punkt hast du allerdings Recht: Von mehr als 50 Prozent der Weltbevölkerung weiß man, dass sie, wenn sie Nein sagen, in Wahrheit Ja meinen.“ – „Welche 50 Prozent meinst du?“, frage ich. Zur Erklärung spielt Henry mir ein kleines Zwei-Personen-Stück vor:

„Darf ich Sie noch auf eine Tasse Kaffee einladen?“
„Nein!“
„Mit Milch und Zucker?“
„Nein!“
„Nein mit Milch oder Nein mit Zucker?“
„Keinen Zucker, bitte!“

Trotz seines umwerfenden Charmes tut sich mein Freund Henry mit diesen besagten 50 Prozent nicht gerade leicht. Vermutlich steht ihm die Logik dabei im Wege. Seine damalige Frau geriet jedes Mal in Rage, wenn er auf ihr entschuldigendes „Du bist mir doch nicht böse, oder?“ mit „Ja“ antwortete, weil „nicht böse“ zutreffend war.

Apropos zutreffend: Die seinerzeit überaus beliebte Quiz-Sendung „Was bin ich“ hat nicht nur durch Robert Lembkes Frage „Welches Schweinderl hätten S’ denn gern?“ dauerhaften Ruhm erlangt. Auch eine ganz bestimmte Fragestellung des Rateteam-Mitglieds Hans Sachs ist bis heute unvergessen: „Gehe ich recht in der Annahme, dass …?“, immer gefolgt von einer Negation. Zum Beispiel: „Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie nicht mit Tieren zu tun haben?“ Wenn der Kandidat in seinem Beruf tatsächlich nicht mit Tieren zu tun hatte, musste er trotzdem mit „Ja“ antworten, da die Frage eine zutreffende Verneinung enthielt, die er durch ein „Nein“ abgestritten hätte. Und Robert Lembke nahm es schon sehr genau mit der Antwort seiner Gäste, denn immerhin standen nicht weniger als fünf Mark auf dem Spiel.

In einem Reiseführer über Mexiko las ich folgenden Satz: „Es wird dringend davor gewarnt, seinen Mietwagen über Nacht nicht auf unbeaufsichtigten Plätzen abzustellen.“ Vorne steht „Warnung“, und hinten der Rat, was man tun oder lassen sollte – logisch betrachtet wird also vor dem Ratschlag gewarnt. Auch von der Verhinderung eines gewünschten Ergebnisses kann man immer wieder mal lesen: „Ein satellitengestütztes Überwachungssystem soll verhindern, dass sich die Gefangenen nicht weiter als drei Meter vom Gebäude entfernen.“ Oder: „Ein Glücksfall verhinderte, dass das Manuskript beim Brand der Bibliothek im September 2004 nicht zerstört wurde.“

In der Mittagspause ruft Henry an und fragt, ob ich die Karten fürs Heimspiel am Samstag schon besorgt habe. „Nein, habe ich nicht“, sage ich. „Ich wollte nichts unternehmen, bevor ich nicht sicher weiß, ob Friedrich mitkommt oder nicht.“ – „Worauf wartest du dann noch?“, fragt Henry. „Du weißt es doch jetzt schon nicht sicher, noch unsicherer kannst du in dieser Sache kaum werden!“ In solchen Momenten begreife ich, warum seine Frau ihn rausgeworfen hat.

Die Fügung „nicht ohne“ ist auch nicht ganz ohne. „Er verneigte sich und ging – nicht ohne sich nicht noch einmal nach Véronique umzudrehen.“ Gnädigerweise habe ich vergessen, in welchem Roman ich diesen Satz gefunden habe. Und ich weiß bis heute nicht, ob sich der Held nun noch einmal nach Véronique umgedreht hat oder nicht. Wie lautet die Formel: Nicht + ohne + nicht = Ja? Nein, wohl kaum. Das zweite „nicht“ ist überflüssig, ein verstärkendes Füllwort, wie es die gesprochene Sprache so liebt und wie es bei Puristen und Logikern verpönt ist.

Wenn man von Verneinungen spricht, die gar keine sind, dann darf natürlich auch die nicht unbedeutende Vorsilbe „un“ nicht fehlen. Normalerweise besteht ihre Aufgabe darin, die Wortbedeutung ins Gegenteil zu kehren: ein Unheil bringt kein Heil, eine Unordnung ist keine Ordnung, und Unrecht widerspricht dem Recht. Demnach aber dürften Unmengen keine Mengen sein, Unsummen keine Summen, und Unkosten dürften nichts kosten. Das Präfix „un“ hat bei diesen Wörtern jedoch keine verneinende, sondern eine verstärkende Funktion: besonders große Mengen, sehr hohe Summen, äußerst lästige Kosten. Für die rätselhafte „Untiefe“ gibt es sogar zwei Definitionen, die einander widersprechen. Für die meisten ist eine Untiefe eine sehr tiefe Stelle im Wasser; in der Fachsprache bedeutet Untiefe jedoch genau das Gegenteil, nämlich eine nicht tiefe, also eine flache Stelle. Der Nichtschwimmer meidet Untiefen, weil er dort ertrinken könnte, und der Kapitän meidet Untiefen, weil sein Schiff dort auf Grund laufen könnte. Wie auch immer, es gibt offenbar mehrere gute Gründe, Untiefen zu meiden. Deswegen lohnt es sich nicht, einen Streit anzufangen. Henry pflegt zu sagen: „Nichts für ungut. Alles für gut!“

(c) Bastian Sick 2006


Fundstück: Ausrutscher ohne Garantie

Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod, Folge 3“ erschienen.

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6 Kommentare

  1. Trivia: Die Überschrift dieser Kolumne ist eine Anspielung auf das Lied „Nein, dreimal Nein“, die deutsche Version des berühmten Chansons „Non, je ne regrette rien“ von Edith Piaf. Der deutsche Text stammt von Ralph Maria Siegel, dem Vater des Münchner Komponisten und Musikproduzenten Ralph Siegel. Gesungen wurde die deutsche Version von Gisela May (1965) und von Mireille Mathieu (1985). 

    • Wie viele Minus braucht es dann für ein eindeutiges Plus?
      Hier in Bayern wüsste jeder, was damit gemeint ist, wenn der Wirt sagt: „Bei uns hod no nia koaner koa Bier ned drunga.“
      Sie auch?

  2. Wenn in der Sendung „5 gegen Jauch“ beide Parteien eine Frage nicht richtig beantwortet haben, sagt der Moderator Oliver Pocher jedes Mal: „Kein Geld für niemand.“

  3. Monika Schneider

    Das Problem der korrekten Beantwortung einer verneinten Frage wird in der Kolumne offen gelassen. Hat nun der Logiker Henry recht oder die „gefühlte Wahrheit“, also das Sprachgefühl? Offenbar gibt es hier kein Richtig oder Falsch, das heißt, ich darf weiterhin „nein“ sagen, auch wenn ich eigentlich „ja“ meine.

  4. > „Du hast nicht zufällig 50 Cent klein?“

    kann ich auch mit „nein“ beantworten, weil ich diese nicht zufällig, sondern vorsätzlich habe. Und wegen dieses Vorsatzes würde ich diese 50 Cent nicht weitergeben wollen …

  5. Unmenschen und Untiere sind besonders unangenehme Menschen oder andere Tiere.

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